Guten Tag
Meine Klientin ist seit Oktober 2019 zu 100% krankgeschrieben und bezieht Krankentaggeld. Nun hat sie nach Ablauf der Sperrfrist (sie war 10 Jahre im Betrieb tätig) per 31.7.2020 die Kündigung erhalten.
Im Kündigungsschreiben wird ausgeführt, dass der Arbeitgeber während der Kündigungsfrist auf die Arbeitsleistung verzichtet, dass damit aber sämlichte Ansprüche auf Ferien und Überzeit abgegolten seien.
Da Frau X. voraussichtlich weiterhin krankgeschrieben sein wird, könnte sie ja auch während der Kündigungsfrist nicht arbeiten, selbst wenn der Arbeitgeber sie nicht freistellen würde. Daher stellt sich mir die Frage, ob das Ferienguthaben nicht ausbezahlt werden müsste? Macht es einen Unterschied, ob der Arbeitgeber eine Krankentaggeldversicherung abgeschlossen hat oder ob die Lohnfortzahlung zum Tragen kommt?
Vielen Dank für Ihre Rückmeldung!
Beste Grüsse
Kathrin Kayser
Frage beantwortet am
Kurt Pärli
Expert*in Arbeitsrecht
Sehr geehrte Frau Kayser
Das ist eine sehr spannende Frage! Die Antwort hängt in der Tat auch davon ab, ob die Arbeitgeberin Ihrer Klientin eine Taggeldversicherung abgeschlossen hat und damit die Lohnfortzahlungspflicht nach Art. 324a Abs. 1-3 durch die gleichwertige Regelung ersetzt wird. Dann kommt es weiter darauf an, ob eine allfällige Krankentaggeldlösung 80% oder 100% des Lohnes ausrichtet.
Grundsätzlich ist die Rechtslage bei weiterhin bestehender Arbeitsunfähigkeit so, dasss die Arbeitnehmerin gar nicht arbeiten muss und so gar nicht von der (nicht bestehenden) vertraglichen Arbeitspflicht freigestellt werden kann. Während der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit können auch keine Ferien bezogen oder Überstunden kompensiert werden. Zu beachten ist allerdings, dass eine längere krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit zur einer Schmälerung des Ferienanspruchs führt (siehe Art. 329b OR).
Gemäss Ihren Angaben bezieht die Klientin Krankentaggeld. Angenommen, das Krankentaggeld beläuft sich auf 80% des Lohnes, ist die Variante "Freistellung" für Ihre Klientin allenfalls vorteilhafter. Stellt der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer frei, so verzichtet er freiwillig auf die Arbeitsleistung, schuldet aber während der ganzen Freistellungszeit zu 100% den Lohn. Wichtig ist, dass auch während der Freistellungszeit der Ferienanspruch anwächst. Gleichzeitig hat der Arbeitgeber gemäss Lehre und Rechtsprechung die Möglichkeit, in der Freistellungszeit den Ferienbezug anzuordnen. Zulässig ist, wenn Ferien bis Längstens ein Drittel der Freistellungszeit betreffen, also in ihrem Fall einen Monat. Heikel ist die Frage der Überstundenkompensation. Nach Art. 321c Abs. 2 OR braucht es zur Kompensation von Überstunden das Einverständnis des Arbeitnehmers. Die Regelung ist allerdings dispositiv, darf m.a.W. vertraglich abgehändert werden. Falls im Arbeitsvertrag eine entsprechende Abänderung von ARt. 321a Abs. 2 (und 3) OR vorgesehen ist, ist die Kompensation von Überstunden mit Freistellung zulässig.
Sie müssen also vergleichen: Drei Monate à 80% Taggeld plus Auszahlung des (gekürzten) Ferienanspruchs plus Auszahlung der Überstunden im Vergleich zu 3 Monaten Lohnzahlung zu 100%. Falls das Krankentaggeld zu 100% ausgerichtet wird, ist die fortgesetze Krankschreibung natürlich besser.
Sie fragen weiter nach der REchtslage, falls die Arbeitgeberin keine Krankentaggeldversicherung hätte. Diesfalls würde die ARbeitgeberin bei Krankheit den Lohn (zu 100%) nach Art. 324a OR schulden, allerdings nicht unbeschränkt, sondern im zehnten Dienstjahr gemäss den Basler-, Berner- und Zürcher-Skala 16 Wochen, d.h., die Lohnfortzahlung wäre Ende Januar bereits beendet gewesen. Wäre der Mitarbeiter auch in der Zeitspanne danach weiterhin krank, würde zwar das ARbeitsverhältnis weiterlaufen, ein lohnanspruch bestünde aber nicht.
Genügen Ihnen diese Auskünfte? Mit Dank für die Kenntnisnahme und freundlichen Grüssen
Kurt Pärli