Guten Tag
Situation:
Der Kindsmutter wurde das Aufenthaltsbestimmungsrecht nach Art. 310 Abs. 1 ZGB entzogen und das Kind bei den Grosseltern mütterlicherseits platziert. Kurze Zeit später anerkannte der Vater das Kind, die Eltern erklärten die gemeinsame elterliche Sorge und der Vater beantragte die Umplatzierung des Kindes zu seiner eigenen Mutter (Grossmutter väterlicherseits), mit der Platzierung des Kindes bei den Grosseltern mütterlicherseits ist er nicht einverstanden. Die Abklärungen haben ergeben, dass die Umplatzierung nicht im Sinne des Kindeswohls wäre und sich die Unterbringung bei den Grosseltern mütterlicherseits weiterhin als geeignet erweist. Zum Schutz des Kindes und des Bestandes der Platzierung ist vorgesehen, dem Vater das Aufenthaltsbestimmungsrecht ebenfalls zu entziehen.
Nun folgende Fragen:
- Bildet für den geplanten Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts Art. 310 Abs. 1 ZGB oder Art. 310 Abs. 3 ZGB die Grundlage?
- Kann allenfalls das Aufenthaltsbestimmungsrechts gestützt auf Art. 310 Abs. 1 und 3 ZGB entzogen werden oder konkurrenzieren sich die beiden Absätze?
Besten Dank für Ihre Bemühungen im Voraus.
Freundliche Grüsse
Sereina Spescha
Frage beantwortet am
Karin Anderer
Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz
Sehr geehrte Frau Spescha,
das Aufenthaltsbestimmungsrecht der alleinsorgeberechtigten Mutter wurde nach Art. 310 Abs. 1 ZGB aufgehoben und das Kind wurde platziert. Über das Aufenthaltsbestimmungsrecht verfügt seitdem die KESB.
Durch die später erfolgte Vaterschaftsanerkennung und die gemeinsame Erklärung der Eltern vor dem Zivilstandesamt kam die gemeinsame elterliche Sorge zustande (Art. 298a ZGB). Allerdings konnte sich die Mutter, nach meinem Dafürhalten, mit dem Vater zu diesem Zeitpunkt nicht mehr über den Aufenthalt des Kindes einigen bzw. eine Regelung treffen, da sie kein Aufenthaltsbestimmungsrecht mehr innehatte. Kraft Gesetz verfügt der Vater über das Aufenthaltsbestimmungsrecht, dies ist ein Bestandteil der elterlichen Sorge (Art. 301 Abs. 1 ZGB).
Gesetzlich ist nicht geregelt, was in Fällen geschieht, wenn Kindesschutzmassnahmen vor Erlangung der gemeinsamen elterliche Sorge errichtet wurden. Fallen bestehende Kindesschutzmassnahme dann von Gesetzes wegen dahin? M.E. lässt die nachträgliche Erlangung einer gemeinsamen elterliche Sorge eine bestehende Kindesschutzmassnahme nicht von Gesetzes wegen hinfällig werden (vgl. dazu Kurt Affolter-Fringeli, Rollen und Verantwortlichkeiten bei behördlicher Fremdunterbringung eines Kindes – Zur Aufgabenabgrenzung zwischen KESB, Pflegeplatzverantwortlichen, Erziehungsbeistand und kostenpflichtigem Gemeinwesen, in: FS Geiser Brennpunkt Familienrecht, S. 30 und FN 21 mit Hinweis auf BGer 5A_550/2016 vom 3. Februar 2017).
Der Vater übt fortan das Aufenthaltsbestimmungsrecht mit der KESB zusammen aus und hat sich nun mit der KESB über den Aufenthalt des Kindes zu verständigen. Solange er mit dem KESB-Entscheid einverstanden ist, ist sein Aufenthaltsbestimmungsrecht nicht aufzuheben. Nach dem Verhältnismässigkeits- und Subsidiaritätsprinzip ist m.E. das Aufenthaltsbestimmungsrecht des Vaters nur dann aufzuheben, wenn er mit der Platzierung nicht einverstanden ist und damit das Kindeswohl gefährdet. Im Idealfall kann er die „Mängel“ der Mutter, die kein Aufenthaltsbestimmungsrecht mehr innehat, kompensieren, dann steht der Aufhebung der Massnahme nichts im Weg. Ist er mit dem KESB-Entscheid nicht einverstanden, muss die KESB eine Verfügung erlassen.
Art. 310 Abs. 1 ZGB hebt das Aufenthaltsbestimmungsrecht auf, Art. 310 Abs. 3 ZGB untersagt die Rücknahme von einem konkreten Pflegeplatz. Art. 310 Abs. 3 ZGB wird in der Regel angewandt, wenn Eltern eine freiwillige Platzierung rückgängig machen wollen und das Kind durch die Rücknahme gefährdet würde; es ist eine Sonderform der Aufhebung des Aufenthaltsbestimmungsrechts (KOKES-Praxisanleitung Kindesschutzrecht, RZ 2.96). Dem Vater gegenüber wurde das Aufenthaltsbestimmungsrecht nicht entzogen, war er doch bei Errichtung der Massnahme noch nicht bekannt. Mit der Erlangung der gemeinsamen elterlichen Sorge erhielt er das Aufenthaltsbestimmungsrecht. In dieser Konstellation kann m.E. Art. 310 Abs. 3 ZGB gewählt werden.
Die Anordnung von Art. 310 Abs. 1 und 3 ZGB führt im Ergebnis zum gleichen Resultat mit dem Unterschied, dass nach Abs. 1 das Aufenthaltsbestimmungsrecht aufgehoben und das Kind platziert wird und nach Abs. 3 eine Rücknahme von einem bereits bestehenden Pflegeplatz untersagt wird. Deshalb ist je nach Ausgangslage Abs. 1 oder Abs. 3 zu wählen.
Ich hoffe, die Angaben sind nützlich und grüsse Sie freundlich.
Luzern, 5.3.2019
Karin Anderer
Sehr geehrte Frau Anderer
Herzlichen Dank für Ihre hilfreichen Ausführungen.
Freundliche Grüsse
Sereina Spescha