Sehr geehrte Damen und Herren,
zum Themenbereich der Einschränkung der Wahlfreiheit der oblig. Krankenkassengrundversicherung (OKP) vor dem Hintergrund der sozialhilferechtlichen Minderungspflicht habe ich folgende zwei Fragen:
a) Ist es möglich, die Wahlfreiheit der OKP (gestützt auf Art. 4 KVG) seitens des Sozialamtes gegen den Willen der unterstützten Person dahingehend einzuschränken, dass mittels Verfügung nur noch die günstigere Prämie im Budget berücksichtigt wird? (in Appenzell Ausserrhoden gibt es keinerlei gesetzliche Grundlagen, welche eine Einschränkung der Wahlfreiheit zulässt).
b) Ist es möglich, ebenfalls vor dem Hintergrund der Minderungspflicht eine unterstützte Person in ein "Hausarztmodell" ihrer Krankenversicherung mittels Verfügung zu verpflichten?
Besten Dank für eine Einschätzung.
Marco Kuhn
Frage beantwortet am
Ruth Schnyder
Expert*in Sozialhilferecht
Sehr geehrter Herr Kuhn
Gemäss Art. 15 des Appenzell Ausserrohdner Gesetzes über die Einführung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (EG zum KVG) haben Bezüger von wirtschaftlicher Sozialhilfe Anspruch auf vollständige Verbilligung jedoch höchstens bis zur ganzen Richtprämie, welche der Regierungsrat gemäss Art. 4 Abs. 1 lit. a EG zum KVG jährlich festlegt. Soweit die Prämie eines Sozialhilfebezügers bzw. einer Sozialhilfebezügerin diesen Richtwert überschreitet, sehen die SKOS-Richtlinien (SKOS-RL) in Kap. B.5 vor, dass die Sozialhilfe diesen Teil im Sinne der materiellen Grundsicherung übernimmt. Appenzell Ausserhoden verweist in der Sozialhilfeverordnung (SHV) auf die SKOS-RL, so dass die zitierte Regelung mangels anderslautender Bestimmung verbindlich ist (Art. 3 SHV). Übernimmt demnach die Sozialhilfe Prämien, kann Ihre Frage zur Senkung der Prämienkosten nur den Teil betreffen, welcher den Richtwert gemäss Beschluss übersteigt. Denn der Richtwert steht dem Bezüger bzw. der Bezügerin von Sozialhilfe auf jeden Fall zu, so der eingangs erwähnte Art. 15 EG zum KVG, wenn seine Prämien höher ausfallen.
Für den durch den Richtwert nicht gedeckten Teil kann meiner Meinung nach die Sozialhilfe auf Grundlage von Art. 21 SHG die Auflage erteilt werden, kostensenkende Massnahmen zu ergreifen. Diese Massnahmen müssen jedoch im Sinne von Art. 5 der Bundesverfassung verhältnismässig, d.h. geeignet sein, die Lage der hilfsbedürftigen Person und ihrer Angehörigen zu verbessern (so auch Art. 21 SHG) sowie notwendig und zumutbar. Es handelt sich um eine Abwägung im Einzelfall. Falls es lediglich darum geht, die Krankenkasse zu wechseln, um die Prämien zu senken, stellt dies im Regelfall wohl eine verhältnismässige Auflage dar. Dabei ist aber stets zu prüfen, ob ein Wechsel überhaupt möglich ist. Ist ein solcher etwa wegen Prämienausständen nicht möglich, würde es sich um eine ungeeignete Auflage handeln.
Wird eine Erhöhung der Franchise oder der Wechsel ins Hausarztmodell in Betracht gezogen, ist mehr Vorsicht geboten. Gerade eine höhere Franchise kann bei Personen, die regelmässig Gesundheitsausgaben haben, ein Schuldenrisiko darstellen, wenn sie von der Sozialhilfe abgelöst werden. Auch das Hausarztmodell sollte im Einzelfall auf die Frage der Verhältnismässigkeit geprüft werden, gerade wenn damit ein Wechsel des Hausarztes bzw. der Hausärztin verbunden wäre. Im Idealfall sollte die Wahl zwischen den verschiedenen kostendämpfenden Massnahmen gelassen werden können, so dass der Bezüger bzw. die Bezügerin den Eingriff möglichst geringhalten kann.
Die Sozialhilfe hat jedenfalls solange die höhere Prämie zu übernehmen, als eine zumutbare Senkung realistischerweise nicht umgesetzt werden kann. Die Auflage, eine kostensenkende Massnahme zu ergreifen, sollte mit Verfügung angeordnet werden. Darin wäre festzuhalten, welche Konsequenzen es hat, wenn die Auflage nicht befolgt würde. Dabei käme lediglich eine Kürzung der Unterstützungsleistungen im Sinne von Art. 22 SHG in Frage und zwar maximal im Umfang als die Kosten mit der zumutbaren Massnahme realistischerweise gesenkt werden könnten.
Ich hoffe, Ihnen mit diesen Ausführungen Ihre Fragen beantworten zu können.
Freundliche Grüsse
Ruth Schnyder