Zum Inhalt oder zum Footer

Finanzierung Kindesschutzmassnahmen

Veröffentlicht:
20.08.2018
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialhilferecht

Guten Tag.
Ein Mann wird im Kanton Aargau mit materieller Hilfe unterstützt.
Er hat eine Tochter, welche in einem anderen Kanton wohnt.
Gemäss Entscheid der zuständigen Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (nicht Kanton Aargau) wird ein begleitetes Besuchsrecht angeordnet und die Kosten für die Begleitung dem Vater auferlegt.
Die Frage ist, welche Sozialhilfebehörde für die Kosten des begleiteten Besuchsrechts im interkantonalen Vergleich zuständig ist?
Aus meiner Sicht ergeben sich folgende sozialhilferechtlichen Zuständigkeiten:
Der Vater des Kindes hat im Aargau Unterstützungswohnsitz
Der Unterstützungswohnsitz des Kindes leitet sich von demjenigen der Mutter ab, bei der es wohnt und liegt nicht im Kanton Aargau.
Im Innerkantonalen Vergleich wäre die Gemeinde am zivilrechtlichen Wohnsitz des Kindes für die Kosten zuständig. (vgl. § 67 Abs 5 EG ZGB Aargau)
Gemäss § 67 Abs 5 EG ZGB hat die Gemeinde (hier zivilrechtliche Zuständigkeit gemeint) Kindesschutzmassnahmen zu bevorschussen. Dies ist jedoch kantonales Recht.
Dass der Vater für die Kosten des begleiteten Besuchsrechts aufkommen muss bestreite ich nicht. Er kann diese Kosten derzeit jedoch nicht tragen. Ich stelle mich auf den Standpunkt, dass die Kostenpflicht damit nicht automatisch auf die Gemeinde übergeht, welche den Vater unterstützt.
Ich bin gespannt auf Ihre Rückmeldung.
Freundliche Grüss
Andreas Frey

Frage beantwortet am

Ruth Schnyder

Expert*in Sozialhilferecht

Sehr geehrter Herr Frey
Gerne beantworte ich Ihre Frage. Im Kern geht es bei Ihrer Frage um die Rechtsnatur des von der KESB angeordneten begleiteten Besuchsrecht. Es stellt sich die Frage, ob es sich um einen Aspekt der Wahrnehmung des persönlichen Verkehrs zwischen Eltern und Kind gemäss Art. 273 Abs. 1 ZGB oder um eine Kindesschutzmassnahme nach Art. 273 Abs. 2 oder 308 ZGB handelt.
In der Sozialhilfepraxis wird das begleitete Besuchsrecht wohl häufig der Wahrnehmung des persönlichen Verkehrs zugeordnet. In diesem Sinne kann etwa das Zürcher Sozialhilfe-Behördenhandbuch Ziffer 8.1.11 unter 3. verstanden werden. Die Kosten im Zusammenhang mit der Wahrnehmung des persönlichen Verkehrs gelten nach Kap. C.1.3 der SKOS-Richtlinien als situationsbedingte Leistungen, die dem bedürftigen, besuchsberechtigten Elternteil zustehen (vgl. Guido Wizent, Die sozialhilferechtliche Bedürftigkeit, Dike 2014, S. 359 ff.; siehe dazu auch die Rechtsprechung im Bereich des betreibungsrechtlichen Existenzminimums Urteil des Bundesgerichts 7B.145/2005 vom 11. Oktober 2005 E.3.2). Das Aargauer Handbuch Soziales (2015) enthält auch eine entsprechende Regelung unter Ziff. 7.7. Danach sind die Kosten zur Ausübung des Besuchsrechts zu Gunsten des besuchsrechtsberechtigten Elternteils zu übernehmen, soweit der obhutsberechtigte Elternteil diese nicht finanzieren kann. Würde ein begleitetes Besuchsrecht als Teil der Ausübung des Besuchsrechts betrachtet werden, wäre die Kostentragung im dargelegten Sinne zu handhaben. In Ihrem Fall müssten diese Kosten dem Vater als situationsbedingte Leistungen vergütet werden.
Das begleitete Besuchsrecht ist aber als Kindesschutzmassnahmen einzustufen und daher weniger als Teil der Besuchsrechtsausübung zu betrachten. Unter dem begleiteten Besuchsrecht wird eine Besuchsrechtsbeistandschaft verstanden (Margot Michel/Christine Schlatter, in: Kurzkommentar ZGB, Hrsg. Andrea Büchler, Dominique Jakob, Basel 2018, Rz. 21 zu Art. 273). Diese stellt eine Kindesschutzmassnahme nach den Art. 307 ff. ZGB dar (ebd.). Auch eine Weisung, den Besuch in einem Begegnungstreffpunkt wahrzunehmen, wäre also solche zu verstehen, wenn auch die Grundlage in Art. 273 Abs. 2 ZGB zu suchen ist (ebd., Rz. 20).
Die Finanzierung von Kindesschutzmassnahmen ist Teil der Unterhaltspflicht der Eltern nach Art. 276 Abs. 2 ZGB. D.h. sie müssen vorrangig diese Kosten tragen. Eine entsprechende Regelung enthält auch Ziff. 14.4 des Aargauer Handbuchs Soziales zur Kostentragung bei ambulanten Massnahmen. Im Handbuch wird jedoch lediglich der Fall dargelegt, wo die Eltern mit dem Kind einen gemeinsamen Unterstützungswohnsitz haben. In Ihrem Fall sind die Eltern jedoch getrennt: Das Kind hat den Unterstützungswohnsitz bei seiner Mutter - in einem anderen Kanton als der Vater, der seinen im Kanton Aargau hat. Wenn der Vater, dem die Kosten für das begleitete Besuchsrecht auferlegt wurden, diese nicht tragen kann, stellt sich die Frage, wer dafür einstehen muss. Aufgrunddessen, dass die Kosten für die Kindesschutzmassnahme zum Unterhalt gezählt wird, drängt sich die gleiche Handhabung auf wie beim Ausbleiben des Unterhaltsbeitrags. Dies würde bedeuten, dass das Gemeinwesen, das für die Unterstützung des Kindes zuständig ist (Art. 12 i.V.m. Art. 7 ZUG), für diese Kosten aufkommen und den säumigen Elternteil belangen müsste. Dieses Ergebnis kann als stossend wahrgenommen werden, wenn der Elternteil die Ursache für das begleitete Besuchsrecht gesetzt hat. Diese Handhabung ist aber bei dauerhaften Fremdplatzierungen nicht unbekannt, so auch im Aargauer Handbuch Ziff. 14.3 Abschnitt 1:
«Begründet das Kind einen eigenen Unterstützungswohnsitz, ist bei Leistungsunfähigkeit der Eltern ein eigenes Sozialhilfedossier zu führen und die Kosten sind dem Sozialhilfekonto des Kindes zu belasten. Trägt die Sozialhilfe die Kosten für stationäre Kindesschutzmassnahmen, so hat die Sozialbehörde gemäss Subsidiaritätsprinzip, gestützt auf Art. 289 Abs. 2 ZGB (öffnet in einem neuen Fenster), bei den Eltern für die Dauer der stationären Kindesschutzmassnahmen Beiträge einzufordern.“
In diesem Sinne kann ich Ihre Auffassung teilen, dass die Kosten nicht ohne weiteres dem Sozialhilfekonto des Vaters belastet werden können. Vielmehr spricht einiges dafür, dies analog der Fremdplatzierungsfälle zu handhaben, womit das Konto des Kindes belastet würde. Nachteil dieses Ergebnisses ist, dass die Mutter im Falle einer Rückerstattungspflicht diese Kosten ebenfalls zurückerstatten müsste, was stossend ist. Das Kind selber ist i.d.R von einer Rückerstattungspflicht befreit.
Nach dem Gesagten wäre rechtlich begründbar, weshalb die Kosten für das begleitete Besuchsrecht dem Sozialhilfekonto des Kindes zu belasten sind. Die vorliegend vertretene Auffassung ist jedoch nicht als absolut zu verstehen. Ich empfehle Ihnen deshalb, sich mit dem für das Kind zuständigen Sozialdienst zu verständigen und auch die KESB in die Entscheidfindung einzubeziehen.
Ich hoffe, Ihre Frage damit beantwortet zu haben und Sie können mit diesen Ausführungen die weiteren Schritte in ihrem Fall einleiten.
Freundliche Grüsse, Ruth Schnyder