Mein Klient hat von der IV aufgrund eines Bandscheibenvorfalls eine Umschulung zugesprochen bekommen. Im Sommer 2020 konnte er die Ausbildung starten, musste sie aber nach wenigen Monaten abbrechen, da er erneut gesundheitliche Beschwerden hatte. Die medizinischen Abklärungen haben gezeigt, dass inzwischen weitere Bandscheiben betroffen sind. Die Beschwerden, die zum Abbruch der Ausbildung geführt haben, seien damit erklärbar. Aktuell ist Herr X. nicht in der Lage, die geplante Umschulung zu machen. Mit dem Eingliederungsberater der IV habe er besprochen, dass er erst auf Sommer 2021 erneut einen Ausbildungsplatz sucht (da momentan die Genesung im Vordergrund steht) und die IV ihn dann wieder unterstützen würde.
Da die Ansprüche auf KTG und ALE ausgeschöpft sind, hat sich Herr X. nun bei der Sozialhilfe angemeldet. Mir stellt sich die Frage, ob die IV bis zum erneuten Start der Ausbildung eine Rente ausrichten müsste? Wie könnte gegenüber der IV-Stelle argumentiert werden?
Vielen Dank!
Frage beantwortet am
Peter Mösch Payot
Expert*in Sozialversicherungsrecht
Sehr geehrte Frau Kayser
1. Rechtlich stellt sich hier die Frage, ob und inwieweit in einem laufenden IV-Verfahren bei (ev. vorübergehenden) gesundheitsbedingten Arbeitsunfähigkeiten, welche z.B. ein Verschieben einer Massnahme beruflicher Art zur Folge haben, trotzdem ein Taggeld ausgerichtet werden kann bzw. muss. Bzw. ob eine Rentenprüfung zu erfolgen hat.
2. Art. 22 Abs. 6 IVG verweist für diese Frage einer möglichen Taggeldleistung für Unterbrüche von Eingliederungsmassnahmen wegen Krankheit oder Unfall auf die Verordnung.
3. In Ihrem Fall spielt primär Art. 20quater IVV eine Rolle. Dieser sieht vor, dass in Fällen, wo eine Eingliederungsmassnahme u.a. wegen Krankheit unterbrochen werden muss, ein Taggeld weiter gewährt wird, wenn nicht eine andere Sozialversicherung oder eine freiwillige Krankentaggeldversicherung ein Taggeld in gleicher Höhe gewähren würden.
Ein solches Taggeld wird im ersten Jahr der Massnahme während längstens 30 Tagen, im zweiten Jahr der Massnahme während längstens 60 Tagen und ab dem dritten Jahr während längstens 90 Tagen gewährt
Allerdings fällt der Anspruch weg, wenn feststeht, dass eine Eingliederungsmassnahme nicht mehr weitergeführt wird.
Dies ist in Ihrem Fall wohl schon geschehen, weswegen dann das Taggeld wegfiel.
4. Im Weiteren sieht Art. 18 IVV vor, dass wer zu mindestens 50% arbeitsunfähig ist und auf den Beginn einer Umschulung warten muss, während der Wartezeit Anspruch auf ein so genanntes Wartetaggeld hat. Das gilt ab dem Zeitpunkt, wo die IV-Stelle feststellt, dass eine Umschulung angezeigt ist.
Der Anspruch auf das Taggeld während Wartezeiten setzt allerdings praxis- und rechtsprechungsgemäss voraus, dass die betroffene Person eingliederungsfähig ist und sie aus Gründen, die nicht in ihrer Person liegen, auf den Beginn der Massnahme warten muss. Kein Anspruch auf das Taggeld für die Wartezeit besteht somit unter anderem, wenn wegen des Gesundheitszustandes aktuell keine Eingliederungsfähigkeit besteht. (vgl. ZAK 1989 S. 216; siehe zum Ganzen Rz. 1047 KSTI, Kreisschreiben über die Taggelder der Invalidenversicherung (KSTI), aktuelle Fassung vom 01.01.2019).
Im vorliegenden Fall dürfte also bis auf Weiteres, also bis eine Fähigkeit zum Absolvieren der von der IV als geeignet und notwendig erachteten Umschulung besteht, kein Wartetaggeld geschuldet sein.
5. Ein Rentenanspruch oder ein Teilrentenanspruch kann wiederum mit Blick auf die entsprechenden Anspruchsvoraussetzungen für eine IV-Rente (Art. 28, insb. Art. 28 Abs.1 lit. a IVG) in einem solchen Fall nur ausnahmsweise bestehen. Weil das Entstehen des Rentenanspruchs Eingliederungsunfähigkeit voraussetzt.
Wenn nun aber aktuell eine Eingliederungsfähigkeit fehlt, wie in casu, so ist ein (vorübergehender) Rentenanspruch nicht unmöglich. Voraussetzung wäre aber, dass der Gesundheitszustand mit Blick auf eine zu erwartende Teilerwerbsunfähigkeit stabil erscheint (vgl. zum Ganzen Bucher Silvia, Eingliederungsrecht der Invalidenversicherung, Rz. 1039 ff. m.w.H.).
6. Ob im vorliegenden Fall der Stand der medizinischen Abklärungen, bzw. die vorhandenen Akten einen solchen Schluss zulassen, liesse sich nur nach vertieftem Aktenstudium beurteilen. Notwendig wäre wohl, dass zumindest mit Blick auf eine Teilinvalidität (in casu mind. 40% Erwerbseinbusse) eine stabile Gesundheitsbeeinträchtigung vorliegt.
7. Ich rate Ihnen, mal bei der IV Akteneinsicht mit Vollmacht des Klienten zu verlangen. Und dann in einem nächsten Schritt das Gespräch mit der IV-Eingliederungsfachperson zu suchen, wie und wo die Eingliederung hier fortgeführt werden kann, oder ob eine Rentenprüfung oder Teilrentenprüfung ins Auge gefasst werden soll. Sollte so keine überzeugende Lösung gefunden werden, wäre das weitere rechtliche Vorgehen mit einer Rechtsberatung (Procap, Integration Handicap oder ähnliche Stellen) zu besprechen.
Prof. Peter Mösch Payot