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Konkurrenz Patientenverfügung/Beistandschaft in med. Angelegenheiten (Art 378 ZGB)

Veröffentlicht:
30.07.2019
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Kindes- und Erwachsenenschutz

Liebe Karin, lieber Urs

Eine von mir verbeiständete Person hat in 2010 eine EXIT-Patientenverfügung erstellt. Diese hält seinen Willen fest für den Fall dass er wegen einer unheilbaren Erkrankung/eines schweren Unfalls nicht mehr mitteilungsfähig ist. Er möchte, falls seine Lebensfunktionen soweit geschädigt sind dass eine Besserung mit höchster Wahrscheinlichkeit auszuschliessen ist, dass auf (weiteren) lebensverlängernden Massnahmen verzichtet wird bzw. diese abgebrochen werden. Als Vertreterin hat er seine Partnerin (nicht verheiratet) eingesetzt. Diese ist urteilsfähig, die Beziehung wird weiterhin gelebt. 

Die KESB hat mich in April 2019 als Beistand eingesetzt: (Zitat) "Vertretung in med. Bereich, insb. bezüglich des Rechts bei Ärzten, Betreuungs- und Pflegepersonal Informationen einzuholen für soweit dies zur Erfüllung der beistandschaftlichen Aufträge notwendig ist. Bezüglich allfälliger Entscheidungen über medizinische Massnahmen, die nicht in der vorliegenden Patientenverfügung geregelt sind sind die nahen Angehörigen einzubeziehen". (von mir hervorgehoben).

 

Aktuelle Situation.

In Februar 2019 erlitt die betroffene Person eine sehr schwere Erkrankung mit anschliessenden (längerdauernder) Urteilsunfähigkeit, nach einem Reha-Aufenthalt ist er jetzt in einem Pflegeheim. Auch die Kommunikation ist schwer beeinträchtigt bis unmöglich. Gemäss dem behandelnden Arzt ist die Situation gemäss Patientenverfügung nicht eingetroffen, Verbesserungen, wenn auch nur geringe, sind möglich, allenfalls ist sogar eine teilweise Rückgewinnung der Kommunikationsfähigkeiten möglich. Dies wird von den beigezogenen Spezialärzten bestätigt. Nahe Angehörigen sind eigene Kinder aus früheren Ehen und die aktuelle Partnerin. Diese leiden sehr unter der Situation und sind sich nicht in Allem einig (was meine Frage eine gewisse Brisanz gibt).

 

Meine Frage:

wer kann/muss aktuell über medizinische Massnahmen entscheiden: die Partnerin (da in der Patientenverfügung als Vertreterin 'ernennt', oder ich als Beistand (dies ist gemäss Heimarzt der Fall, da die Situation gemäss PV nicht eingetroffen ist). Ich war anfänglich auch gleicher Meinung wie der Heimarzt, bin im nachhinein aber nicht sicher ob dies wirklich stimmt.

 

Danke

Frage beantwortet am

Karin Anderer

Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz

Lieber Hans

Es geht um die Auslegung und Interpretation der 2-seitigen Patientenverfügung, was nicht so einfach ist. Im Rahmen der Kurzberatung kann ich dir nur eine Einschätzung geben.

Nach Art. 370 Abs. 1 ZGB kann eine urteilsfähige Person in einer Patientenverfügung festlegen, welchen medizinischen Massnahmen sie im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit zustimmt oder nicht zustimmt.

Der Herr hat in seiner Patientenverfügung Anordnungen gemacht einzig für den Fall, dass seine Lebensfunktionen sehr schwer geschädigt und eine Besserung mit hoher Wahrscheinlichkeit auszuschliessen sind.

Er hat seine Partnerin als Vertrauensperson eingesetzt, welche seiner Willensäusserung Nachachtung verschaffen soll und befugt ist, die Patientenverfügung durchzusetzen. Zudem hat er Exit mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt. Die Einsetzung seiner Partnerin als Vertrauensperson beschränkt sich m.E. nur auf die Willensäusserung in der Patientenverfügung. Exit käme als Vertretungsperson ohnehin nicht in Frage, da nach nach Art. 370 Abs. 2 ZGB nur eine natürliche Person eingesetz werden kann. Somit hat er für alle anderen medizinischen Situationen, als in der Patientenverfügung benannt, keine Vertretungsperson nach Art. 370 Abs. 2 ZGB ernannt.

Gemäss KESB-Entscheid bist du für die Vertretung im medizinischen Bereich eingesetzt, mit Ausnahme der Bereiche, die in der Patientenverfügung gegelt sind. Somit bist du für alle Entscheidungen im medizinsichen Bereich, die nicht in der Patientenverfügung geregelt wurden, zuständig, solange der Herr urteilsunfähig ist.

Der Arzt hat die Patientenverfügung konsultiert und stellte fest, dass die Lebensfunktionen nicht schwer geschädigt bzw. eine Besserung wahrscheinlich seien. Beigezogene Spezialärzte bestätigten diese Einschätzung. Die Partnerin und die Kinder können, wenn sie der Ansicht sind, dass der Arzt der Patientenverfügung nicht entspricht, die KESB anrufen (Art. 373 ZGB). Du als Beistand kannst das auch tun, wenn du diese Ansicht teilst.

Auf www.exit.ch findest du Hinweise zur Patientenverfügung. Exit bietet seinen Mitgliedern und den Bezugspersonen medizinische und juristische Unterstützung an. So könnte ggf. eine medizinische Zweitmeinung eingeholt werden und die Patientenverfügung könnte, vor allem was den Umfang der Vertretungsrechte betrifft, eingehender analysiert werden.

Ich hoffe, die Angeben sind dir nützlich und ich grüsse dich  freundlich.

Luzern, 12.8.2019

Karin Anderer