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Ergänzunsleistungen Einschränkungen der Arbeitsbemühungen

Veröffentlicht:
03.07.2017
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialversicherungsrecht

Liebes Expertenteam
folgende Anfrage erreichte uns in der Beratung:
Eine Klientin, 38-jährig mit halber IV-Rente und Ergänzungsleistungen hat im Monat 8-10 Arbeitsbemühungen zu erbringen. Im Gegenzug wird ihr das hyp. Einkommen nicht angerechnet. Im Kanton Zug wird dies auch gemacht, wenn die Klientel nicht zur Arbeitsvermittlung beim RAV angemeldet sind. Die Auflagen sind jedoch gleich streng wie auch beim RAV.
Nun schreibt die EL der Klientin folgendes
"Die Stellenbemühungen müssen für Erwerbstätigkeiten erfolgen, welche den med. Vorgaben gemäss IV entsprechen. Die Tätigkeiten, auf die Sie sich bewerben, müssen rückenschonend sein und ein Pensum von mind. 50% erreichen. Stellen welche jedoch über 80% sind, sind nicht adäquat. Stellen als Verkäuferin und in der Kinderbetreuung sind nicht geeignet. Wir können allfällige Bewerbungen welche nicht den Vorgaben entsprechen nicht zu den 8-10 Stellenbewerbungen zählen."
Auf Schreiben der Psychologin, dass Stellen in der Kinderbetreuung möglich wären und Einwände der Klientin, dass sie sehr wohl im Verkauf zb. einer Bijouterie arbeiten könnte, wurde seitens EL nicht eingegangen. Anzumerken ist, dass gerade diese Stellen die angestammten Berufe der KL sind.
Kann die EL die Klientin dermassen einschränken? Woher nimmt sie das Recht dazu?
(Wenn Klientel jeweils geltend machen, dass sie in ihrem angestammten Beruf nicht mehr erwerbstätig sind, so entgegnet die EL, dass man dann halt eine IV-Revision anstossen müsse, da man ja so krank sei.)
In diesem Falle ist die KL bereit, ihre Resterwerbsfähigkeit von 50% voll zu verwerten, wird jedoch von der EL aus "medizinischen Gründen" davon abgehalten. Es ist ihr kaum möglich die nun geforderten 8-10 Bewerbungen zu erbringen geschweige denn realistischerweise eine Stelle zu erhalten.
Wie kann hier vorgegangen werden?
Besten Dank für Ihre Rückmeldung.
Freundliche Grüsse

Frage beantwortet am

Peter Mösch Payot

Expert*in Sozialversicherungsrecht

Sehr geehrte Frau Imboden
A) In Konkretisierung von Art. 11 lit. g ELG besagt Art. 14a ELV zur Anrechnung von (hypothetischem) Erwerbseinkommen bei der EL Folgendes:
Art. 14a ELV
1 Invaliden wird als Erwerbseinkommen grundsätzlich der Betrag angerechnet, den sie im massgebenden Zeitabschnitt tatsächlich verdient haben.
2 Invaliden unter 60 Jahren ist als Erwerbseinkommen jedoch mindestens anzurechnen:
a. der um einen Drittel erhöhte Höchstbetrag für den Lebensbedarf von Alleinstehenden nach Artikel 10 Absatz 1 Buchstabe a Ziffer 1 ELG bei einem Invaliditätsgrad von 40 bis unter 50 Prozent;
b. der Höchstbetrag für den Lebensbedarf nach Buchstabe a bei einem Invaliditätsgrad von 50 bis unter 60 Prozent;
c. zwei Drittel des Höchstbetrages für den Lebensbedarf nach Buchstabe a bei einem Invaliditätsgrad von 60 bis unter 70 Prozent.
3 Absatz 2 ist nicht anwendbar, wenn:
a. die Invalidität von Nichterwerbstätigen aufgrund von Artikel 27 der Verordnung vom 17. Januar 1961 über die Invalidenversicherung festgelegt wurde; oder
b. der Invalide in einer Werkstätte im Sinne von Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe a des Bundesgesetzes vom 6. Oktober 2006 über die Institutionen zur Förderung der Eingliederung von invaliden Personen (IFEG) arbeitet.
B) Die Verwaltungsweiungen zur EL (Wegleitung über die Ergänzungsleistungen zu AHV und IV (WEL), neueste Fassung Stand 1.1.2016; vgl https://www.bsvlive.admin.ch/vollzug/documents/view/1638/lang:deu/category:59) fassen zusammen, bzw. konkretisieren zur Thematik des Mindesteinkommens bei teilinvaliden Personen was folgt. Sie finden diesen Auszug aus den WEL wegen dessen grossen praktischen Bedeutung untenstehend angefügt.
Kein Mindesteinkommen ist anzurechnen, wenn die Invalidität von Nichterwerbstätigen auf Grund von Artikel 27 IVV (Haushaltsvergleich) festgelegt worden ist oder wenn die invalide Person in einer geschützten Werkstätte im Sinne von Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe a IFEG arbeitet
Demgegenüber wird nach WEL Rz. 3424.04 ausnahmsweise ein noch höheres hypothetisches Erwerbseinkommen angerechnet, wenn die EL-beziehende Person eine ihr zumutbare Tätigkeit freiwillig aufgegeben hat; wenn die EL-beziehende Person eine ihr offenstehende Stelle nicht angetreten hat oder wenn sich die EL-beziehende Person weigert, an Eingliederungsmassnahmen teilzunehmen.
Vor diesem Hintergrund ist sehr ratsam, so sehr wie nötig und möglich die entsprechende Mitwirkungspflicht zu erfüllen.
C) Im vorliegenden Fall interessiert besonders der ausnahmsweise Verzicht auf eine Anrechnung der Pauschalbeträge als hypothetisches Einkommen bei Teilinvaliden.
Gemäss der Rechtsprechung gilt (siehe auch WEL 3424.06) der genannte Art. 14a Absatz 2 ELV eine gesetzliche Vermutung dar, wonach die teilinvalide Person die festgelegten Grenzbeträge grundsätzlich erzielen kann. Die Vermutung kann durch den Nachweis von objektiven und subjektiven invaliditätsfremden Gründen, welche die Realisierung eines Einkommens verhindern oder erschweren, umgestossen werden.
WEL Rz. 3424.07 (1/16) besagt, dass insbesondere der EL-beziehenden Person kein hypothetisches Einkommen angerechnet werden darf, wenn eine der nachstehenden Voraussetzungen erfüllt ist:
a) Die versicherte Person findet trotz ausreichender Arbeitsbemühungen keine Stelle. Diese Voraussetzung gilt als erfüllt, wenn die Person beim RAV zur Arbeitsvermittlung angemeldet ist sowie qualitativ und quantitativ ausreichende Stellenbemühungen nachweist;
b) Die versicherte Person bezieht Taggelder der Arbeitslosenversicherung;
c) Der Ehegatte der versicherten Person müsste ohne deren Beistand und Pflege in einem Heim platziert werden;
d) Die versicherte Person hat das 60. Altersjahr vollendet.
D) Es ist zu beachten, dass diese Arbeitsbemühungen sich auf den Bereich beziehen müssen, bei welchem gemäss Entscheid der IV eine Resterwerbsfähigkeit besteht, weil ja im übrigen eine Erwerbsunfähigkeit angenommen wird und eine IV-Rente (und ev. ergänzende eine BVG-Rente) gewährt werden.
Vor diesem Hintergrund ist es zulässig für den Verzicht auf die Anrechnung des Pauschalbetrages zu verlangen, dass Arbeitsbemühungen sich beziehen auf Stellen, welche sich grundsätzlich gemäss der im IV-Verfahren festgestellten gesundheitlich möglichen Restarbeitsfähigkeit und auf die aktuelle Arbeitsfähigkeit bezieht. Sollte sich die gesundheitliche Situation im Vergleich zur Grundlage des IV-Entscheides wesentlich verbessert haben, wäre eine Revision notwendig.
E) In casu ist es im Ergebnis eine Beweisfrage, ob und wie die Auflage der Ausgleichskasse zulässig ist.
Entscheidend ist der Nachweis von objektiven und subjektiven invaliditätsfremden Gründen, welche die Realisierung eines Einkommens verhindern oder erschweren.
Eine genaue Antwort kann hier nur mit Durchsicht der gesundheitsbezogenen IV-Akten gegeben werden. Es ist anzustreben, dass belegt werden kann, dass Stellen gesucht werden, die mit Blick auf die Resterwerbsfähigkeit trotz Teilinvalidität medizinisch möglich sind.
Hilfreich könnte dabei ein Schreiben eines Arztes sein, der in den medizinischen Teilgebieten spezialisiert ist, welche Hauptthema der Invalidität sind. Das ist gemäss Beschreibung hier ein Rückenspezialist (und nicht unbedingt eine Psychologin).
Es ist zu raten, dass ein solcher Bericht eingeholt und der Ausgleichskasse/EL-Stelle mitgeteilt wird. Und dann Grundlage bietet bezüglich der gewählten Arbeitsbemühungen.
Im Weiteren ist zu verlangen, dass die EL nicht mehr verlangt als möglich und zumutbar bezüglich Arbeitsbemühungen. Sollten acht bis 10 Arbeitsbemühungen in concreto nicht möglich oder zumutbar sein, wäre dies gegenüber der EL mit Begründung mitzuteilen und eine Anpassung der Auflage zu verlangen
Rechtlich ist dies notwendig, weil ansonsten droht, dass die EL-Stelle das hypothetische Einkommen bzw. die Pauschalbeträge wieder anrechnet. Erfolgt dies zu Unrecht, so ist Einsprache dagegen zu erheben.
Ich hoffe, das dient Ihnen.
Prof. Peter Mösch Payot
ANHANG Auszug WEL
3424.01: Teilinvaliden Personen wird als Erwerbseinkommen grundsätzlich der Betrag angerechnet, den sie im massgebenden Zeitpunkt tatsächlich verdient haben.
3424.02: Teilinvaliden Personen unter 60 Jahren ist als Nettoerwerbseinkommen jedoch ein Mindestbetrag, der nach dem Invaliditätsgrad abgestuft ist, nach folgender Tabelle anzurechnen:
Invaliditätsgrad in Prozent Nettoerwerbseinkommen
40 bis < 50 Der um einen Drittel erhöhte Höchst-betrag für den allgemeinen Lebensbedarf von Alleinstehenden
50 bis < 60 Der Höchstbetrag für den allgemeinen Lebensbedarf von Alleinstehenden
60 bis < 70 Zwei Drittel des Höchstbetrages für den allgemeinen Lebensbedarf von Alleinstehenden
Von diesem Nettoerwerbseinkommen werden der Freibetrag nach Absatz 2 von Rz 3421.04 und gegebenenfalls die Betreuungskosten für Kinder nach Absatz 1 von Rz 3421.04 abgezogen, und vom Rest werden zwei Drittel angerechnet.
3424.03 (1/16): Die Beträge nach Rz 3424.02 dürfen grundsätzlich nicht überschritten werden. Insbesondere ist keine Bemessung nach den Kriterien von Rz 3482.04 vorzunehmen.
3424.04 (1/16): In den folgenden Fällen darf ausnahmsweise ein höheres hypothetisches Erwerbseinkommen als das in Rz 3424.02 genannte angerechnet werden:
◾wenn die EL-beziehende Person eine ihr zumutbare Tätigkeit freiwillig aufgegeben hat;
◾wenn die EL-beziehende Person eine ihr offenstehende Stelle nicht angetreten hat;
◾wenn sich die EL-beziehende Person weigert, an Eingliederungsmassnahmen teilzunehmen.
3424.05 (1/16): In zwei Fällen ist kein Mindesteinkommen nach Rz 3424.02 anzurechnen:
◾wenn die Invalidität von Nichterwerbstätigen auf Grund von Artikel 27 IVV festgelegt worden ist;
◾wenn die invalide Person in einer geschützten Werkstätte im Sinne von Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe a IFEG arbeitet.
3424.06 (1/16): Artikel 14a Absatz 2 ELV stellt eine gesetzliche Vermutung dar, wonach die teilinvalide Person die festgelegten Grenzbeträge grundsätzlich erzielen kann. Die Vermutung kann durch den Nachweis von objektiven und subjektiven invaliditätsfremden Gründen, welche die Realisierung eines Einkommens verhindern oder erschweren, umgestossen werden.
3424.07 (1/16): Insbesondere darf der EL-beziehenden Person kein hypothetisches Einkommen angerechnet werden, wenn eine der nachstehenden Voraussetzungen erfüllt ist:
◾Die versicherte Person findet trotz ausreichender Arbeitsbemühungen keine Stelle. Diese Voraussetzung gilt als erfüllt, wenn die Person beim RAV zur Arbeitsvermittlung angemeldet ist sowie qualitativ und quantitativ ausreichende Stellenbemühungen nachweist;
◾Die versicherte Person bezieht Taggelder der Arbeitslosenversicherung;
◾Der Ehegatte der versicherten Person müsste ohne deren Beistand und Pflege in einem Heim platziert werden;
◾Die versicherte Person hat das 60. Altersjahr vollendet.
3424.08 (1/16): Im Rahmen der Anrechnung eines hypothetischen Einkommens von Artikel 14a ELV müssen die EL-Stellen von Amtes wegen eine Revision durchführen, wenn die versicherte Person das 60. Altersjahr vollendet hat. Die Anpassung der EL muss auf den dem 60. Geburtstag folgenden Monat erfolgen.
3424.09 (1/16): Macht die versicherte Person bei der EL-Anmeldung geltend, sie könne keine Erwerbstätigkeit ausüben oder nicht den Grenzbetrag erreichen, ist vor der Verfügung abzuklären, ob dies zutrifft. Die versicherte Person kann aufgefordert werden, ihre Behauptung näher auszuführen und zu belegen. Macht sie nichts dergleichen geltend, kann ohne weiteres verfügt werden.
3424.10 (1/16): Wird die Invalidenrente aufgrund einer erheblichen Änderung des Invaliditätsgrades in Revision gezogen, ist die EL (rückwirkend) auf den Zeitpunkt der Änderung des Invaliditätsgrades anzupassen.
3424.11 (1/16): Die Herabsetzung einer laufenden EL infolge der Anrechnung eines Mindesteinkommens nach Rz 3424.02 wird erst sechs Monate nach der Zustellung der entsprechenden Verfügung wirksam (vgl. Rz 4130.05). Entscheidend ist somit nicht das Verfügungsdatum, sondern das Datum der Zustellung der Verfügung. Die Frist von sechs Monaten gilt nicht für Fälle, in denen die EL rückwirkend zugesprochen wird.