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Herabsetzung IV-Rente nach Schwangerschaft und Geburt?

Veröffentlicht:
23.04.2019
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialversicherungsrecht

Sehr geehrte Damen und Herren

Meine Klientin hat mit Verfügung der IV Zürich vom 25.08.2016 eine 60 % Invalidenrente zugesprochen erhalten (Posttraumatische Belastungsstörung, Missbrauch in der Kindheit; Valideneinkommen: CHF 66‘208.00 / Invalideneinkommen: CHF 26‘483.00 / Erwerbseinbusse: CHF 39‘725.00). Sie arbeitet 40 % als Fachbetreuung im Bereich Kleinkinder in Privathaushalten und ist mit diesem Arbeitspensum bereits stark an ihrer Belastungsgrenze. Nun ist sie schwanger und ein Mitarbeiter der IV-Stelle hat ihr mitgeteilt, dass der Rentenanspruch nach der Geburt mittels einer Haushaltsabklärung neu beurteilt werden müsse. Das hat bei ihr erneut finanzielle Existenzängste ausgelöst. Meine Fragen nun:

1) Was bedeutet es für ihre IV-Rente, wenn das Kind geboren ist und sie weiterhin 40 % arbeiten würde (sie könnte das Kind auch an die Arbeitsstelle mitnehmen)?

2) Was bedeutet es für ihre IV-Rente, wenn sie ihr Arbeitspensum nach der Geburt von 40 % z. B. auf 20 % reduzieren würde?

3) Gibt es etwas Besonderes bei der Haushaltsabklärung zu beachten (Fangfragen?)? Berechnung Einschränkung im Haushaltsbereich (bisher keine berücksichtigt)?

Ich bin Ihnen dankbar, wenn Sie meine Fragen unter Angabe der aktuellen Rechtsprechung und Gesetzgebung beantworten könnten (neue Berechnung gemischte Methode / Entscheid EMRK/BGer).

Besten Dank und freundliche Grüsse

Frage beantwortet am

Daniel Schilliger

Expert*in Sozialversicherungsrecht

 

Guten Tag Frau Zoppi

Vorab bitte ich um Entschuldigung für die späte Antwort. Wir hatten sozusagen einen Osterstau bei der Beantwortung der Fragen.

Die Klientin galt bei der Invaliditätsbemessung von 2016 offenbar als Vollerwerbstätige und bezieht seither eine Dreiviertelsrente der IV.

Nach Art. 17 ATSG wird eine IV-Rente angepasst, wenn sich der ihr zu Grunde liegende Sachverhalt nachträglich erheblich verändert hat. Die IV wird also prüfen, ob sich seit dem letzten IV-Entscheid (2016) der Sachverhalt (z.B. die gesundheitliche, erwerbliche oder familiäre Situation) erheblich verändert hat. Erheblich heisst leistungsbeeinflussend.

Im Urteil «Di Trizio» (Beschwerde Nr. 7186/09) hat der europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die Schweiz wegen Verletzung von Art. 14 (Diskriminierungsverbot) in Verbindung mit Art. 8 EMRK (Recht auf Schutz des Privat- und Familienlebens) verurteilt. Hintergrund war die diskriminierende Invaliditätsbemessung nach der gemischten Methode. Diese findet Anwendung bei Teilzeiterwerbstätigen, die daneben einen Haushalt führen bzw. Familienarbeit verrichten und trifft zu über 90% Frauen.

Gestützt auf dieses Urteil wurden die Regeln der gemischten Methode überarbeitet und sind seit 1.1.2018 in neuer Form in Kraft (Art. 27bis IVV). Neu ist vor allem, dass das Valideneinkommen auch bei Teilerwerbstätigkeit auf eine Vollerwerbstätigkeit hochgerechnet wird (Art. 27bis Abs. 3 lit. a IVV). Die anschliessende Gewichtung bleibt unverändert (Art. 27bis Abs. 3 lit. b IVV). Näheres dazu finden Sie im Kreisschreiben über Invalidität und Hilflosigkeit in der Invalidenversicherung (KSIH) 3097ff..

Die wichtigste Frage der IV wird sein, ob die Klientin heute – ohne gesundheitliche Einschränkungen, aber mit Kind – immer noch vollerwerbstätig wäre oder ihr Pensum reduziert hätte. Wenn sie immer noch vollerwerbstätig wäre, und sich auch gesundheitlich nichts verändert hat, fehlt ein Revisionsgrund (Art. 17 ATSG) und die Rente läuft weiter. Wenn hingegen anzunehmen ist, dass sie als Mutter Teilzeiterwerbstätig wäre, hat dies einen Einfluss auf die Invaliditätsbemessung (gemischte Methode). Diesfalls wird die Rente überprüft und allenfalls angepasst.

Das Problem bei dieser Frage ist, dass es sich um eine Hypothese handelt, die sich naturgemäss nicht beweisen lässt. Massgebend ist die «Aussage der ersten Stunde», das heisst: Was hat die Klientin anlässlich der Abklärung ausgesagt, wie hat sie’s begründet? Massgebend sind aber auch weitere Faktoren: Wie ist die finanzielle Situation? Wer würde während der Arbeit die Kinderbetreuung übernehmen? Welche Schlüsse können aus der bisherigen Berufslaufbahn bezogen auf die zukünftige Weiterentwicklung gezogen werden? Hat die Klientin bisher die Resterwerbsfähigkeit verwertet oder zu verwerten versucht? Welche Bemühungen hat sie unternommen – trotz Beeinträchtigung - im Arbeitsmarkt Fuss zu fassen oder sich weiter zu bilden? usw.

Wenn nun davon ausgegangen wird, dass die Klientin heute Teilzeiterwerbstätig wäre, wird die Invalidität im Erwerb und im Haushalt je separat festgelegt und anschliessend gewichtet (Art. 27bis IVV). Im Erwerbsbereich würde die Invalidität nach neuer Methode in einem ersten Schritt ausgehend von einem Valideneinkommen von 100% (in Ihrem Fall also gleich wie bisher) festgelegt, was – sofern sonst nichts geändert hat - den bisherigen IV-Grad von 60% ergibt.

Für das Invalideneinkommen ist nach wie vor nicht relevant wieviel jemand arbeitet oder verdient, wenn das Einkommen (und das Pensum) unter dem Invalideneinkommen liegen. Denn gemäss Art. 16 ATSG ist das Erwerbseinkommen massgebend, das die versicherte Person nach Eintritt der Invalidität und nach Durchführung der medizinischen Behandlung und allfälliger Eingliederungsmassnahmen durch eine ihr zumutbare Tätigkeit bei ausgeglichener Arbeitsmarktlage erzielen könnte. Auch das Invalideneinkommen ist in vielen Fällen also eine Hypothese.

Der IV-Grad in der Familienarbeit («Aufgabenbereich») wird bei der Klientin zu Hause durch eine Abklärung der IV anhand der konkreten Einschränkungen beim Putzen, Kochen Einkaufen, in der Kinderbetreuung etc. festgelegt. Hier sind wiederum ihre Aussagen und die konkrete Situation vor Ort massgebend. Dazu wird die Schadenminderungspflicht von Familienangehörigen im gleichen Haushalt berücksichtigt. Bei Menschen mit einer psychischen Behinderung ist es wertvoll, wenn eine Begleitperson anwesend ist, die die Situation kennt und beschreiben kann, wie es wirklich ist. Zudem ist in diesen Fällen auch von ärztlicher Seite eine Stellungnahme zu den Beeinträchtigungen einzuholen (eine Frage im Rahmen eines IV-Gutachtens).   

Diese beiden IV-Grade werden anschliessend entsprechend dem angenommenen Erwerbspensum gewichtet. Wenn z.B. angenommen wird, dass die Klientin als Mutter ohne gesundheitliche Beeinträchtigung heute 40% arbeiten würde, beträgt das Pensum im Aufgabenbereich 60%. Dementsprechend ergibt sich eine gewichtete Invalidität im Erwerbsbereich von 24% (40% von 60% IV-Grad) und im Haushalt 60% vom IV-Grad im Haushalt (Annahme 35%), also 60% von 35% = 21%. Der Gesamtinvaliditätsgrad ist 24% + 21% = 45%. Sie hätte so Anspruch auf eine Viertelsrente.

Die Rente würde dann für die Zukunft, auf den zweiten Monat, der der IV-Verfügung folgt, herabgesetzt (Art. 88bis Abs. 2 lit. a IVV).

Freundlicher Gruss

Daniel Schilliger