Sehr geehrter Herr Mösch
Meine Frage betrifft ja auch Herrn Pärli. Ich stelle Sie aber doch einmal primär in Ihrem Forum.
Junge Erwachsene, die mit der IV eine Ausbildung absolvieren, unterschreiben ja auch einen Lehrvertrag. Insofern sollten sie dem Arbeitsrecht unterstehen.
Andererseits ist eine IV-Massnahme ja kein Arbeitsverhältnis sondern eine Massnahme, die IV kann eine Massnahme abbrechen, die Taggeldzahlung ist anders geregelt als die Lohnzahlung nach OR usw. usf.
Aber was heisst das praktisch: kann sich ein Auszubildender im Streitfall bei Krankheit auf Zahlungen nach OR beziehen - Basler und Zürcher Skala im 2. Jahr 2 Monate Lohnfortzahlung statt nur 30 Tage IV-Taggeld?
Oder wenn es im Betrieb für die "normalen Angestellten" ein grosszügiges Personalreglement gibt (z.B. bezahlte Absenz nach Niederkunft der Partnerin) - kann dann der Auszubildende hier eine Gleichstellung verlangen?
Sind diese und ähnliche Schnittstellen irgendwo geregelt?
Vielen Dank für Ihre Hinweise im Voraus
PS
Inzwischen bin ich auch ein Stück weiter.
Nach KSTI Rz 1025 1 /12 könnten bei Krankheit im zweiten Eingliederungsjahr ja 60 Tage und im dreitten Jahr bis zu 90 Tagen Taggeld ausgerichtet werden.
Aber was, wenn die IV die Massnahme im zweiten Jahr nach einem Monat abbricht, dann würde der Anspruch auf weitere Taggelder ja erlöschen?
Und KSTI Rz 1029 regelt die kurzfristigen Urlaube aus persönlichen Gründen, verweist auf das "Gebräuchli". Kann ich mich dann darauf verlassen, dass das allgemeine Personalreglement des Betriebes akzeptiert wird? Oder gibt es da doch noch irgendwo versteckte Ausführungsbestimmungen?
Frage beantwortet am
Peter Mösch Payot
Expert*in Sozialversicherungsrecht
Sehr geehrter Herr Blindow
a) Tatsächlich sind grundsätzlich die sozialversicherungsrechtliche Seite (Ansprüche gegenüber der IV, namentlich auf Taggelder bei IV-Massnahmen) und die arbeitsvertragsrechtliche Seite unabhängig voneinander zu prüfen.
Primär gelten für ein Entgelt und für Taggelder trotz Arbeitsunfähigkeit die von Ihnen genannten Regeln zum Taggeld aus dem IVG und der IVV (Art. 20quater IVV; vgl. dazu die von Ihnen genannten Regeln in Rz. 1025ff. im Kreisschreiben über Taggelder der Invalidenversicherung (KSTI; Stand 1.1.2019).
b) Vertraglich basieren die Tätigkeiten bei IV-gestützten Praktisaubildungen und Lehren häufig auf Lehrverträgen im Sinne von Art. 344 OR ff. Anders als bei anderen Formen des Arbeitsvertrages ist es dabei möglich, dass eine Tätigkeit ohne Entgelt vereinbart ist.
Es sind aber eine Reihe besonderer Regeln direkt oder mind. analog zu beachten, so die Schriftlichkeit des Vetrages (vgl. Art. 344ff. OR)
Die Fragen nach möglichem Entgelt (statt oder neben dem Taggeld der IV) sowie nach anderen arbeitsvertragsrechtlichen Ansprüchen sind nach den jeweiligen individuellen Arbeitsverträgen und Personalreglementen, im Weiteren nach allfälligen anwendbaren GAV zu bestimmen. Immer sind auch die anwendbaren Regeln des öffentlichen Arbeitsrechts, insb. des Arbeitsgesetzes zu beachten.
Ich hoffe, das dient Ihnen.
Prof. Peter Mösch Payot