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Gültigkeit Vollmacht

Veröffentlicht:
02.02.2021
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Kindes- und Erwachsenenschutz

Grüezi!

Ein junger Erwachsener bezieht seit Volljährikgeit eine IV-Rente wegen Minderintelligenz (IQ um 55-60) respektive eines allgemeinen Entwicklungsrückstandes (intellektuell, motorisch, sozial, sprachlich). Ergänzend dazu bekommt er EL.

Er wohnt zusammen mit seinen Eltern im gleichen Haushalt.  Eine Tagesstruktur hat er nicht. Bei der KESB gingen div. Meldungen von Seiten der Polizei ein wegen seinem teilweise auffälligen Verhalten in der Öffentlichkeit, weshalb ein Verfahren eröffnet wurde. Im Laufe des Verfahrens stellte sich die Frage, ob die von ihm erteilte Vollmacht an seinen Vater, welcher sich um seine finanziell/administrativen Angelgenheiten kümmert, rechtsgültig ist. Die Vollmacht geht nicht über die Urteilsunfähigkeit hinaus. Schliesslich wurde die Begutachtung angeordnet. Der Gutachter kommt zum Schluss, dass eine psychische Störung im Sinne von Art. 426 ZGB vorliegt (leichte Minderintelligenz mit deutlicher Verhaltensstörung). Betreffend Urteilsfähigkeit hält er fest, dass diese in elementaren Fragen und Situationen unbeeinträchtigt sei (erkennt, dass ein Feuer heiss sei und ein Messer scharf, etc.). Er könen aber nicht davon ausgegangen werden, dass er ein Verständnis der Folgen seines Handelns im Rechtskontext habe. Er könne nicht abschätzen, inwieweit sein Verhalten zu rechtlichen Konsequenzen führe. 

Wir sind der Meinung, dass er nicht in der Lage ist, den Bevollmächtigen zu überwachen und es deshalb eine rechtsgültige Vertretung im Sinne einer Beistandschaft braucht. Wir haben vorgeschlagen, den Vater als Beistand zu ernennen und diesen von der Rechenschaftspflicht zu entbinden. Die Familie ist anderer Meinung. Sie meint, die Vollmacht sei gültig und es brauche keine Massnahme. Der beigezogene Anwalt der Familie bestreitet die Urteilsunfähigkeit und folglich die Ungültigkeit der Vollmacht.  Er hält fest, dass selbst bei einer Urteilsunfähigkeit keine Beistandschaft anzuordnen wäre. Das Kriterium sei die Schutzbedürftigkeit und bei entsprechender Vorsorge oder familiärer Unterstützung im Rahmen des gesetzlichen Vertretungsrechts könne die Schutzbedürftigkeit wegfallen. Eine Beistandschaft komme nur zum Zug, wenn die familiäre Unterstützung nicht ausreiche.

Frage: Wie schätzen Sie die Situation ein?

Besten Dank für die Antwort im Voraus.

Frage beantwortet am

Karin Anderer

Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz

Sehr geehrte Frau Giger

Nicht klar ist mir, ob sich der Gutachter zur Gültigkeit der Vollmacht äussert und zur Frage, ob der Herr die Tätigkeit des beauftragten Vaters zu kontrollieren vermag.

Die Aussage des Gutachters, dass der Herr kein Verständnis über die Folgen seines Handelns im Rechtskontext habe und er nicht abschätzen könne, inwieweit sein Verhalten zu rechtlichen Konsequenzen führe, weist m.E. auf eine Urteilsunfähigkeit hin, zumindest in sachlicher Hinsicht. Die Aussage lässt vermuten, dass der Herr den beauftragten Vater nicht zu kontrollieren vermag. Die Frage, ob die Vollmacht gültig zustande kam, ist damit aber nicht beantwortet. Geht man von einem „statischen“ Schwächezustand aus, was der Fall sein könnte, so dürfte der Herr auch im Zeitpunkt der Vollmachtserteilung urteilsunfähig gewesen sein.

Wenn die Vollmacht gültig zustande kam, dann hat sie ihre Wirksamkeit mit Eintritt der Urteilsunfähigkeit verloren, da eine Weitergeltungsklausel nach Art. 35 OR fehlt. Und die Vollmacht ist nicht gültig zustande gekommen, wenn der Herr im Zeitpunkt der Errichtung Urteilsunfähig war.

Es gibt, ausserhalb einer gültigen Vollmacht, einer Patientenverfügung oder eines Vorsorgeauftrags, keine „familiäre Unterstützung im Rahmen des gesetzlichen Vertretungsrechts“ wie das der Anwalt schreibt. Die Eltern haben kein gesetzliches Vertretungsrecht, mit Ausnahme der Vertretung bei medizinischen Massnahmen nach Art. 378 ZGB.

Streng rechtlich betrachtet, wäre eine Beistandschaft zu errichten. Es fragt sich allerdings, ob die Interessen des Sohnes in finanzieller und administrativer Hinsicht gefährdet sind, oder ob das der Vater tadellos ausübt, wenn auch ohne gültige Vollmacht. Gemäss Sachverhalt gab es Gefährdungsmeldungen wegen „auffälligen Verhaltens in der Öffentlichkeit“. Hier ist der Bereich der Personensorge angesprochen, der mit der Frage, ob die Vollmacht gültig ist, im Kern nicht zusammenhängt. Was sagen die Eltern und der Anwalt zur zu den Vorfällen, die zu den Gefährdungsmeldungen geführt haben? Was haben sie bisher unternommen, auch hinsichtlich einer Tagesstruktur?

Ob es zielführend sein könnte, die Eltern für die notwendige Personensorge zu sensibilisieren, unterstützen und gewinnen und die Vollmachtfrage mal so stehen zu lassen, unter der Voraussetzung, dass die KESB sich von einer korrekten finanziellen und administrativen Vertretung überzeugen konnte, könnte alternativ geprüft werden. Man muss ihnen aber klar sagen, dass sie jederzeit Gefahr laufen, dass die Vollmacht im Rechtsverkehr nicht akzeptiert werden könnte, sie bewegen sich auf „dünnem Eis“. Dann führt kein Weg an der KESB vorbei.

 

Ich hoffe, die Angaben sind nützlich und ich grüsse Sie freundlich.

 

Luzern, 9.2.2021

Karin Anderer