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Ergänzungsleistung für Rollstuhlfahrer mit Eigentumswohnung

Veröffentlicht:
17.01.2018
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialversicherungsrecht

Frau K. ist Rollstuhlfahrerin und besitzt eine Eigentumswohnung. Sie bezieht eine IV-Rente und seit 2009 Ergänzungsleistungen. Von Beginn an war bei ihrer Anmeldung zur EL angegeben, dass sie Rollstuhlfahrerin ist.
Nun bin ich als ihr Beistand in der aktuellen Wegleitung über die Ergänzungsleistungen zur AHV und IV darauf gestossen, dass Personen im Rollstuhl (Wegleitung 3.2.3.4 Rollstuhlgängige Wohnung) ein um 3600 CHF höherer Mietzins zuerkannt wird.
Unter „3.2.3.6.02 Anerkannte Ausgaben bei Wohneigentum ..“ ist jedoch zu lesen, dass bei Personen, die eine Liegenschaft bewohnen, die ihnen selbst gehört, ausschliesslich eine Pauschale als Nebenkosten anerkannt wird. Die Pauschale beträgt bei Alleinstehenden wie auch bei Ehepaaren pro Jahr 1680 Franken.
In der Folge werden bei meiner Mandantin in der EL-Berechnung lediglich 1680 Franken als Nebenkosten anerkannt. Auch in dem lesenswerten Ratgeber von pro infirmis Behindert - was tun? (im Internet abrufbar) steht auf Seite 251, dass bei Rollstuhlfahrern mit einer eigenen Wohnung lediglich eine Pauschale von 1680 Franken berücksichtigt wird.
Nach meiner Meinung stellt dies eine Diskriminierung von Behinderten dar und kann nicht im Sinne des Gesetzgebers sein. Denn erstens steht die Pauschale von 1680 Franken auch Nicht-Rollstuhlfahrern mit EL-Anspruch und einer Eigentumswohnung zu und zweitens wären Eigentumswohnungsbesitzer mit Rollstuhl gegenüber Mietern mit Rollstuhl benachteiligt. In meinem Fall käme hinzu, dass meine Mandantin zudem eine hoch verschuldete Wohnung hat und es extrem schwierig wäre, eine behindertengerechte Wohnung in gleich adäquater Nähe ihrer Arbeitsstelle zu finden.
Gibt es einen Gerichtsentscheid zu dieser Frage? Ist der vom Gesetzgeber anerkannte Lastenausgleich in Höhe von 3600 Franken für Rollstuhlfahrer bei Mietwohnungen mit dem Terminus „Nebenkosten“ bei Wohneigentum überhaupt gleich zu setzen?
Dann noch eine Nebenfrage: Falls meinem Rechtsempfinden stattgegeben werden muss, wie lange zurück hat meine Mandantin Anspruch auf Rückerstattung dieses Lastenausgleichs? Die zuständige Sachbearbeiterin bei der Ausgleichskasse, die keine Auskunft darüber geben konnte, ob auch Eigentumswohnungsbesitzer Anspruch auf die 3600 Fr haben, sagte, dass keine Rückerstattung möglich sei, da von unserer Seite ja nie Einspruch gegen den EL Entscheid erfolgt sei. Gilt diese Aussage auch, wenn von Anfang an die Tatsache, dass es sich um eine Rollstuhlfahrerin handelt der Ausgleichskasse bekannt war?

Frage beantwortet am

Peter Mösch Payot

Expert*in Sozialversicherungsrecht

Sehr geehrter Herr Koch
Sie haben da einen interessanten Aspekt aufgebracht, der etwas genauere Ausführungen nötig macht.
a) Für die bei der EL anrechenbaren Wohnkosten wird nach geltendem Recht differenziert, ob Wohneigentum besteht oder ob jemand zur Miete wohnt.
b) Bei Mietwohnungen wird für die Miete und die Nebenkosten ein Höchstbetrag von CHF 13 200 Franken jährlich bei alleinstehenden Personen und bei Ehepaaren und Personen mit rentenberechtigten Waisen oder mit
Kindern, die einen Anspruch auf eine Kinderrente der AHV oder IV begründen ein Betrag für Miete und NK von höchstens 15 000 Franken jährlich angerechnet (Art. 10 Abs. 1 lit. b ELG).In vielen Fällen ist dieser Höchstbetrag unzureichend im Vergleich zu den tatsächlichen Wohnkosten für Mieterinnen und Mieter, mit oder ohne Rollstuhl.
Tatsächlich besagt Art. 10 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 der aktuellen Fassung des ELG ergänzend, dass bei Bedarf nach einem Rollstuhl für die notwendige Miete ein Betrag von CHF 3600 zur höchstens anrechenbaren Jahresmiete angerechnet werden.
c) Wenn jemand eine Eigentumswohnung oder eine Liegenschaft besitzt und selber bewohnt (oder zur Nutzniessung nutzt), so ist bei den Ausgaben der steuerrechtliche Mietwert als Miete einzurechnen. Und zusätzlich der pauschale Gebäudeunterhalt von CHF 1680.
Dabei gilt als Höchstbetrag das was als Miete angerechnet werden könnte (siehe unter b). Die Erhöhung um CHF 3600 gilt auch hier. Insoweit ist insoweit aus meiner Sicht keine Diskriminierung erkennbar. Vgl. WEL (Stand 1.1.2018 ), Rz. 3236.01 bis 3236.03)
d) Bei selbstbewohnten Liegenschaften können zusätzlich Gebäudeunterhaltskosten und Hypothekarzinse bis zur Höhe des Bruttoertrages der Liegenschaft als Ausgabe angerechnet werden (Art. 10 Abs. 3 lit. b ELG). Grundsätzlich gilt dabei der für den Gebäudeunterhaltsabzug gültige Satz der kantonalen Steuern, wo es keinen solchen gibt, derjenige der Bundessteuern. Weiter besagt Art. 16a Abs. 3 ELV i.V.m. Art. 9 Abs. 5 lit. e ELG, dass bei selbstbewohntem Wohneigentum als anrechenbare Ausgaben zusätzlich Nebenkosten von pauschal CHF 1680 angerechnet werden können.
e) Die aus der Wegleitung gewonnen Informationen finden eine Gesetzes- und Verordnungsgrundlage. Bezüglich der Pauschalierung der Unterhaltskosten in Art. 16 ELV besteht auch bestätigende Rechtsprechung (vgl. Bundesgerichtsurteil 9C_822/2009 vom 7.5.2010).
f) Bei Eigentümern einer Wohnung ist bezüglich Mietkosten der Unterschied zu Mietern nur, dass als Miete der steuerliche Mietwert gilt, und dass bei den Nebenkosten nicht diejenigen des Mietvertrages möglich sind, sondern die Pauschale zur Anwendung kommt. Hier wie dort wird aber bei rollstuhlgängigen Wohnungen der höchstanrechenbare Betrag für das Wohnen bei Bedarf nach einem Rollstuhl erhöht.
Im Weiteren wird dann aber bei Wohnungseigentümern der Mietwert auch auf der Einnahmenseite eingerechnet gestützt auf Art. 11 Abs. 1 lit. b UND auf der anderen Seite werden bei den Ausgaben wie dargestellt Hypothekarzins und Gebäudeunterhalt bis höchstens zum Bruttoertrag einberechnet.
g) Eine Rollstuhlnotwendigkeit kann besondere Investitionen zur Folge haben, welche sich in einem Vermögensverbrauch, in vielen Fällen auch in einer Erhöhung der Hypothekarzinskosten, ev. auch des Unterhalts niederschlagen. Alles Werte, die auf der Ausgabenseite (bis zur Bruttomiete der Wohnung) Berücksichtigung finden. Ein allfälliger Umbau kann aber auch den Liegenschaftswert erhöhen, was eventuell das bei den Einnahmen anrechenbare Vermögen erhöhen kann – wenn es über die besonderen Vermögensfreibeträge fällt.
h) Aus meiner Sicht kann ich in den geltenden Regeln keine besondere Diskriminierung Behinderter erkennen. Die Erhöhung des Höchstbetrages der anrechenbaren Miete um CHF 3600 bei Rollstuhlbedarf gilt auch bei Wohneigentum in dem Sinne, dass dann auch dort der Höchstbetrag des anrechenbaren Mietwertes (inkl. Nebenkosten) erhöht wird.
i) Aus meiner Sicht entfällt damit die Frage nach einer Revision. Sollte in diesem Fall aber doch nachträglich ein erheblicher Fehler der Rechtsanwendung bemerkt werden so richtet sich die Revision nach Art. 53 Abs. 2 ATSG. Es kann eine Wiedererwägung beantragt werden, wobei diese im Ermessen der Versicherung liegt und in jedem Fall voraussetzt, dass ein Entscheid zweifellos unrichtig ist und an der Berichtigung erhebliche Interessen bestehen. Zu beachten sind weiter die allg. Verjährungsfristen (5 Jahre) gemäss Art. 24 ATSG.
Ich hoffe, das dient Ihnen.
Peter Mösch Payot