Zum Inhalt oder zum Footer

Fragen zur Auszahlung von Freizügigkeitsgelder

Veröffentlicht:
07.10.2022
Kanton:
Solothurn
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialversicherungsrecht

Wir führen die Einkommens- und Vermögensverwaltung von Frau M. Frau M. ist 64 Jahre alt, AHV-Rentnerin, EL-Bezügerin, wohnt im Altersheim und ist voll pflegebedürftig. Sie hat knapp Fr. 16'000.- auf einem Freizügigkeitskonto der Stiftung Auffangeinrichtung BVG. Ausserdem hat sie Verlustscheine in der Höhe von ca. 30'000.-, aber keine neuen laufenden Betreibungen.

Fragen:

  • Kann das Geld vom Betreibungsamt gepfändet werden, wenn ich es auszahlen lasse?
  • Wenn das Geld auf einem normalen BVG-Konto wäre und ich es eine Rente umwandeln lassen würde, würde es dann gepfändet werden?
  • Was mache ich bestenfalls mit dem Geld? Lasse ich es auszahlen, wenn sie eine grössere Anschaffung machen wollen würde?

Anderer Fall:

Frau S. ist 46 Jahre alt, bezieht eine Witwenrente, EL und wohnt in einem betreuten Wohnen. Sie hat eine Freizügigkeitspolice bei der AXA mit ca. Fr. 15'000.-. Auch sie hat Verlustscheine sowie laufende Schulden über Fr. 40'000.-.

Frage:

  • Sollte das Guthaben auf der Freizügigkeitspolice fürs Alter angespart werden bzw. wann macht es Sinn, das Guthaben auszahlen zu lassen?
  • Würde das Geld gepfändet werden, wenn es monatlich als Rente ausbezahlt werden würde?
  • Wie verhält sich allgemein die Auszahlung von Freizügigkeitskonti und Schulden? Gibt es da etwas wichtiges zu beachten?

Frage beantwortet am

Nadja D'Amico

Expert*in Sozialversicherungsrecht

Guten Tag

1.

Da die Ergänzungsleistungen die Deckung der laufenden Lebensbedürfnisse bezwecken, gilt der Grundsatz, dass bei der Anspruchsberechnung nur tatsächlich vereinnahmte Einkünfte und vorhandene Vermögenswerte zu berücksichtigen sind, über die der Leistungsansprecher ungeschmälert verfügen kann (statt vieler BGE 127 V 248 E. 4a). Solange Vermögenswerte nicht verzehrbar sind, d.h. ein Zugriff darauf gesetzlich, statuarisch oder vertraglich noch nicht möglich ist, sind sie beim Vermögen nicht anrechenbar. Demgemäss sind Kapitalsummen aus der 2. und 3. Säule ab dem Zeitpunkt beim Vermögen anzurechnen, in dem für die versicherte Person die Möglichkeit besteht, diese zu beziehen (siehe Art. 16 FZV für die Auszahlung der Altersleistungen von Freizügigkeitspolicen und Freizügigkeitskonten). Klären Sie zunächst, ob bei der jungen Witwe eine Auszahlung der Freizügigkeitsguthabens zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt möglich ist.

Das anrechenbare Reinvermögen nach Art. 11 Abs. 1 Bst. c ELG ergibt sich nach Abzug der nachgewiesenen Schulden (Art. 17 Abs. 1 ELV). Es können nur Schulden berücksichtigt werden, welche die wirtschaftliche Substanz des Vermögens belasten. Das trifft zu, wenn der Schuldner ernsthaft damit zu rechnen hat, dass er sie begleichen muss. Daher sind Schulden, für die ein Verlustschein ausgestellt wurde, nur dann abzugsfähig, wenn der Schuldner über neues Vermögen verfügt bzw. er damit rechnen muss, dass der Gläubiger seine Forderung geltend machen wird (weitere Hinweise BGE 142 V 311 E. 3.3).

Vorliegend liegen die Vermögenswerte weit unter dem EL-Vermögensfreibetrag bei Alleinstehenden von CHF 30'000 (Art. 11 Abs. 1 Bst. c ELG), womit die Berücksichtigung der Schulden nicht relevant ist. Ohnehin haben die Frauen sehr hohe Ausgaben, da ihr EL-Anspruch der Heimberechnung (zumindest in Fall 1) unterliegt. Aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht kann das ausgezahlte Freizügigkeitsguthaben zur Deckung der persönlichen Bedürfnisse frei verwendet werden.

 

2.

Renten der AHV und IV sowie Ergänzungsleistungen können nicht gepfändet werden (Art. 92 Abs. 1 Ziff. 9a SchKG). Unpfändbar sind auch Ansprüche auf Vorsorge- und Freizügigkeitsleistungen gegen ei­ne Einrichtung der beruflichen Vorsorge vor Eintritt der Fällig­keit (Art. 92 Abs. 1 Ziff. 10 SchKG). Demgegenüber können Pensionen und Leistungen jeder Art, die einen Erwerbsausfall oder Unterhaltsanspruch abgelten, namentlich Renten und Kapitalabfindungen, die nicht nach Artikel 92 unpfändbar sind, so weit gepfändet werden, als sie nach dem Ermessen des Betreibungsbeamten für den Schuldner und seine Fa­mi­lie nicht unbedingt notwendig sind (Art. 93 Abs. 2 SchKG).

Das heisst, sobald man das auf einem PK- oder Freizügigkeitskonto liegende Geld bezieht – egal, ob als Rente oder als Kapitalabfindung –, ist es beschränkt pfändbar. Im Falle der Auszahlung eines Freizügigkeitsguthabens wird das Geld in eine hypothetische monatliche Rente umgerechnet. Solange das ausgezahlte Geld für den Lebensunterhalt verwendet wird, ist nur jener Teil pfändbar, der das betreibungsrechtliche Existenzminimum übersteigt. Angesichts der finanziellen Gesamtsituation der beiden Frauen sehe ich für die Gläubiger wenig Erfolgsaussichten.

Ihre Fragen betreffen insbesondere Schuldenthemen, dafür verweise ich an Doris Platania (Rechtsberatung – Schuldenberatung). Dennoch hoffe ich, dass Ihnen die aufgezeigten Grundsätze weiterhelfen.

Freundlicher Gruss

Nadja D’Amico