X ist seit über 10 Jahren in einem festen Arbeitsverhältnis. Um eine Alp-Saison machen zu können, hat er vom 1. bis 30. Juni 2021 Ferien bezogen und für den Zeitraum vom 1. Juli bis zum 17. Oktober 2021 mit seiner Arbeitgeberin unbezahlten Urlaub vereinbart (mündlich).
Mit dem Arbeitgeber auf der Alp hat X einen mündlichen Vertrag mit folgendem Inhalt abgeschlossen:
- Funktion: Zusenn
- Zeitraum der Anstellung: ab Alpaufzug bis Alpabzug (max. Ende September 2021)
- Lohn: Tageslohn à CHF 80.-
Der effektive Alpaufzug/Arbeitsbeginn war am 18. Juni 2021. Im Zeitraum vom 18. Juni bis zum 18. August hat er täglich gearbeitet. Am 19. August 2021 wurde X aus psychischen Gründen eine 100% Arbeitsunfähigkeit attestiert. Seit dem 31. August 2021 ist er stationär in der psychiatrischen Klinik.
Bisherige Abklärungen:
- Die Arbeitgeberin (festes Arbeitsverhältnis) hat eine KTG mit 30 Tagen Wartezeit abgeschlossen. Nach Rücksprache mit der KTG hat X keinen Anspruch auf Versicherungsleistungen im Zeitraum des unbezahlten Urlaubs.
- Der Arbeitgeber (Alp) hat keine KTG. Aktuell ist geplant, dass er die effektiv geleisteten Arbeitstage (Zeitraum vom 18. Juni – 18. August 2021) gem. Abmachung à CHF 80.- vergütet. Für die restliche Zeit sind keine Lohnfortzahlungen angedacht.
Offenes:
- Ist die Arbeitgeberin (festes Arbeitsverhältnis) ab dem 18. Oktober (geplanter Arbeitsbeginn nach unbezahltem Urlaub) zu Lohnfortzahlungen verpflichtet?
- Ab wann kommt die KTG zum Zug?
- Welche Ansprüche, auf welcher rechtlichen Grundlage hat X ggü. dem Arbeitgeber auf der Alp und wie können diese Ansprüche geltend gemacht werden?
(Da der Arbeitsvertrag mündlich abgeschlossen wurde: gilt diesbezüglich grundsätzlich das OR, bzw. in diesem Fall, gestützt auf Art 324a Abs. 2 OR der Normalarbeitsvertrag, in diesem Fall der Normalarbeitsvertrag für die Landwirtschaft (NAV Landwirtschaft) vom 24.10.2007 des Kantons Bern (BSG 222.153.21)?
Und ist dies der Fall, ist der Arbeitgeber gem. Art. 35 Abs. 3 und Art. 35 Abs. 3 lit. b NAV zum Abschluss einer KTG verpflichtet, bzw. ist der Arbeitgeber gem. Art. 36 Abs. 2&3 NAV dazu verpflichtet, für die gesamte Dauer des Arbeitsverhältnisses 80% der Lohnzahlungen zu gewährleisten?)
Vielen Dank für Ihre Rückmeldung
Frage beantwortet am
Kurt Pärli
Expert*in Arbeitsrecht
Sehr geehrte Frau Gerber
Gerne nehme ich zu Ihren Fragen wie folgt Stellung: Zwischen der Hauptarbeitgeberin und Ihrem Klienten wurde vom 1. Juli 2021 bis zum 17. Oktober 2021 ein unbezahlter Urlaub vereinbart. Eine solche Vereinbarung ist auch mündlich gültig. Während dieser Phase ruhen die Hauptleistungspflichten, d.h. die Arbeitgeberin ist von der Lohnzahlungspflicht und der Arbeitnehmer von der Arbeitspflicht befreit. Am 18. Oktober 2021 wirken wieder die beiden Hauptleistungspflichten, d.h. der Arbeitnehmer muss die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung erbringen und der Arbeitgeber muss den Lohnausrichten. Ist der Arbeitnehmer wegen Krankheit an der Arbeitsleistung gehindert, schuldet die Arbeitgeberin Lohnfortzahlung nach Art. 324a OR, im konkreten Fall liegt eine Krankentaggeldversicherung vor, den ab dem 18. Oktober bei nach wie vor bestehender Arbeitsunfähigkeit leisten muss.
Nur nebenbei bemerkt: Der unbezahlte Urlaub und je nach Dauer auch eine Arbeitsunfähigkeit ab Mitte Oktober wirkt sich auch auf den Ferienanspruch des Arbeitnehmers aus (Siehe Art. 329b OR).
Wie verhält es sich nun mit dem Lohn bzw. Lohnersatzanspruch des beurlaubten und vorübergehend als Älpler wirkenden Mannes? Sie erwähnen, der Arbeitsvertrag sei lediglich mündlich abgeschlossen worden. Wie sie richtig erwähnen, ist dies zulässig. Es stellt sich aber nun die Frage, ob vorliegend der kantonale NAV Landwirtschaft Anwendung finde. https://www.belex.sites.be.ch/frontend/versions/253?locale=de
Falls ja, gelten die von Ihnen erwähnten Bedingungen, das heisst, die Arbeitgeberin wäre verpflichtet gewesen, eine Krankentaggeldversicherung abzuschliessen.
Eine Sichtung des NAV zeigt, dass dieser im vorliegenden Fall anwendbar ist. Es wäre zwar möglich, vom NAV abzweichen, diesfalls wäre aber ein schriftlicher Arbeitsvertrag erforderlich.
Klar ist m.E. aucch, dass die Verpflichtung zum Abschluss einer Taggeldversicherung gilt. Die Arbeitgeberin hat dies unterlassen, nun ist sie in der Pflicht, anstelle der Taggeldversicherung den Lohnausfall zu entrichten. Konkret bedeutet dies: im ersten Monat Arbeitsunfähigkeit schuldet die Arbeitgeberin 100%, danach 80% (was auch die Taggeldversicherung bezahlt hätte).
Entscheidend ist, dass das Arbeitsverhältnis gemäss Ihren Angaben für die Zeit von mitte Juni bis Ende September 2021 eingegangen wurde, das sind mehr als drei Monate. Problematisch könnte allenfalls sein, dass der Alpabzug allenfalls auch früher hätte stattfinden können, dann wäre allenfalls die für die Lohnfortzahlungspflicht und die Krankentaggeldversicherungspflicht erforderlichen "mindestens drei Monate" nicht erreicht. Sollte die Arbeitgeberin dieses Argument ins Feld führen, müsste allenfalls beim Lohnersatzanspruch auf dem Verhandlungswege ein Kompromiss eingangen werden.
Genügen Ihnen diese Auskünfte? Mit Dank für die Kenntnisnahme und freundlichen Grüssen
Kurt Pärli