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Krankenkasse , Wiederanmeldung nach mehrjährigen Sistierung wegen unbekannter Adresse

Veröffentlicht:
19.10.2017
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialversicherungsrecht

Klientin hat seit April 2013 keine Krankenkassenprämie mehr bezahlt. Sie hatte keine beständige Wohnadresse mehr, hielt sich aber immer in der Schweiz auf. Ihre damalige Wohnsitzgemeinde hat sie nach unbekannt abgemeldet. Die Krankenkasse hat den Vertrag sistiert, da sie keine Adresse der Klientin mehr hatten. Seit kurzem hat die Klientin einen Untermietvertrag und möchte sich an ihrem neuen Wohnort anmelden. Sie benötigt dazu den Nachweis einer Krankenkasse. Die bisherige Krankenversicherung erklärte, dass sie sich wieder bei ihnen anmelden müsse und ggf. die Prämien für die vergangenen Jahre nachzahlen müsse. Die Klientin kann die Prämie nicht nachzahlen, sie hat in dieser Zeit auch keine Leistungen bezogen. Sie möchte mit einer anderen Krankenversicherung einen neuen Vertrag abschliessen. Meine Frage, muss sie wieder zurück zu ihrer ehemaligen Krankenversicherung und die Prämien für all die Jahre nachbezahlen oder kann sie einen neuen Vertrag mit einer neuen Versicherung abschliessen. Ich danke Ihnen für Ihre Rückmeldung.

Frage beantwortet am

Peter Mösch Payot

Expert*in Sozialversicherungsrecht

Sehr geehrte Frau Kägi
Art. 3 Abs. 1 KVG besagt, dass jede Person mit Wohnsitz in der Schweiz sich innert drei Monaten nach der Wohnsitznahme oder der Geburt in der Schweiz für die Krankenpflege versichern muss.
Der Wohnsitz bestimmt sich nach Art. 23 bis 26 ZGB (siehe Art. 13 ATSG). Ein einmal in der Schweiz begründeter Wohnsitz bleibt also gemäss Art. 24 Abs. 1 ZGB bestehen, und somit auch die grundsätzliche Versicherungsunterstellung, bis eine neue Wohnsitznahme nachgewiesen ist. Das hat zur Folge, dass in Grenzfällen ist von einer Versicherungspflicht auszugehen (BGE 129 V 77 E. 4.2).
Ergänzend ergibt sich aus Art. 3 Abs. 3 KVG und Art. 1 bis 4 KVV für verschiedene weitere Personengruppen mit blossem Aufenthalt in der Schweiz eine Versicherungspflicht. Besondere Fragen können sich etwa stellen für Asylgesuchstellende oder Personen, die dem Freizügigkeitsabkommen (FZA) mit der EU unterstehen. Im vorliegenden Fall gehe ich aber aufgrund der Beschreibung davon aus, dass kein solcher Sonderfall besteht, sondern nur die Frage des Wohnsitzes von Bedeutung ist.
Die Versicherung endet, wenn die Person der Versicherungspflicht nicht mehr untersteht (Art. 5 Abs. 3 KVG). Das ist gemäss Rechtsprechung bzgl. des Wohnsitzes noch nicht der Fall, wenn ein Schweizer Bürger sich etwa polizeilich abmeldet, aber im Ausland keine Wohnsitzbegründung nachgewiesen werden kann. Es wäre aber der Fall, wenn die Versicherungspflicht aufgrund des FZA entfällt. Hier wären also im Falle, dass die Person Europäischer Ausländer ist genauere Abklärungen nötig.
Wenn die Person im vorliegenden Fall also keinen neuen Wohnsitz ausserhalb der Schweiz begründet hatte so ist weiterhin von einem Wohnsitz in der Schweiz auszugehen und damit blieb auch die Versicherungspflicht bestehen in der Zeit, wo sein Aufenthalt in der Schweiz unbekannt war.
Im Fall, wo dann die Prämien etc. nicht bezahlt werden oder wurden gilt gemäss Art. 64a Abs. 4 KVG, dass die Versicherung nicht gewechselt werden kann.
Eine Ausnahme besteht nur gemäss Art. 7 Abs. 3 und 4 KVG. Im vorliegenden Fall könnte das relevant werden, wenn der Betroffene den Wohnort gewechselt hatte in der Zeit des unbekannten Aufenthalts. Das wäre gegenüber der Versicherung aber mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nachzuweisen (Mietvertrag Wohnung etc.).
Ansonsten sind die ausstehenden Prämien also – vorbehältlich der Verjährung – tatsächlich geschuldet und müssen bezahlt werden. Zuvor ist ein Versicherungswechsel nicht möglich. Die Auskunft der Versicherung erscheint mir korrekt.
Eventuell kann versucht werden, mit der Krankenkasse eine Vereinbarung bezüglich der ausstehenden Prämien zu finden, etwa ein Teilerlass und Stundungen der Rückzahlung. Es ist dabei auf die grosse Härte für den Betroffenen zu verweisen und diese zu belegen. Eventuell kann je nach Situation und Zustand des Betroffenen während der Sistierung durch die Krankenkasse auch der gute Glaube zu belegen, dass keine Prämienpflicht bestand. Rechtlich ist die Hürde hierfür aber sehr hoch.
Zusätzlich wäre etwa zu versuchen, die individuellen Prämienverbilligungen rückwirkend noch erhältlich zu machen. Das dürfte je nach kantonaler Praxis aber schwierig sein. Grundvoraussetzung dafür wäre auf jeden Fall ein Nachweis über die Bedarfssituation, dass der Betroffene finanziell nicht in der Lage war die entsprechenden Prämien zu bezahlen.
Zur Unterstützung könnte in diesem Fall durch den Versicherten auch der Ombudsman Krankenversicherung in Luzern beigezogen werden, um eine angepasste Lösung zu suchen.
Ich hoffe, das dient Ihnen.
Peter Mösch Payot

Sehr geehrter Herr Moesch
Vielen Dank für die ausführliche Antwort. Ich werde die Situation mit der Klientin und der Krankenversicherung in diesem Sinne zu klären versuchen.
Freundliche Grüsse
Irene Kägi