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Haftpflichtdeckung bei gesundheitsbedingten Mieterschäden

Veröffentlicht:
21.12.2020
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Kindes- und Erwachsenenschutz

Guten Tag

Ich wende mich an Sie mit einer Versicherungsfrage bzgl. eines Klienten, welchen ich im Rahmen einer Vertretungsbeistandschaft gestützt auf Art. 394 i.V.m. Art. 395 ZGB betreue. Es geht dabei um die Kostendeckung der Haftpflichtversicherung bei Mieterschäden, welche der diagnostizierten Polytoxikomanie zuzuordnen sind. Die Versicherung schliesst Schäden, welche "zu erwarten waren oder in Kauf genommen worden sind" gm. AVB aus. Es stellt sich die Frage inwiefern die gesundheitliche Situation als Gegenargument angebracht werden kann, da die Schäden ja nicht willentlich entstanden sind resp. willentlich in Kauf genommen worden sind, sondern vielmehr Ausdruck der Erkrankung sind. Grundsätzlich ist die Urteilsfähigkeit des Klienten gegeben, unter erfolgem Suchtmittelkonsum punktuell jedoch nicht. Eine grundsätzliche Urteilsunfähigkeit hätte ebenfalls zur Folge, dass die Kosten nicht gedeckt wären, da dann kein Verschulden vorliegen würde und der Klient nicht haftbar gemacht werden könnte.

Da er bei Mandatsaufnahme keine eigene Haftpflichtversicherung mehr abschliessen konnte, wurde er über die Haftpflichtversicherung des Zweckverbands versichert.

Aktuell hat die Swisscaution die Kosten gedeckt, stellt nun aber dem Klienten aufgrund der Zertifikatsunterzeichnung durch ihn eine horrende Rechnung, welche in einen Verlustschein laufen würde. Insofern hätte der Klient künftig keine Möglichkeit mehr für eine Kautionsversicherung.

Besten Dank für die Prüfung des Falles und und Ihre Rückmeldung.

Freundliche Grüsse

Tanja Sieber

Leiterin Berufsbeistandschaft

SA FH /MAS Sozialrecht

 

Berufsbeistandschaft Bezirk Hinwil

Joweid  Zentrum 1

8630 Rüti

Tel.:   055 536 32 20 / 36 (direkt)

Mail:  tanja.sieber@bb-hinwil.ch

Frage beantwortet am

Urs Vogel

Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz

Erwägungen

Gemäss Art. 18 ZGB vermag eine urteilsunfähige Person durch ihre Handlungen keine Rechtwirkung herbeiführen. Wer sich aufgrund einer psychischen Krankheit mit Medikamenten oder Drogen in den Zustand der Urteilsunfähigkeit versetzt, kann dafür meist nichts, denn dies geschieht gerade aufgrund der psychische Erkrankung (Polytoxikomanie stellt gemäss F19 der ICD-10-GM-2020 Systematik eine psychische Störung dar) und damit ohne Verschulden (siehe auch BGE 103 II 330 E. 4a). Unter der Annahme, dass der Klient diese Schäden tatsächlich in seinem Drogenrausch begangen hat, kann er somit nicht haftbar gemacht werden.  

Vorliegend hat die Versicherung mit dem Passus «Schäden, die zu erwarten waren oder in Kauf genommen worden sind» eine Haftung bei Urteilsunfähigkeit nicht explizit ausgeschlossen. Daher hat sie den Schaden übernommen unter der Annahme der sogenannten Billigkeitshaftung (Art. 54 OR). Nach überwiegender Lehre und Rechtsprechung ist in die Billigkeitserwägungen das Bestehen einer Haftpflichtversicherung zugunsten des Urteilsunfähigen mit einzubeziehen (BSK OR I-Kessler, Art. 54 N 8, m.w.H.; BK OR-Brehm, Art. 54 N 28). Wenn die urteilsunfähige Person für den Schaden versichert ist, ist es billig, dass sie trotz Urteilsunfähigkeit haftet und der Geschädigte nicht auf seinem Schaden sitzen bleibt.

Ein Regressrecht des Versicherers auf die versicherte Person richtet sich nach Art. 72 VVG. Die Billigkeitshaftung steht aber gerade nicht für den Regress des Versicherers oder anderer Haftpflichtiger auf den versicherten Urteilsunfähigen offen. Ist erstellt, dass die versicherte Person den Schaden in einem Zustand der Urteilsunfähigkeit, hervorgerufen durch eine psychische Erkrankung, verursacht hat und seine Versicherung den Schaden gedeckt hat, so steht dem Versicherer kein Rückgriffsrecht auf die betroffene Person zu. Die horrende Rechnung ist somit ungerechtfertigt.

Ich empfehle Ihnen, sich mit der Versicherung diesbezüglich nochmals auseinanderzusetzen und sich nötigenfalls an die Ombudsstelle der Privatversicherer zu wenden: https://www.svv.ch/de/branche/regulierung-und-aufsicht/ombudsman-der-privatversicherung-und-der-suva

Im Anhang lege ich Ihnen einen aktuellen Beitrag von A.F.Rusch/A. Schwizer, Haftung, Versicherung und Schadenabwälzung bei urteilsunfähigen Personen, in:  HAVE 2020, S. 353 ff. bei, der die allgemneinen Voraussetzungen beleuchtet.

Kulmerau, 23.12.2020

Urs Vogel

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