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Familiär bedingte Absenztage vs. Krankheitstage

Veröffentlicht:
01.06.2022
Kanton:
Basel-Landschaft
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Arbeitsrecht

Grüezi miteinander

Folgende Frage tauchte im Kontext betriebliche Sozialarbeit auf:

Der Ehemann einer Mitarbeiterin ist verstorben an einem Wochenende (Sa). Aufgrund der schwierigen Umstände rund um den Todesfall, liess sich die Mitarbeiterin/Ehefrau ab dem darauf folgenden Montag für ca. 3 Monate krank schreiben. Da der Ehemann vom Ausland ist, gab es nebst der Trauer viel zu organisieren und die Abdankung findet erst jetzt, d.h. ca. 4 Monate nach Todesfall statt - und zwar nicht in der Wohnregion sondern ca. 4h Fahrtzeit weg. Nun ist der Mitarbeiterin aufgefallen, dass der Arbeitgeber die ihr zustehenden 5 Absenztage (gemäss Reglement bei Todesfall Ehepartner) in die erste (krank geschriebene) Woche ins Zeiterfassungs-System einpflegte und das erste Arztzeugnis von der ersten Arbeitswoche einbehielt. Die Mitarbeiterin nimmt nun Ferien um die Abdankung zu organisieren / teilzunehmen.

Zusätzlich kann ich sagen, dass im GAV folgender Passus zu finden ist: 'Für dringende Familienangelegenheiten oder besondere, unaufschiebbare Anlässe wird in der Regel innerhalb von zwei Wochen ab Entstehung des Ereignis hin ....Freizeit ohne Kürzung Lohn/Ferienanspruch gewährt...'

Und: ' Das Gesuch (für die Absenz) kann nachträglich gestellt und bewilligt werden, wenn die MA in diesem Zeitraum wegen der dringenden Angelegenheit oder dem besonderen, unaufschiebbaren Anlass an der Arbeitsleistung verhindert waren.'

Es stellt sich die Frage, ob das Vorgehen so korrekt ist? Was könnte 'in der Regel' in diesem Fall bedeuten? Und wie steht die Krankschreibung der familiär bedingten Absenz gegenüber? 

Vielen Dank im Voraus für Ihre Einschätzung und freundliche Grüsse

Frage beantwortet am

Kurt Pärli

Expert*in Arbeitsrecht

Guten Tag

Gerne beantworte ich Ihre Frage wie folgt:

Bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit besteht ein Anspruch auf Lohnfortzahlung nach Art. 324a OR, wobei die gesetzliche Regelung durch eine gleichwertige oder bessere Lösung ersetzt werden kann. Zu unterscheiden ist der Anspruch auf Lohnfortzahlung nach Art. 324a OR vom Anspruch auf die "üblichen freien Stunden" nach Art. 329 Abs. 3 OR. Unter dieser Bestimmung werden auch Todesfälle naher Angehöriger subsumiert. Art. 329 Abs. 3 OR gewährt allerdings nur einen Anspruch auf Arbeitsbefreiung, nicht aber auf Lohn während dieser Zeit. Ein Lohnanspruch besteht dann, wenn entweder der Einzelarbeitsvertrag, das Personalreglement oder ein GAV einen Lohnanspruch für die Arbeitsbefreiung während solcher Ereignisse vorsehen oder aber - bei Fehlen solcher Regelungen - wenn ein sehr persönlicher Grund für die Abwesenheit vorliegt gestützt auf Art. 324a OR (beim Tod des Ehegatten dürfte dies zu bejahren sein).

Gemäss Sachverhalt ist auf das vorliegende Arbeitsverhältnis ein GAV anwendbar. Eine Regelungen im GAV betreffend Arbeitsbefreiung und Lohnanspruch beim Tod naher Angehöriger geht den OR-Bestimmungen vor (die GAV-Regelung darf einfach für den Arbeitnehmer nicht schlechter als sein als das Gesetz).

Vorliegend schreibt der GAV vor, dass für dringende Familienangelegenheiten Freizeit ohne Kürzung von Lohn und Ferienanspruch gewährt wird, beim Tode des Ehegatten sind dies fünf Tage. Weiter erwähnt der GAV, dass dieser Anspruch in der Regel innerhalb von zwei Wochen a Entstehung des Ereignisses gewährt wird.

Soweit ich Ihre Schilderungen verstehe, gewährte die Arbeitgeberin der Mitarbeiterin fünf  Tage freie Zeit während Zeitspanne, in der die Arbeitnehmerin krank geschreiben war. Nun ist die Mitarbeiterin wieder arbeitsfähig und jetzt findet die Beerdigung statt. Da die fünf Tage Freizeit wegen dem Todesfall/Beerdingung aber bereits kompensiert sind, muss die Mitarbeiterin Ferien beziehen.

Diese Ausgangslage beurteile ich wie folgt:

- Wenn ihre Klientin nach dem Tod ihres Mannes krankheitsbedingt arbeitsunfähig war, dann geht dieser Grund der Arbeitsabwesenheit dem Grund "Tod/Beerdigung Ehegatte" vor. Folglich hätte ihr Klientin einen Anspruch darauf, die fünf Tage Absenz nach Wiederaufleben ihrer Arbeitsfähigkeit zu beziehen.

- Die GAV-Bestimmung sieht vor, der Absenzenanspruch sei in der Regel innert 14 Tagen nach Ereignis geltend zu machen. In der Regel bedeutet, dass es Ausnahmen gibt und die durch Sie geschilderten Umstände stellen eine solche Ausnahme dar.

Zwischenergebnis: Ihre Klientin hat den Anspruch auf die 5tätige Absenz, das Einspeisen der Absenz ins Arbeitszeitsystem während der Krankheitsphase ist unzulässig.

Ergänzung: Sie schreiben, ihre Klientin hätte sehr viel zu tun gehabt mit dem Organisieren der Beerdigung usw. Wenn sie dazu in der Lage war, könnte dies auch als Indiz dafür gewertet werden, dass sie während dieser Zeitspanne gar nicht oder zumindest nur teilweise arbeitsunfähig war. Dieser Umstand könnte aus Arbeitgebersicht Anlass geben, die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit zu bestreiten, so dass im Ergebnis der Bezug der fünf Tage Absenz zu einem früheren Zeitpunkt doch zulässig ist.

Sie sehen, die Rechtslage ist nicht so klar im vorliegenden Fall. Ein Nachbezug der fünftätigen Absenz kann meines Erachtens nur dann verlangt werden, wenn ein Arztzeugnis klar festhält, dass ihre Klientin in der fraglichen Zeit weder arbeitsfähig war noch in der Lage, sich um Organisatorisches zukümmern. Nur unter diesen Umständen würde sich der Bezug der fünftätigen Absenz zum späteren Zeitpunkt rechtfertigen.

Genügen Ihnen diese Angaben?

Mit Dank für die Kenntnisnahme und freundlichen Grüssen

Kurt Pärli

Sehr geehrter Herr Pärli

herzlichen Dank für Ihre Antwort, die mir sehr weiter hilft.

Bzgl. Ihres Hinweises i.S. Organisation Todesfall vs. Krankschreibung kann ich ergänzend sagen, dass die Mitarbeiterin nach einer gewissen Zeit nur noch halbtags krank geschrieben war, was ihr die Organisation m.E. auch ermöglicht hat. Da es sich um einen Suizid handelte denke ich, dass die volle Krankschreibung grad zu Beginn der Zeit nach dem Todesfall gerechtfertigt war - aber ev. könnte ein Gericht das anders sehen?

Freundliche Grüsse

Frage beantwortet am

Kurt Pärli

Expert*in Arbeitsrecht

Guten Tag

Der Suizid des Ehegatten ist zweifellos ein Grund, der zumindest während einer gewissen Zeit auch eine ganze Krankschreibung als gerechtfertigt erscheinen lässt.

Sie erwähnen, dass ihre Klientin nach einer gewissen Zeit nur noch halb arbeitsunfähig gewesen sei. Hat Sie dann die andere Hälfte gearbeitet? An sich wäre auch möglich gewesen, dass ihre Klientin ihren Anspruch auf fünf Tage Absenz in diesem Zeitraum hätte stellen können.

In der vorliegenden Situation würde ich der Klientin raten, bei der Arbeitgeber um Nachgewährung der fünf Tage zu bitten und ggf. einer Lösung "halbe/halbe" zuzustimmen, zusätzliche Gewährung von z.B. 2 oder 2.5 Tagen für die nun anstehende Beerdigung.

mit Dank für die Kenntnisnahme und freundlichen Grüssen

Kurt Pärli