Sehr geehrte Herren Experten Sozialversicherungsrecht
Meine Frage betrifft die Ergänzungsleistung bei AHV-Renten resp. Rückgriff oder Anrechnung von vorher ausbezahlten Geldern von Angehörigen.
Meine Klientin ist Miterbin (1 Geschwister, Vater als andere Erben) ihrer vor drei Jahren verstorbenen Mutter. Die Eltern haben keinen Ehe-/Erbvertrag erstellt und das liquide Vermögen der Mutter wurde zu 1/2 an den Vater, zu je 1/4 an die überlebenden Kinder ausbezahlt. Der Vater meiner Klientin bewohnte bis vor kurzem zusätzlich eine Eigentumswohnung, welche vorher ihm / der verstorbenen Ehefrau solidarisch gehörte und welche nun besitzmässig der ganzen Erbengemeinschaft Vater / Kinder gehört.
Der Vater resp. die Erbengemeinschaft (Vater / 2 Kinder, 1 davon meine Klientin) hat nun die Eigentumswohnung verkauft, und der Vater hat eine Miet-Alterswohnung bezogen.
Frage nun betrifft Sozialversicherung:
Wenn Der Anteil des Nettogewinnes / Erlöses des Verkaufs der Wohnung erbrechtsmässig zu 1/2 an die Kinder ausbezahlt wird, sind diese im Falle, wenn der Vater mittel-/längerfristig in eine Pflegeheim muss / pflegebedürftig wird und allenfalls später Ergänzungsleistungen beanspruchen muss, kann auf das von der Mutter verteilte Erbe betr. Anrechnung der EL auf die Nachkommen zurückgegriffen werden? Wenn ja, wie lange rückwärts?
Was sind da allenfalls Grenzbetrage Anrechnung Vermögen der Nachkommen?
Kann sonst bei der Berechnung der EL des Vaters auf die Nachkommen / Kinder zurückgegriffen werden? Was ist dort der Grenzbetrag Vermögen / Einkommen der Nachkommen?
Danke für Ihre Antwort und e schöne Tag,
Barbara Dennler, SOBECO
Frage beantwortet am
Peter Mösch Payot
Expert*in Sozialversicherungsrecht
Sehr geehrte Frau Dennler
a) Wenn eine Person (in ihrem Fall der Vater) Ergänzungsleistungen beantragt, dann werden gemäss Art. 10 ELG (Ergänzungsleistungsgesetz) bestimmte am sozialen Existenzminimum orientierte Ausgaben anerkannt und davon bestimmte Einnahmen (Art. 11 ELG) in Abzug gebracht.
Dabei werden auch Einkommen bzw. Vermögen angerechnet, auf welches verzichtet worden ist (Art. 11 Abs. 1 lit. g ELG). Bei Vermögensverzicht wird dann der Betrag eingerechnet, wie wenn das Vermögen noch da wäre, wobei für jedes Jahr nach dem Verzicht bis zur EL-Berechnung ein Freibetrag von CHF 10'000 berücksichtigt wird. Mit Blick auf Ihre Fragen bedeutet dies, dass bei früheren Verkäufen von Liegenschaften bzw. Erbteilungen die Ausgleichskasse prüfen wird, ob der EL-Bezüger auf Vermögenswerte verzichtet hat. Das wäre etwa der Fall, wenn Liegenschaften unter ihrem Wert verkauft wurden. Im Weiteren, wenn freiwillig im Rahmen der Erbteilung von Ansprüche verzichtet wird, und er sich mit weniger zufriedengibt als ihm gesetzlich bzw. gemäss Testament zugestanden hätte. Nach Ihrer Fallschilderung fehlen aber konkrete Hinweise auf einen solchen Vermögensverzicht.
Ein erheblicher Vermögensverzicht kann dazu führen, dass kein oder nur ein verminderter Anspruch auf EL besteht, weil ein entsprechender so genannter Vermögensverzehr angerechnet wird, obwohl jenes Vermögen ja gar nicht vorhanden ist. Die EL selber wird aber nicht direkt auf die Verwandten greifen.
In so einer Konstellation müsste der Betroffene dann häufig Sozialhilfe beantragen, weil sonst die Kosten für die Pflege und Betreuung nicht gedeckt werden können. In der Sozialhilfe darf im Prinzip kein in der Vergangenheit liegender Vermögensverzicht angerechnet werden (Finalprinzip).
b) Vom Betroffenen selbst, meist aber eher im Kontext der Sozialhilfe spielt dann die im ZGB geregelte Verwandtenunterstützungspflicht (Art. 328 und 329 ZGB) eine besondere Rolle. Und diese kann die von Ihnen angesprochenen Verwandten betreffen.
In der Praxis wird der unterstützende Sozialdienst auf die Verwandten zugehen und vor dem Hintergrund der Klagemöglichkeit, eine Vereinbarung suchen über die Verwandtenunterstützung. Die Grundlagen hierzu finden Sie in der Sozialhilfegesetzgebung (vgl. für den Kanton Aargau § 7 SPG; § 6 SPV). Für die Frage der Geltendmachung und die Berechnung der Verwandtenunterstützung im Rahmen einer solchen Vereinbarung besteht im Kanton Aargau eine besondere Richtlinie (Verwandtenunterstützungsrichtlinie VUR, SAR 851.253 zu finden unter https://gesetzessammlungen.ag.ch/frontend/versions/1116.
Dabei ist zu beachten, dass im Streitfall der Anspruch auf Verwandtenunterstützung nicht vom Sozialdienst verfügt werden kann, sondern zivilgerichtlich eingeklagt werden muss (ähnlich wie Unterhaltsansprüche). Das unterstützende Gemeinwesen kann aber diese Klage selber führen, weil im Rahmen der Unterstützung der Anspruch auf Verwandtenunterstützung vom Betroffenen an das Gemeinwesen übergeht (Art. 329 Abs. 3 ZGB).
Grundsätzlich ergibt sich aus Art. 328 und Art. 329 ZGB, dass Verwandtenunterstützung verlangt werden kann bei einer Notlage (wie sie in der von Ihnen geschildeten Konstellation der Pflege- und Betreuungsbedürftigkeit ohne eigenes Vermögen besteht).
Der Anspruch gilt nur gegenüber Verwandten in auf- oder absteigender Linie, nicht aber etwa für Geschwister. Im Weiteren ist der Anspruch auf Unterstützung gegen die Pflichtigen in der Reihenfolge ihrer Erbberechtigung geltend zu machen (also Kinder zuerst, dann Enkelkinder etc.). Kein Anspruch auf Unterstützung kann geltend gemacht werden, wenn die Notlage auf einer Einschränkung der Erwerbstätigkeit zur Betreuung eigener Kinder beruht.
Zudem müssen die Verwandten bei der Geltendmachung in günstigen Verhältnissen leben. Was dies bedeutet finden Sie annäherungsweise in den Kapiteln Kapitel F.4 und H.4 der von der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe erlassenen Richtlinien für die Ausgestaltung und Bemessung der Sozialhilfe (SKOS-Richtlinien), die gemäss der Aargau Verwandtenunterstützungsrichtlinie im Aargau mit Stand 12/08 zu beachten sind. Diese Richtlinien finden Sie auf der Homepage der SKoS.
Grob zusammengefasst berechnet man im Aargau gemäss der VUR (Stand 13.9.2018 ) eine allfällige Verwandtenunterstützung indem die effektiven Einkommen und ein Vermögensverzehr des Verwandten berechnet wird und davon die Ausgaben unter Berücksichtigung einer besonderen Pauschale (günstige Verhältnisse) abgezogen wird. Die Hälfte eines allfälligen Überschusses wird dann angerechnet als Verwandtenunterstützung.
Bei den Einnahmen rechnet man gemäss der VUR (Stand 13.9.2018 ) die effektiven Einnahmen. Plus einen Vermögensverzehr. Um diesen zu berechnen gewährt man vom steuerbaren Vermögen einen Freibetrag von CHF 250000 für Alleinstehende, von CHF 500000 für Verheiratete und von CHF 40000 pro Kind (minderjährig oder in Ausbildung). Vom Restvermögen wird dann bei den Einnahmen ein Verzehr eingerechnet. Und zwar vom 19. bis zum vollendeten 30. Altersjahr 1/60; vom 31. bis zum 40. AJ 1/50; vom 41. bis zum 50 AJ 1/40; vom 51. bis zum 60. AJ 1/30; ab dem 61. AJ 1/20.
Bei den Ausgaben wird im Aargau für einen Einpersonenhaushalt Fr. 10'000.– pro Monat, für einen Zweipersonenhaushalt Fr. 15'000.– pro Monat. Für jedes minderjährige oder in Ausbildung stehende Kind wird ein Zuschlag von Fr. 1'700.– pro Monat als Zuschlag für gehobene Lebensführung gewährt.
In Fällen, wo das Vermögen des Verwandten in einem direkten Zusammenhang steht mit der Bedürftigkeit (etwa nach Schenkungen an den Verwandten etc.) kann die Unterstützungspflicht auch bei geringeren Einkommen und Vermögen geprüft werden.
Ich hoffe, das dient Ihnen.
Prof. Peter Mösch Payot
Herzlichen Dank, Herr Mösch für Ihre Ausführungen, und ein erholsames Wochenende! Freundliche Grüsse, Barbara Dennler