Guten Tag
Meiner Klientin wurde auf Ende April gekündigt. Sie fühlte sich am Arbeitsplatz zunehmend überfordert und die Kündigung wurde in gegenseitiger Absprache ausgesprochen. Schon während dem Arbeitsverhältnis war sie in psychologischer Behandlung die sie nach der Kündigung intensivierte. Sie ist aktuell noch immer zu 100% Arbeitsunfähig. Sie wurde bei der Kündigung nicht darüber informiert, dass sie in eine Einzeltaggeldversicherung übertreten könnte. Der Arbeitgeber hatte eine Kollektivtaggeldversicherung nach VVG in der eine 90 tägige Übertrittsfrist festgelegt ist.
Sie ist nach wie vor Arbeitsunfähig und es steht ein dreimonativer Aufenthalt in der Tagesklinik an. Bis jetzt hat sie ihren Unterhalt durch ihre Ersparnisse finanziert. Gibt es eine Möglichkeit doch noch in die Einzelttaggeldversicherung des vorherigen Arbeitgebers überzutreten obwohl die 90 tägige Frist abgelaufen ist? Kann die Klientin Leistungen gegenüber dem Arbeitgeber geltend machen, weil er seine Informationspflicht nicht wahrgenommen hat? Wie müsste sie vorgehen?
Macht es Sinn bei 100% Arbeitsunfähigkeit/fehlender Vermittelbarkeit eine Anmeldung bei der Arbeitslosenkasse zu machen, um die 30 Taggelder bei Krankheit abzuholen?
Vielen Dank für die Ausführungen.
Freundliche Grüsse
Erika Ineichen
Frage beantwortet am
Kurt Pärli
Expert*in Arbeitsrecht
Sehr geehrte Frau Ineichen
Gerne beantworte ich Ihre Anfragen wie folgt:
1) Taggeldversicherung
Falls es sich um eine KVG-Taggeldversicherung handelt, gilt folgendes:
Wenn die versicherte Person wegen Aufgabe ihrer bisherigen Arbeitsstelle aus der Kollektiv-versicherung ausscheidet, hat der Versicherer nach Art. 71 KVG dafür zu sorgen, dass die versicherte Person schriftlich darüber aufgeklärt wird, dass sie innert drei Monaten seit Erhalt dieser Meldung in die Einzeltaggeldversicherung übertreten kann. Erfolgt keine Information, bleibt die betroffene Arbeitnehmerin in der Kollektivversicherung. Der Versicherer kann diese Mitteilung selber vornehmen oder mittels AVB die Informationspflicht den Arbeitgebenden übertragen. Kommen Arbeitgebende der ihnen übertragenen Informationspflicht nicht nach und macht die betroffene Arbeitnehmerin in der Folge nicht oder zu spät von ihrem Übertrittsrecht Gebrauch, haftet sie (die Arbeitgeberin) für die ausfallenden Leistungen. Das Bundesgericht hat dies im Entscheid vom 3. Juni 2010 (4A_186/2010) in einem eine VVG-Taggeld-Versicherung betreffenden Fall so entschieden. Entscheidmassgebend war, dass gemäss Art. 100 Abs. 2 VVG in Verbindung mit Art. 71 des Krankenversicherungsgesetzes schreibt vor, dass bei Arbeitslosigkeit des Arbeitnehmers ein Übertritt innert dreier Monate in die Einzeltaggeldversicherung erklärt werden kann, ohne dass der Versicherer die Aufnahme verweigern kann. Auf diese Weise erhalten auch Arbeitnehmer, welche aufgrund ihres Alters oder ihres Gesundheitszustands als schlech- te Risiken bei einer Risikoprüfung durchfallen würden, die Möglichkeit, sich versichern zu können. Dieses Übertrittsrecht ist bei Arbeitslosigkeit obligatorisch. Viele Kollektivtaggeldversicherungen sehen aber vor, dass ein
solches Übertrittsrecht auch für Arbeitnehmer besteht, welche nicht arbeitslos werden.
Was ist aufgrund dieser Ausgangslage abzuklären?
- Bestand eine Taggeldversicherung nach KVG oder VVG? Was war in den AVB der Versicherung hinsichtlich INformationspflicht geregelt?
- Falls die Informationspflicht über die Möglichkeit des Übertritts vom Versicherer auf den Arbeitgeber übertragen wurde, haftet dieser für das Unterbleiben der Information.
- Falls die Informationspflicht in den AVB nicht an die Arbeitgeberin delegiert wurde, haftet die Versicherung selbst für die Folgen der Nichtinformation.
Der Schaden, der verlangt werden könnte, würde in dem Betrag bestehen, den Ihre Klientin von der Versicherung erhalten hätte, falls die ARbeitgeberin informiert hätte (Zu berücksichtigen ist aber hier auch die Prämie, die von Ihrer Klientin hätte bezahlt werden müssen).
Siehe zum Ganzen u.a. auch: https://www.caminada.com/de/content/beendigung-des-arbeitsverh%C3%A4ltnisses-informationspflicht-des-arbeitgebers
Sobald Sie diese Unterlagen haben, ist die Arbeitgeberin (sofern feststeht, dass sie für die Information verantwortlich gewesen wäre) mit einer möglichen Schadenersatzforderung zu konfrontieren.
2) Arbeitslosenversicherung
Die Anmeldung bei der ARbeitslosenversicherung ist unbedingt zu empfehlen. Zwar wird es Ihrer Klientin während des Aufenthaltes in der Tagesklinik zwar an der Vermittlungsfähigkeit fehlen, es besteht ja aber ziemlich sicher eine Möglichkeit, dass sie nach dem Klinikaufenthalt ihre Arbeitsfähigkeit wieder erlangt. Sie soll die Anmeldung (sofern es der Zustand erlaubt) noch während des Klinikaufenthaltes machen.
Auch würde ich eine Kontaktaufnahme mit der IV empfehlen (Früherkennung/Frühintervention, ev. berufliche Massnahmen, IVG 18a/b/c usw.)
Genügen IHnen diese Auskünfte?
Mit freundlichen Grüssen
Kurt Pärli