Sehr geehrter Herr Mösch
Ich bin Beistand von einem jungen Mann, Jahrgang 1992, der leider an Schizophrenie erkrankt ist und eine IV-Rente bezieht. Da er bis September 2016 Krankentaggeld bezogen hatte, wurde im Oktober 2016 vorsorglich sowohl bei seiner letzten Pensionskasse Phönix ein Antrag gestellt auf IV-Leistungen aus der Pensionskasse. Ebenso wurde ein vorsorglicher Antrag auf Ergänzungsleistungen gestellt.
Da die Versicherungsbelege und Lohnbelege aus seiner Arbeitnehmerzeit rudimentär sind, haben wir bisher nur einen Kontoauszug aus der AHV als Beleg , dass er u.a. von Juli bis November 2014 Lohn von der Zeitarbeitsfirma Brefis in Zürich bezogen hat. Da er als ausgebildeter Elektriker für die fünf Monate einen Lohn in Höhe von 15579 Fr bezogen hat, wäre er - auf das Jahr umgerechnet - mit seinem Lohn über die nötigen 21150 Fr Mindestlohn gekommen und war somit nach meiner Meinung BVG-pflichtiger Arbeitnehmer. Der Treuhänder der Zeitarbeitsfirma hat sich jedoch heute darauf berufen, dass mein Mandant nur 13 Wochen bei Ihnen gearbeitet hätte, der Zeitraum im Kontoauszug der AHV käme so zustande, dass noch Feriengeld ausgezahlt worden sei.
Ausserdem sei er zu jung für eine BVG-Anmeldung gewesen. (Er war im Juli 2014 21 Jahre und 10 Monate.) Der Mitarbeiterin der Pensionskasse hatte er noch gesagt, dass die 13 Wochenfrist in dem Gesamtarbeitsvertrag der Firma Brefis stünde. Daher hätten sie meinen Mandanten auch nicht für eine BVG-Risikoversicherung angemeldet.
Auffällig ist in meiner Wahrnehmung dieses Vorgangs noch, dass der Treuhänder trotz Mahnung der Pensionskasse seit dem 13. Mai bis zu meinem heutigen Anruf nicht auf die Anfrage der Pensionskasse geantwortet hatte und auch der Pensionskasse bisher nur eine mündliche Auskunft gegeben hat. Seine Adresse hatte mir die Pensionskasse auch erst heute bekannt gegeben, nachdem ich zum mindestens fünften Male nachgebohrt hatte…
Meine Frage an Sie lautet nun:
Steht ein Gesamtarbeitsvertrag rechtlich über den allgemeinen BVG-Richtlinien, nach denen eine Versicherungspflicht bei einem entsprechenden Gehalt ab dem 18. Lebensjahr besteht, wenn keine Begrenzung des Arbeitsvertrags auf weniger als drei Monate besteht?
Die Begründung des Treuhänders, dass die Zeitarbeitsfirmen sonst einen enormen Aufwand hätten, kann ich schlecht anerkennen, da ich weiss, dass die Leiharbeitsfirmen einen erheblichen Teil des Geldes für sich beanspruchen, das ihre Auftraggeber für den jeweiligen Arbeitseinsatz zahlen.
Wenn ich mit meinem Rechtsempfinden Recht habe, wie gehe ich am besten vor, um die Rechte für meinen Mandanten geltend machen zu können?
Noch ein wichtiger Nachtrag: Mir ist soeben noch ein wichtiger Beleg in die Hände gekommen, dass mein Mandant vom 24.09.2014 bis zum 26.11.2014 laut ärztlicher Bescheinigung 100% arbeitsunfähig hospitalisiert war.
Das bedeutet, dass er in dieser Zeit noch als Arbeitnehmer der Zeitarbeitsfirma anzusehen ist, da er ja noch im November (laut AHV-Auszug) Gehalt bekommen hat. Oder sehe ich das bei Zeitarbeitsfirmen falsch?
Herzlichen Dank im Voraus für Ihre Bemühungen.
Freundliche Grüsse
Frage beantwortet am
Daniel Schilliger
Expert*in Sozialversicherungsrecht
Guten Tag Herr Koch
Sie schreiben von Zeitarbeit und verweisen auf die Firma Brefis. Ich gehe daher davon aus, dass Sie Temporärarbeit meinen. Bei solchen Beschäftigungsverhältnissen liegt ein Dreiecksverhältnis vor: Zwischen dem Temporärbüro und dem Einsatzbetrieb regelt ein Verleihvertrag die Modalitäten. Der eigentliche Arbeitsvertrag besteht zwischen dem Temporärbüro und dem Arbeitnehmer (Art. 2 BVV 2). Zwischen Einsatzbetrieb und Arbeitnehmer besteht hingegen keine vertragliche Bindung.
Zum GAV: Ein GAV ist grundsätzlich nur für die angeschlossenen Betriebe gültig. Ein solcher existiert seit 2012 auch für die Personalverleihbranche (www.swissstaffing.ch bzw. www.tempsservice.ch). Die Brefis hat sich gemäss meiner Suche auf den erwähnten Seiten offenbar dem GAV nicht angeschlossen.
Mit Bundesratsbeschluss vom 13.12.2011 (SR 221.215.311 ) wurden jedoch diverse Bestimmungen dieses GAV ab 2012 für allgemeinverbindlich erklärt. Die Allgemeinverbindlicherklärung gilt demgemäss für alle Betriebe, die
a. Inhaber einer eidgenössischen oder kantonalen Arbeitsverleihbewilligung
nach Arbeitsvermittlungsgesetz sind und
b. gemäss Artikel 66 des Unfallversicherungsgesetzes in der Klasse 70C
SUVA-versichert sind und
c. bezüglich der verliehenen Arbeitnehmenden pro Kalenderjahr eine Lohnsumme
von mindestens 1 200 000.– Franken aufweisen.
Davon ausgehend, dass die Brefis diese Kriterien erfüllt, würden die allgemeinverbindlichen Bestimmungen also für sie gelten. Genauer könnte die paritätische Berufskommission darüber Auskunft geben, ob Brefis dazugehörte oder nicht: www.tempservice.ch Kontakt.
Je nach Branche könnte Ihr Klient damals auch noch einem anderen GAV unterstanden haben. Das Verhältnis zwischen diesen beiden GAV’s regelt der oben erwähnte Bundesbeschluss so, dass der GAV Personalverleih vorgeht, ausser wenn der andere GAV allgemeinverbindliche Regeln bezüglich Lohn- und Arbeitszeitbestimmungen enthält. Dann gehen diese vor.
Vom anderen GAV nicht übernommen werden hingegen insbesondere die Bestimmungen bezüglich der beruflichen Vorsorge sofern die im GAV Personalverleih vorgesehenen Lösungen mindestens gleichwertig mit den Bestimmungen der für die Branchen gültigen allgemeinverbindlich erklärten GAV sind. Auch hier müsste man also prüfen, ob Ihr Klient damals noch einem anderen GAV unterstand und ob dieser allgemeinverbindliche Regeln betreffend die berufliche Vorsorge beinhaltete.
Art. 31 des obenerwähnten Bundesbeschlusses regelt die berufliche Vorsorge beim Personalverleih wie folgt: Der Arbeitgeber und die Arbeitnehmenden sind gemäss den Bestimmungen des BVG verpflichtet, sich einer Einrichtung der beruflichen Vorsorge anzuschliessen. Das Reglement hat mindestens folgende Punkte sicherzustellen: Arbeitnehmende mit Unterstützungspflichten gegenüber Kindern obligatorisch ab 1. Tag; Übrige Arbeitnehmende freiwillig ab 1. Tag; Arbeitnehmende mit unbestimmter Vertragsdauer oder Verträgen, die auf eine längere Zeit als 3 Monate eingegangen wurden obligatorisch ab 1. Tag; Arbeitnehmende mit zeitlich beschränkten Verträgen bis zu 3 Monaten nicht versicherungspflichtig, freiwillige Möglichkeit; Bei Verlängerung eines vorbestehenden Vertrages auf über 3 Monate
ab Kenntnis obligatorisch; Ab der 14. Arbeitswoche immer obligatorisch.
Um zu prüfen, ob Ihr Klient von Brefis hätte versichert werden müssen, muss also genau feststehen von wann bis wann das Arbeitsverhältnis bestand bzw. ob und wann es verlängert wurde. Massgebend sind Arbeitsvertrag und Kündigung. Das können Sie bei ihr anfordern. Zudem würde ich das Reglement der Pensionskasse der Brefis bei ihr anfordern.
Die zwingenden Bestimmungen des BVG sind auch in diesem Fall gültig (auch dann also, wenn kein GAV greift). So beginnt die Versicherung (sofern der Mindestlohn erreicht wird) nach Vollendung des 17. Altersjahres, was vorliegend also erfüllt ist.
Betreffend die Dauer des Arbeitsverhältnisses verweise ich auf obige Ausführungen und Art. 1k BVV 2: Arbeitnehmer mit befristeten Anstellungen oder Einsätzen sind der obligatorischen Versicherung unterstellt, wenn das Arbeitsverhältnis ohne Unterbruch über die Dauer von drei Monaten hinaus verlängert wird: In diesem Fall ist der Arbeitnehmer von dem Zeitpunkt an versichert, in dem die Verlängerung vereinbart wurde.
Die Berechnung des versicherten Verdienstes ist wiederum im obenerwähnten Bundesbeschluss geregelt (Art. 31). Wie Sie richtig schreiben ist gemäss Art. 2 Abs. 2 BVG, der Lohn auf einen Jahreslohn umzurechnen um zu prüfen ob die Eintrittsschwelle erreicht wurde. Auch dieses Erfordernis dürfte also erfüllt sein.
Zusammenfassend deutet einiges darauf hin, dass Ihr Klient versichert war. Die Versicherungspflicht besteht von Gesetzes wegen (sobald der Arbeitgeber sich einer Pensionskasse angeschlossen hat). Zwar hätte der Arbeitgeber den Arbeitnehmer der Pensionskasse melden müssen. Die unterlassende Meldung ändert aber nichts daran, dass er versichert war.
Die Frage bleibt, ob die Pensionskasse dann auch tatsächlich zuständig wäre um eine IV-Rente auszurichten. Erforderlich wäre, dass die Arbeitsunfähigkeit, die schliesslich zur Invalidität führte, während der versicherten Anstellung begann (Art. 23 BVG).
Die letzte Information schliesslich, nämlich die der Arbeitsunfähigkeit, hat einen Einfluss auf die Dauer des Arbeitsverhältnisses. Dieses hat sich möglicherweise verlängert (Art. 336c OR), sofern es nicht von vornherein befristet war.
Ich empfehle, dass - wenn Sie mit dem Arbeitgeber nicht weiterkommen – Sie sich direkt mit der Pensionskasse in Verbindung setzen unter Vorlage des Arbeitsvertrages, Kündigung, Lohnabrechnungen und IK-Auszuges.
Freundlicher Gruss
Daniel Schilliger