Guten Tag
Mein Klient hat nach 16 Jahren die Kündigung erhalten. Dies weil er Anfangs Jahr ein Gerichtsurteil wegen sexueller Belästigung eines Minderjährigen erhalten hat (die Firma distanziert sich mit dieser Kündigung von diesem Verhalten). So wie es aussieht muss er 6 Monate bedingt (von 30 Monaten) in Haft - hätte er die Stelle gehabt, hätte er Halbgefangenschaft leisten könne.
Es stellt sich nun die Frage wie er bei der Bewerbung respektive bei einem allfälligen Bewerbungsgespräch mit dieser Kündigung um geht. Muss er den Kündigungsgrund angeben und wie wenn ja?
Mit bestem Dank für Ihre Antwort und freundliche Grüsse
T. Janowsky / Movis AG
Frage beantwortet am
Kurt Pärli
Expert*in Arbeitsrecht
Sehr geehrte Frau Janowsky
Gerne beantworte ich Ihre Frage.
Vorweg eine Bemerkung: Die sexuelle Belästigung Minderjähriger ist ein Delikt, das automatisch zu einem lebenslänglichen Tätigkeitsverbot für eine Arbeit mit Kindern führt (Umsetzung der so genannten Pädophilen-Initative, siehe mehr dazu hier: https://www.ejpd.admin.ch/ejpd/de/home/aktuell/news/2018/2018-10-10.html ).
Die Täter/innen werden zudem in ein Register eingetragen, in das interessierte Arbeitgeber (Institutionen, die mit Kindern zu tun haben) Einsicht haben, siehe Näheres hier: https://www.e-service.admin.ch/crex/cms/content/strafregister/sonderprivatauszug_de
Vorliegend gehe ich nicht davon aus, dass ihr Klient nicht mit Kindern arbeitete und dies auch nicht tun will. Ansonsten würde sich die Frage nach der Offenbarungspflicht leicht beantworten lassen: Ihr Klient hat ja ein Tätigkeitsverbot (für diese Tätigkeiten) und er wäre im Bewerbungsverfahren verpflichtet, von sich aus auf diesen Umstand hinzuweisen. Ein potenzieller ARbeitgeber hätte dann noch immer (theoretisch) die Möglichkeit, ider Person im Unternehmen einer STelle anzubieten ohne Kontakt zu Kindern.
Wie verhält es sich aber, wenn sich ihr Klient auf Stellen bewirbt, die nichts mit Kindern zu tun haben? Das ist eine heikle Abwägungsfragen. Zum einen würde jede Resozialisierung erschwert oder verunmöglicht, wenn eine Person wegen der Offenbarung ihrer Vorstrafe im Bewerbungsverfahren praktisch kaum Aussicht hätte, eine Stelle zu erhalten. Auf der anderen Seite steht das Interesse des Unternehmens, nicht einen Mitarbeiter zu beschäftigen, dessen Delikt in der Öffentlichkeit sehr negativ behaftet ist und unter Umständen dem Unternehmen ein Imageschaden entstehen könnte.
Das Bundesgericht hat zu dieser Frage 2006 folgenden Entscheid gefällt (BGer v.31.1.2006, 4C_431/2005 ( https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/aza/http/index.php?highlight_docid=aza%3A%2F%2F31-01-2006-4C-431-2005&lang=de&type=show_document&zoom=YES& )
Ein Kundenberater, der wegen sexuellen Handlungen mit Kindern entlassen wurde, erhielt, nachdem die lokale Presse über den Fall berichtet hatte, die fristlose Kündigung. Das Bundesgericht schützte diese Kündigung nicht, ein Betrieb müsse auch in Kauf nehmen, wenn wegen des ausserdienstlichen Verhaltens eines Mitarbeiters sich einzelne Kunden abwenden würden. Das Bundesgericht hielt fest, dass allenfalls auch eine ordentliche Kündigung missbräuchlich gewesen wäre.
Welche Schlüsse lassen sich aus diesem Urteil für Ihren Fall ziehen? Allenfalls wäre die Kündigung beim alten Arbeitgeber missbräuchlich. Um die entsprechende Klage einzureichen, hätte Ihr Klient allerdings bis zum Ende der ordentlichen Kündigungsfrist schriftlich Einsprache erheben müssen. Da dies nicht erfolgt ist (nehme ich an), kann keine Klage erhoben werden.
Wenn also ein Delikt, dass nicht mit der beruflichen Tätigkeit in einem engen sachlichen Zusammenhang steht, eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch die Arbeitgeberin als missbräuchlich erscheinen lässt, so hat dies auch Konsequenzen für die vorliegende Frage, ob ihr Klient im Bewerbungsverfahren auf den Kündigungsgrund (und damit auf das Delikt) hinweisen muss. Die Antwortet lautet grundsätzlich NEIN. Anders zu entscheiden wäre dann, wenn es sich um eine sehr exponierte Stelle handeln würde (z.B. Pressesprecher eines Unternehmens oder hohes Kadermitglied), in diesen Fällen wäre der Imageschaden für das Unternehmen, sofern die Sache bekannt würde, sehr gross. In solchen Konstellationen muss der Kündigungsgrund angegeben werden, damit ein allfälliger neuer Arbeitgeber weiss, was Sache ist.
Eine Problematik stellt auch das Arbeitszeugnis dar. Falls direkt oder indirekt im Arbeitszeugnis ein Hinweis auf das Delikt steht (was m.E. nicht sein dürfte), steht der Arbeitnehmer vor dem Dilema, dass er etwas verschweigen dürfte, dass auf anderem Wege (Arbeitszeugnis) ohnehin bekannt wird.
Genügen Ihnen diese Auskünfte?
Mit Dank für die Kenntnisnahme und freundlichen Grüssen
Kurt Pärli
Sehr geehrter Herr Pärli
Vielen Dank für die informative Beantwortung. Es ist effektiv so, dass der Klient nicht mit Kindern arbeitet. Ich habe verstanden, dass er von sich aus den Kündigungsgrund nicht angeben muss, jedoch was soll/muss er antworten, wenn er auf den Kündigungsgrund angesprochen wird?
Mit bestem Dank und freundlichen Grüssen
T. Janowsky
Frage beantwortet am
Kurt Pärli
Expert*in Arbeitsrecht
Sehr geehrte Frau Janowsky
Sie haben das richtig verstanden, eine aktive Auskunftspflicht besteht nicht.
Wenn Ihr Klient auf den Kündigungsgrund angesprochen wird, besteht für ihn ein Dilemma: Sagt er die Wahrheit, hat er kaum Chancen auf den Job, sagt er, "Darf brauchen Sie nicht zu wissen, ich bin rechtlich nicht verpflichtet, Auskunft zu erteilen", dann sinken die Chancen auf den Job noch stärker. Aus diesen Gründen ist in der juristischen Lehre und Praxis das sogenannte Notwehrrecht der Lüge anerkannt. Das bedeutet, ihr Klient ist in dieser Situation nicht zur wahrheitsgemässen Antwort verpflichtet.
Allerdings macht die Wahrnehmung dieses Rechts nur Sinn, wenn Ihr Klient eine gewisse Garantie hat, dass die Information über das Delikt nicht auf anderem Wege zum neuen Arbeitgeber gelangt. Allenfalls macht es mehr Sinn, "auf Risiko zu spielen" und die Fakten auf den Tisch zu legen. Falls es doch zur Anstellung kommt, ist damit ein Vertrauensverhältnis entstanden.
Genügen Ihnen diese Auskünfte?
Mit Dank für die Kenntnisnahme und freundlichen Grüssen
Kurt Pärli
P.S. Zur weiterenführenden Information kopiere ich hier für Sie (nur für ihren persönlichen Gebrauch) einen Beitrag meiner Kollegin Sara Licci (ZHAW):
Bewerbungsverfahren: Fragerecht und Auskunftspflicht zu Krankheit
Bevor ein Arbeitsvertrag abgeschlossen wird, versuchen die Beteiligten im Bewerbungsverfahren so viel wie möglich über einander zu erfahren. Teilweise ist die künftige Arbeitgeberin auch am Gesundheitszustand des Bewerbers interessiert. Der Beitrag befasst sich mit dem Spannungsverhältnis zwischen diesem Informationsinteresse der künftigen Arbeitgeberin und dem Persönlichkeitsschutz des Bewerbers. Darüber hinaus beleuchtet er die Konsequenzen eines allfälligen Fehlverhaltens der Parteien.
Inhalt
- 1. Einleitung
- 2. Das Fragerecht der Arbeitgeberin und dessen Grenzen
- 3. Zulässigkeit von Fragen zum Gesundheitszustand
- 4. Auskunftspflicht des Arbeitnehmers
- 5. Auswirkungen der Überschreitung des Fragerechts
- 6. Auswirkungen der Verletzung von Auskunfts- und Offenbarungspflicht im Vergleich
- 7. Fazit
1. Einleitung
1.1 Thematische Eingrenzung
Die Arbeitgeberin hat in einem Bewerbungsverfahren ein erhebliches Interesse daran, so viele Informationen wie möglich über einen allfälligen Arbeitnehmer zu sammeln. Damit kann sie sicherstellen, dass sie eine geeignete Person für die ausgeschriebene Stelle findet. Um die in den Bewerbungsunterlagen vorhandenen Angaben zu überprüfen, muss die Arbeitgeberin die Gelegenheit erhalten, dem Arbeitnehmer im Bewerbungsverfahren Fragen zu stellen. Dabei treten in der Praxis im Laufe von Bewerbungsverfahren vermehrt Unsicherheiten darüber auf, welche Art von Fragen erlaubt sind und welche nicht. Dies trifft vor allem auf Fragen zum physischen und psychischen Gesundheitszustand zu. Die Arbeitgeberin zielt darauf ab, möglichst umfangreiche und aussagekräftige Informationen zu sammeln. Damit stellt sie sicher, dass der Bewerber einsatz- und leistungsfähig ist. Dem steht das Interesse des Arbeitnehmers auf Schutz der Persönlichkeit und der Privatsphäre entgegen, zumal Angaben über den Gesundheitszustand sehr sensible Daten sind.1
Der vorliegende Beitrag befasst sich mit dem Fragerecht der Arbeitgeberin und den damit verbundenen Rechten und Pflichten des Arbeitnehmers während laufender Bewerbungsverfahren. Massgebend ist somit die vorvertragliche Phase. Fragen rund um den Gesundheitszustand des Arbeitnehmers im bereits bestehenden Arbeitsverhältnis werden nicht aufgegriffen. Ein weiterer Aspekt, den dieser Aufsatz behandelt, ist, ob die Arbeitgeberin in der genannten Zeitspanne allenfalls im Auftrag einer Krankentaggeldversicherung oder der Pensionskasse Fragen zum Gesundheitszustand stellen darf. Im Vordergrund steht die arbeitsvertragsrechtliche Analyse. Die versicherungsvertraglichen Konsequenzen werden im Rahmen dieses Beitrags nicht beleuchtet.
1.2 Die vorvertragliche Phase
Im Rahmen des Bewerbungsverfahrens treffen potenzielle Arbeitnehmer und zukünftige Arbeitgeberinnen aufeinander, ohne dass zwischen ihnen ein Vertragsverhältnis besteht. In dieser für sämtliche Vertragsverhältnisse typischen Verhandlungsphase stehen sich die Parteien jedoch nicht in einem rechtsfreien Raum gegenüber. In der Verhandlungsphase entsteht ein Vertragsverhandlungs- recht 2/2015 | S. 98–108 99oder Anbahnungsverhältnis.2 Die Ausschreibung der Stelle ist als Aufforderung zur Abgabe einer Vertragsofferte zu verstehen. Die darauf folgende Bewerbung ist eine Vertragsofferte im Sinne von Art. 3 ff. OR.3 Der Arbeitnehmer sendet Lebenslauf, Arbeits- und Ausbildungszeugnisse und weitere Unterlagen ein. Gestützt auf diese Unterlagen informiert sich die Arbeitgeberin mithilfe vertiefender Fragen genauer über den Werdegang und die Fähigkeiten des Kandidaten. Oft werden für einen Teil der Auskünfte Standardfragebogen eingesetzt.4 Der Arbeitnehmer beantwortet in den Bewerbungsgesprächen die an ihn gestellten Fragen und gibt damit über sich Auskunft, um die Arbeitgeberin von seiner Eignung für die Stelle zu überzeugen. Nimmt die Arbeitgeberin gestützt auf die zusammengetragenen Informationen die Vertragsofferte des Arbeitnehmers an, kommt der Arbeitsvertrag zustande (Art. 1 i.V.m. Art. 319 ff. OR).
Es stellt sich die Frage, ob gewisse Bestimmungen über den Arbeitsvertrag aus Art. 319 ff OR5 bereits im Zeitpunkt der Verhandlungen anwendbar sind. Hierbei sind sowohl der arbeitsvertragliche Persönlichkeitsschutz in Art. 328 OR als auch der daraus resultierende Datenschutz in Art. 328b OR von besonderem Interesse. Der Persönlichkeitsschutz ist in Art. 28 ZGB geregelt. Diese Bestimmung hält fest, dass jede Person vor widerrechtlichen Persönlichkeitsverletzungen zu schützen ist. Sie findet im gesamten Privatrecht Anwendung. Art. 28 ZGB schützt die physische und psychische Integrität sowie die Möglichkeit zur Wahrung der Geheim- und Intimsphäre. Der Inhalt von Art. 28 ZGB wird in Art. 328 OR für das Arbeitsverhältnis aufgegriffen und präzisiert. Art. 328 OR besagt ausdrücklich, dass die Arbeitgeberin im Arbeitsverhältnis die Persönlichkeit des Arbeitnehmers zu achten und zu schützen hat. Daraus fliesst Art. 328b OR, der den Datenschutz im Arbeitsverhältnis regelt.6
Eine Vorwirkung der Rechte aus Arbeitsvertrag oder deren analoge Anwendung auf das Anbahnungsverhältnis ist nur möglich, wenn diese Rechte nicht ausschliesslich mit der Eingliederung des Arbeitnehmers im Betrieb zusammenhängen.7 Ob Art. 328 OR eine Vorwirkung zugesprochen werden kann, wird nicht einheitlich beantwortet, aber mehrheitlich verneint.8 Neuerdings wurde die Frage durch das Bundesgericht bejaht, wobei der Entscheid in der Lehre kritisiert wird.9 Hingegen herrscht in der Lehre Einigkeit darüber, dass Art. 328b OR und damit der Schutz vor unrechtmässiger Beschaffung von Personendaten bereits vor Abschluss des Arbeitsvertrags zu beachten ist.10 Unter die Beschaffung von Personendaten fallen unter anderem das Einholen von Auskünften, Auszügen aus Behördenregistern und insbesondere auch das vorliegend interessierende Fragen im Bewerbungsverfahren. Weil Art. 328b OR auf das DSG verweist, müssen die allgemeinen Grundsätze des DSG wie Transparenz, Verhältnis- und Rechtmässigkeit auch in der Anwendung von Art. 328b OR beachtet werden.11
Nachfolgend ist zu prüfen, welche Fragen die Arbeitgeberin im Bewerbungsverfahren grundsätzlich stellen darf und welche rechtlich nicht gestattet sind. Diese Erkenntnisse werden auch aufzeigen, welche Fragen zum Gesundheitszustand zulässig sind und welche nicht. Daraus wird sich zeigen, auf welche Fragen der Arbeitnehmer zu antworten hat. Des Weiteren soll erörtert werden, ob den Bewerber allenfalls eine Pflicht trifft, von sich aus und ungefragt Auskünfte zu erteilen. Abschliessend ist zu klären, welche Konsequenzen sich aus einer Überschreitung des Fragerechts oder aus Falschangaben des Arbeitnehmers im Rahmen des Bewerbungsverfahrens ergeben.
2. Das Fragerecht der Arbeitgeberin und dessen Grenzen
2.1 Interessenlage der Parteien
Der Arbeitnehmer lässt sich auf das Bewerbungsverfahren ein, um seine Arbeitsfähigkeit zu verwerten. Dem Arbeitnehmer ist daran gelegen, bei recht 2/2015 | S. 98–108 100einer Einstellung vollständig durch Versicherungsleistungen geschützt zu werden und in den Genuss der Lohnfortzahlung bei Krankheit zu kommen (Art. 324a OR). Diese Interessen stehen in einem Spannungsverhältnis zu den Interessen der künftigen Arbeitgeberin. Die Arbeitgeberin sucht nach einsatz- und leistungsfähigen Arbeitnehmern und strebt eine optimale Arbeitsplanung an. Sie muss die Versicherungen rechtzeitig informieren und will diese so wenig wie möglich belasten. Dafür benötigt sie Angaben über bevorstehende längere Absenzen. Darüber hinaus muss sie die Sicherheit und die Gesundheit am Arbeitsplatz gewährleisten. Diesen Schutz muss sie sowohl gegenüber dem neu eintretenden Arbeitnehmer selbst als auch gegenüber bereits angestellten Mitarbeitern wahren.12 Die Arbeitgeberin wird zu all den genannten Themen Fragen stellen wollen.
2.2 Grenzen des Fragerechts
Das beschriebene Bedürfnis nach umfassenden Informationen der Arbeitgeberin wird durch das Gesetz beschränkt.13 Dem Wortlaut von Art. 328b OR folgend darf sie nur Fragen stellen, die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehen. Es sind somit nur Fragen erlaubt, die für die Durchführung der Arbeit notwendig sind und darüber Auskunft geben können, ob der Arbeitnehmer für die Stelle geeignet ist oder nicht.14 Die Fragen müssen sich insbesondere darauf richten, ob der Arbeitnehmer die ihm zugedachte Tätigkeit ausführen kann.15 Daraus ergeben sich auch die Grenzen des Fragerechts. Es ist stets eine Abwägung vorzunehmen.16 Es ist sicherzustellen, dass die Fragen die Eignung des Bewerbers abklären und im Zusammenhang mit der bevorstehenden Tätigkeit stehen.17
Für Tendenzbetriebe gelten in Bezug auf das Fragerecht im Allgemeinen weniger strenge Regeln. Tendenzbetriebe verfolgen nicht hauptsächlich wirtschaftliche Ziele, sondern geistig-ideelle Zwecke.18 Darunter fallen Kirchgemeinden, politische Parteien, Zeitungen, Gewerkschaften etc.19 Auch Vereinigungen, die sich für einen bestimmten Lebenswandel oder für eine bestimmte Einstellung zur Gesundheit einsetzen, sind unter Umständen zu den Tendenzbetrieben zu zählen.20 In Tendenzbetrieben besteht ein überdurchschnittliches Interesse der Arbeitgeberin an Auskünften.21 Deshalb darf von den Arbeitnehmern eine erhöhte Treuepflicht verlangt werden.22 Bewerber müssen den ideellen Zweck im Privatleben nicht direkt fördern, dürfen ihm aber auch nicht aktiv schaden.23 Dies kann Auswirkungen auf die Abwägung der Zulässigkeit von Fragen zum Gesundheitszustand haben.
3. Zulässigkeit von Fragen zum Gesundheitszustand
3.1 Fragen zu bestehenden Krankheiten
Der Begriff «Krankheit» ist im Arbeitsvertragsrecht nicht definiert. Die Lehre ist sich aber darüber einig, dass nicht einfach der sozialversicherungsrechtliche oder medizintheoretische Begriff anwendbar ist. Ganz im Einklang mit OR 328b wird Krankheit im Arbeitsvertragsrecht angenommen, wenn die Gesundheit derart beeinträchtigt ist, dass es dem Arbeitnehmer nicht möglich oder zumutbar ist zu arbeiten.24 Das Interesse des Arbeitnehmers am Schutz seiner Privatsphäre kann daher eingeschränkt werden, wenn das Interesse der Arbeitgeberin überwiegt, einen arbeitsfähigen Arbeitnehmer einzustellen. Dies trifft auch zu, wenn die Pflicht der Arbeitgeberin zum Schutze Dritter weiter geht als der Schutz der Persönlichkeit des Arbeitnehmers.25
Eine Verletzung von Art. 28 ZGB und 328b OR liegt vor, wenn Bewerber allgemein nach dem Gesundheitszustand gefragt werden. Somit ist zum Beispiel die allgemeine Frage: «Leiden Sie an Krankheiten?» nicht erlaubt. Ebenfalls untersagt sind Fragen nach spezifischen Behinderungen oder recht 2/2015 | S. 98–108 101Krankheiten, die weder in sachlicher noch in zeitlicher Hinsicht die Arbeitstauglichkeit betreffen noch eine Gefahr für Dritte darstellen.26 Gestützt auf Art. 3 GlG ist die Frage nach einer bestehenden oder geplanten Schwangerschaft nicht erlaubt, sofern kein Arbeitsplatzbezug besteht. Auch Fragen nach psychischen Erkrankungen sind unzulässig, wenn kein Bezug zur Erwerbstätigkeit hergestellt werden kann.27
Die Arbeitgeberin darf die grundsätzlich als unzulässig definierten Fragen jedoch stellen, wenn ein Zusammenhang zur Arbeit besteht.28 Zulässig wird die Frage nach einer Schwangerschaft dann, wenn die Tätigkeit Gesundheitsrisiken für die Schwangere oder das ungeborene Kind mit sich bringt. Die Frage nach akuten oder chronischen Krankheiten sowie nach der akuten Phase einer chronischen Krankheit kann erlaubt sein,29 wenn sie Aufschluss über die grundsätzliche Einsatztauglichkeit für die spezifische Aufgabe gibt. Dasselbe trifft auf die Frage über absehbare zukünftige Gesundheitsschädigungen in Bezug auf diese chronische Krankheit zu.30 Auch kann die Frage nach Suchtkrankheiten erlaubt sein, wenn sie die Arbeitsfähigkeit betreffen können.31 Wesentlich ist somit nicht die Diagnose an sich, sondern die damit einhergehende Arbeitsfähigkeit. Die Fragen müssen m.E. dabei so formuliert sein, dass sie erkennbar auf die Eignung und Einsatzfähigkeit abzielen.
3.2 Fragen zu früheren Krankheiten
Fragen zum Gesundheitszustand zielen nicht nur auf bestehende physische und psychische Leiden ab. Auch frühere Krankheiten können der Arbeitgeberin relevant erscheinen. Das Bundesgericht hat aber in einem Entscheid aus dem Jahre 2002 festgehalten, dass in allgemeiner Weise weder nach Bestehen noch nach früheren Krankheiten gefragt werden darf. Zusätzlich hält der Bundesgerichtsentscheid fest, dass die Frage nach vergangenen Krankheiten schon gar nicht gestellt werden darf, um lediglich vorzeitig voraussehbare Absenzen planen zu können.32 Nach überwiegender Lehre ist die Frage nach früheren Gesundheitsschäden zulässig, wenn es darum geht, die Rückfallgefahr abzuschätzen.33 Dabei steht eine Abschätzung des Risikos von Gesundheitsschäden anderer Beteiligter im Vordergrund. Beispielsweise wäre bei einem Krankenpfleger im Bewerbungsverfahren die Frage zulässig, ob er die Windpocken bereits hatte. Aus der Verknüpfung dieser beiden Gedanken ergibt dies m.E., dass Fragen nach früheren Krankheiten zwar zur Abschätzung eines Rückfallrisikos gestellt werden dürfen, aber nur wenn sie ein über die befürchteten Absenzen hinausgehendes arbeitsplatzbezogenes Motiv aufweisen.
Ebenfalls keine expliziten Regelungen finden sich zum aktuellen Thema des Burn-outs. Deshalb ist auf die allgemeinen Überlegungen zurückzugreifen. Die Frage, ob eine Person schon einmal ein Burn-out erlitten hat, ist m.E. unzulässig. Wenn eine Anstellung mit hohem Belastungsgrad in Angriff genommen werden soll, ist es m.E. jedoch erlaubt, zu fragen, ob der aktuelle Gesundheitszustand eine hohe Arbeitsbelastung zulässt.
3.3 Fragen gestützt auf vertrauensärztliche Untersuchung
Grundsätzlich gilt, dass Dritten Fragen über den Bewerber gestellt werden dürfen, wenn der Arbeitnehmer dazu einwilligt.34 Dies trifft im Bewerbungsverfahren beispielsweise auf Referenzen zu. In Bezug auf den Gesundheitszustand stellt sich immer wieder die Frage, ob Arbeitgeber Ärzten und Ärztinnen Fragen über den Gesundheitszustand von Arbeitnehmenden stellen dürfen.35 Für ein Arbeitsverhältnis kann in den seltensten Fällen die gesamte Krankengeschichte eines Bewerbers von Interesse sein.
Im Unfallversicherungsgesetz ist die Pflicht der Arbeitgeberin verankert, bei gefahrengeneigter Arbeit eine Eintrittsuntersuchung zu veranlassen (Art. 82–86 UVG,36 Art. 70 VUV ff.).37 In einem der- recht 2/2015 | S. 98–108 102artigen Fall erhält die Arbeitgeberin durch Dritte Auskünfte zum Gesundheitszustand des Arbeitnehmers. Darüber hinaus darf die Arbeitgeberin verlangen, dass sich der Arbeitnehmer einer medizinischen Untersuchung unterzieht (z.B. Art. 29 Abs. 4 ArG).38 Dies ist erlaubt, wenn die Ergebnisse Aufschluss darüber geben, ob die Person für die Stelle geeignet ist. Sowohl in den Fällen, in denen nach UVG vorgegangen wird, als auch in den übrigen Sachverhalten dürfen die untersuchenden Ärzte und Ärztinnen nur sehr beschränkt Auskunft erteilen. Es ist nur erlaubt, der Arbeitgeberin bekannt zu geben, ob ein Bewerber für die zu besetzende Stelle geeignet, nicht geeignet oder «mit bestimmten Einschränkungen geeignet» ist. Darüber hinausgehende Informationen wie Diagnosen oder Art der Krankheit sind unzulässig.39
3.4 Fragen zuhanden von Versicherungen
Gesundheitsdaten können auch für die Pensionskasse (Art. 11 ff. BVG) und eine allfällige Krankentaggeldversicherung (Art. 324a Abs. 4 OR) wesentlich sein. Wird der Arbeitsvertrag abgeschlossen, führen krankheitsbedingte Abwesenheiten zur Leistungspflicht der Krankentaggeldversicherung. Eine lang andauernde Arbeitsunfähigkeit kann zur Invalidität führen, was die Leistung einer IV-Rente durch die Pensionskasse nach sich ziehen kann. Deshalb versuchen Versicherungen abzuschätzen, wie hoch das Risiko ist, leistungspflichtig zu werden. Dafür holen sie Auskünfte über den Gesundheitszustand der Bewerber ein. Derartige Auskünfte können auch dazu dienen, Gesundheitsvorbehalte anzubringen (Art. 331c OR i.V.m. Art. 45 BVG i.V.m. Art. 14 FZG, Art. 69 und 71 KVG).40
Die nötigen Informationen erlangen die Versicherungen über die Gesundheitsabklärung. Sie stellen beispielsweise in Fragebogen gezielte Fragen zum Gesundheitszustand.41 Gegenüber den Versicherungen trifft den Arbeitnehmer eine Wahrheitspflicht (z.B. Art. 75 BVG, Art. 92 KVG). Diese Fragebogen werden in der Praxis entweder durch die Versicherung selbst an den Arbeitnehmer geschickt oder von der Arbeitgeberin versendet. Der Arbeitnehmer sendet die Antworten an den jeweiligen Absender zurück.42 Gehen die Antworten bei der Arbeitgeberin ein, darf sie diese Informationen keinesfalls zur Kenntnis nehmen. Es müssen sämtliche Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden, damit die Arbeitgeberin den Inhalt der Antworten nicht erfährt.43 Teilweise wird von den Versicherungen eine vertrauensärztliche Untersuchung verlangt. Auch vom Ausgang dieser Untersuchung darf die Arbeitgeberin nicht in Kenntnis gesetzt werden. Ohnehin ist in der Praxis das Verfahren der ärztlichen Untersuchung durch die Arbeitgeberin streng von derjenigen auf Veranlassung der Versicherung zu unterscheiden und zu trennen.44
Zu prüfen ist in diesem Zusammenhang ebenfalls, ob vor Vertragsabschluss die Frage der Arbeitgeberin zulässig ist, ob der Arbeitnehmer IV-Bezüger ist. Bei einer 100%-Stelle kann eine derartige Frage darauf abzielen, festzustellen, ob der Arbeitnehmer voll einsatzfähig ist. Damit hätte die Frage einen Arbeitsplatzbezug. Gleichzeitig ergeben sich auf indirektem Weg Indizien zum Gesundheitszustand des Arbeitnehmers. Verhältnismässiger wäre die Frage, ob der Bewerber eine 100%-Stelle antreten kann.45 Bei einer Teilzeitstelle ist die Frage m.E. ohnehin nicht zulässig, zumal sich dann der Arbeitnehmer erfahrungsgemäss entsprechend seiner Arbeitsfähigkeit bzw. Arbeitsunfähigkeit auf eine Stelle mit reduzierten Stellenprozenten bewirbt. Hat die Frage rein organisatorische Zwecke, z.B. zur Erleichterung der Berechnung von Sozialversicherungsabzügen etc., ist sie erst nach Vertragsabschluss zu stellen.
4. Auskunftspflicht des Arbeitnehmers
4.1 Pflicht zu Antworten
Im Anbahnungsverhältnis herrscht nach Art. 2 ZGB der Grundsatz von Treu und Glauben. Die Parteien dürfen gemäss Rechtsprechung des Bundesgerichts annehmen, dass sie es mit einem redlich denkenden, sich loyal verhaltenden Partner zu tun haben. Deshalb besteht auch die Pflicht, ernsthaft zu verhandeln. Das heisst, dass der Vertragspartner nicht getäuscht werden darf.46 Daraus ergibt sich, dass Stellenbewerber auf Fragen künftiger Arbeitgeberinnen wahrheitsgemäss antworten müssen.47
Trotz der Auskunftspflicht muss der Bewerber keine unzulässigen Fragen beantworten. Zu Fra- recht 2/2015 | S. 98–108 103gen, die keinen Zusammenhang zum Arbeitsverhältnis aufweisen, darf er schweigen. Dieses Schweigen wird jedoch im Rahmen von Bewerbungsgesprächen oft als Antwort gedeutet. Deshalb steht Bewerbern in derartigen Fällen das Notwehrrecht der Lüge zu. Auf eine unzulässige Frage darf der Bewerber unwahre Antworten geben, um seine Persönlichkeit zu schützen.48 Diese Art des täuschenden Verhaltens entfaltet keine Folgen.49 Es wäre also beispielsweise zulässig, auf die Frage nach dem HIV-Status für eine Anstellung im Büro zu sagen, es läge keine Infektion vor.50
4.2 Offenbarungspflicht
Von der Auskunftspflicht, also der Pflicht auf Fragen der Arbeitgeberin zu antworten, ist die Offenbarungspflicht abzugrenzen. Den Arbeitnehmer trifft eine Offenbarungspflicht, wenn er von sich aus, also auch ungefragt, Informationen preisgeben muss.51 Informationen, die der Bewerber ungefragt preisgibt, müssen immer der Wahrheit entsprechen.52 Grundsätzlich gilt, dass jede Partei im Bewerbungsverfahren dafür zu sorgen hat, dass sie die Angaben erhält, die für sie wichtig sind. Dies erreicht sie insbesondere durch erlaubte Fragen. Der Bewerber ist deshalb nicht verpflichtet, von sich aus Informationen offenzulegen, die sich die potenzielle Arbeitgeberin selbständig beschaffen kann. Gleichzeitig darf er einen offensichtlichen Irrtum der Arbeitgeberin nicht zu seinen Gunsten ausnutzen und muss sie über erhebliche Tatsachen, die sie selbst nicht kennt oder kennen muss, aufklären.53
Den Bewerber trifft nur dann eine Meldepflicht, wenn er erkennt, dass er aufgrund seines bestehenden Leidens die konkrete Arbeitsleistung nicht erbringen kann. Er hat also offenzulegen, wenn es praktisch ausgeschlossen ist oder er erheblich behindert sein wird, die vertragliche Leistung zu erbringen.54 Dies ist beispielsweise bei einem Bäcker mit einer Mehlallergie der Fall.55 Auch eine schwere Behinderung hat er nur dann ungefragt offenzulegen, wenn die Arbeitsleistung wegen der Behinderung unmöglich ist.56 Das Kantonsgericht Obwalden verneinte die Offenbarungspflicht einer Dentalassistentin in Bezug auf vorbestehende Rückenleiden. Die Bewerberin hatte nicht davon ausgehen müssen, dass sie aufgrund ihrer Leiden für die Arbeitsstelle nicht geeignet ist. Dies insbesondere auch, weil die Arbeitnehmerin während zehn Monaten nach der Anstellung ihre Arbeitsleistung ohne Absenzen erbracht hat.57 Eine Arbeitnehmerin mit immer wiederkehrenden Krankheitsanfällen war aus Sicht des Bundesgerichts ebenfalls nicht verpflichtet, diese Anfälle von sich aus zu melden.58 Die Abwägung kann im Einzelfall schwierig sein. Der Bewerber ist jedoch immer verpflichtet, die Arbeitgeberin ungefragt über eine Krankheit zu informieren, wenn bei der konkreten Arbeit ein objektives Risiko für Dritte besteht.59
Es stellt sich die Frage, ob eine kranke oder von Invalidität betroffene Person bereits bekannte zukünftige Abwesenheiten erwähnen muss. Dabei kann es sich um längere Behandlungen oder um Kuraufenthalte handeln. Diese Frage ist unabhängig davon zu beantworten, ob ein Risiko für Dritte besteht. In der Praxis ist die Abwägung schwierig, ob bei bevorstehenden Abwesenheiten die Interessen der Arbeitgeberin gegenüber denjenigen des Arbeitnehmers am Schutz der Privatsphäre überwiegen. Bei Aids-Kranken wird eine Offenbarungspflicht angenommen.60 Dies wird damit begründet, dass mit vielen krankheitsbedingten Ausfällen zu rechnen ist. Diese Überlegungen lassen sich auch auf weitere schwere chronische Erkrankungen anwenden, die erhebliche Absenzen nach sich ziehen. Von einer diesbezüglichen Offenbarungspflicht ist m.E. auszugehen, wenn sich aufgrund der gesamten Umstände, die Frage der künftigen Arbeitgeberin nicht aufdrängt.61 Ist die Offenbarungspflicht zu bejahen, besteht aber keine Drittgefährdung, dann hat der Bewerber m.E. lediglich offenzulegen, dass aufgrund eines Leidens mit Abwesenheiten zu rechnen ist. Welche Krankheit oder Behinderung den Absenzen zugrunde liegt, ist nicht zwingend zu nennen. Für das Fragerecht der Arbeitgeberin ergibt sich daraus e contrario, dass sie fragen darf, ob gesundheitliche Probleme bestehen, die sich in absehbarer Zeit auf die Ausübung der beruflichen Tätigkeit auswirken werden. Insbesondere sind in diesem Zusammen- recht 2/2015 | S. 98–108 104hang Fragen zu bevorstehenden Abwesenheiten des Arbeitnehmers erlaubt.62 Überdies trifft den Bewerber eine Offenbarungspflicht, wenn feststeht, dass er bei Stellenantritt aller Voraussicht nach krank oder zur Kur sein wird.63
5. Auswirkungen der Überschreitung des Fragerechts
5.1 Persönlichkeitsverletzung
Überschreitet die Arbeitgeberin ihr Fragerecht, muss sie davon ausgehen, dass der Arbeitnehmer von seinem Notwehrrecht der Lüge Gebrauch machen wird, ohne dafür nachteilige Konsequenzen erwarten zu müssen.64 Die Arbeitgeberin kann daher nicht sicher sein, ob sie die richtigen Informationen erhält. Unabhängig davon verletzt die Arbeitgeberin mit unerlaubten Fragen die Grundsätze von Art. 28 ZGB und Art. 328b OR. Sie begeht damit eine Persönlichkeitsverletzung. Schadenersatzansprüche aus Vertragsverletzung (Art. 328b OR i.V.m. Art. 97 OR) kommen nicht zum Zug, weil noch kein Vertragsabschluss stattgefunden hat. Zu prüfen ist, ob gestützt auf den Anspruch auf Persönlichkeitsschutz selbst Ansprüche geltend gemacht werden können.
Der Persönlichkeitsschutz nach Art. 28 ZGB betrifft sämtliche Lebensbereiche und kann auch auf ausservertragliche Verhältnisse angewendet werden.65 Gemäss Art. 28 ZGB ist eine Persönlichkeitsverletzung immer widerrechtlich. Nach Art. 28 Abs. 2 ZGB entfällt die Widerrechtlichkeit nur, wenn der Verletzte (selbst) einwilligt, das Gesetz den Eingriff in die Persönlichkeit vorsieht oder ein überwiegendes privates oder öffentliches Interesse den Eingriff rechtfertigt. Dieser Exkulpationsbeweis wird der Arbeitgeberin in den seltensten Fällen gelingen.
Liegt eine Persönlichkeitsverletzung im Sinne von Art. 28 ZGB vor, kann der Bewerber versuchen, gestützt auf Art. 28 Abs. 3 ZGB i.V.m. mit Art. 41 und 49 OR Schadenersatz- und/oder Genugtuungsansprüche durchzusetzen. Genugtuungsansprüche können gestützt auf Art. 49 OR geltend gemacht werden, wenn aufseiten der Arbeitgeberin Verschulden vorliegt und der Bewerber immaterielle Unbill erlitten hat.66 Zwischen der Frage und der immateriellen Unbill muss ein adäquater Kausalzusammenhang bestehen. Dies ist m.E. insbesondere der Fall, wenn die Frage den Bewerber überrumpelt und die Information reflexartig, aber eigentlich ungewollt gegeben wird. Die immaterielle Unbill muss eine gewisse Intensität aufweisen, die nicht bloss dem allgemeinen Lebensrisiko zugeordnet werden kann. Es wird eine schwere Verletzung verlangt, die nicht anderweitig wiedergutgemacht werden kann.67 Aufgrund der kaum vorhandenen Gerichtspraxis dazu und der vergleichbaren Fälle im Zusammenhang mit Diskriminierungsschutz ist davon auszugehen, dass die schweizerischen Gerichte eher zurückhaltend sein werden.68 Schadenersatzansprüche werden in der Praxis kaum durchzusetzen sein, weil regelmässig ein Vermögensschaden fehlen wird.69
Unredliches Verhalten der Arbeitgeberin vor Vertragsabschluss, das einer Verletzung der vorvertraglichen Sorgfalts- und Rücksichtspflichten gleichkommt, kann über die Rechtsfigur der culpa in contrahendo zu einer Entschädigung führen, sofern die Voraussetzungen hierfür erfüllt sind.70
5.2 Konsequenzen bei Nichtanstellung wegen Krankheit
Die Schweiz kennt ausserhalb der Domäne der Gleichstellung von Mann und Frau im privaten Arbeitsverhältnis kein Diskriminierungsschutzrecht. Einzelne kantonale Gerichte haben aber bei Nichteinstellung aufgrund der Herkunft oder ethnischer Zugehörigkeit den Bewerberinnen Genugtuung im Sinne von Art. 28 Abs. 3 ZGB i.V.m. Art. 49 OR zugesprochen.71 Auszugehen ist davon, dass der Bewerber seine Krankheiten offenlegt. Wird der Bewerber aufgrund seiner Krankheit nicht eingestellt und gibt es hierfür keine betrieblichen Gründe,72 also höherwertige private Interessen i.S.v. Art. 28 Abs. 2 OR, liegt eine diskriminierende Nichteinstellung vor. Dies ist vor allem der Fall, wenn eine Anstellung wegen chronischer Krankheit abgelehnt wird, die keinen Einfluss auf die Ausübung der Tätigkeit hat. Ein Schadenersatzanspruch könnte Erfolg haben, wenn der Bewerber recht 2/2015 | S. 98–108 105belegen kann, dass er aufgrund von bereits sehr konkreten Versprechungen der Arbeitgeberin auf ein anderes Stellenangebot verzichtet hat.73
Anzumerken ist hier, dass chronische Krankheiten von einem Teil der Lehre mit Behinderungen gleichgesetzt werden. Der allgemeine Diskriminierungsschutz ist in Art. 8 Abs. 2 BV verankert. Die Diskriminierung von behinderten Menschen ist im BeHiG verboten und findet auf öffentlich-rechtliche Anstellungen direkt Anwendung.74
6. Auswirkungen der Verletzung von Auskunfts- und Offenbarungspflicht im Vergleich
6.1 Schweigen auf Frage hin
Erhält die Arbeitgeberin auf eine berechtigte Frage zum Gesundheitszustand keine Auskunft, wird sie mit dem Bewerber keinen Arbeitsvertrag abschliessen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die Information für sie wesentlich ist. Schliesst die Arbeitgeberin den Vertrag ab, obwohl sie die für sie wesentliche Information nicht erhalten hat, kann sie dafür nicht den Arbeitnehmer belangen. Es stellt sich aber die Frage, welche Konsequenzen falsche Angaben des Bewerbers auf eine zulässige Frage haben.
6.2 Die Konsequenz der Lüge auf den Vertragsabschluss
6.2.1 Ordentliche Kündigung
Ausserhalb der Sperrfristen kann einem Arbeitnehmer jederzeit gekündigt werden (Art. 336 OR). Die Sperrfristen gelten nicht während der Probezeit (Art. 336 Abs. 1 OR). Während der Probezeit gilt eine Kündigungsfrist von sieben Tagen, sofern nichts anderes vereinbart wurde (Art. 335a Abs. 1 OR). Nach der Probezeit gelten die vertraglichen Kündigungsfristen (Art. 335c Abs. 2 OR). Fehlt eine derartige Abrede, gelten die Kündigungsfristen nach Art. 335c Abs. 1 OR. Die Kündigungsfreiheit wird dahin gehend eingeschränkt, dass eine ordentliche Kündigung nicht missbräuchlich im Sinne von Art. 336 OR sein darf. Auch eine missbräuchliche Kündigung beendet das Arbeitsverhältnis. Der Arbeitnehmer hat aber Anspruch auf Entschädigung (Art. 336a OR).75 Missbräuchlichkeit ist unter anderem gegeben, wenn eine Kündigung wegen einer Eigenschaft ausgesprochen wird, die in der Persönlichkeit des Arbeitnehmers liegt, sofern die Eigenschaft im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis steht oder die Arbeit wesentlich beeinträchtigt (Art. 336 Abs. 1 lit. a OR).76 Vorliegend wird von einer Kündigung nach Ablauf der Sperrfristen i.S.v. Art. 336c OR ausgegangen. Krankheit ist eine Eigenschaft, die mit der Persönlichkeit des Arbeitnehmers zusammenhängt.77 Wird einem Arbeitnehmer jedoch gekündigt, weil er die Krankheit trotz zulässiger Frage oder offensichtlicher Offenbarungspflicht verschwiegen hat, liegt m.E. keine Missbräuchlichkeit vor. Grund für die Kündigung ist das unkorrekte Verhalten bei Vertragsabschluss und das Verschweigen einer wesentlichen Tatsache. Darüber hinaus hat das Bundesgericht mehrfach entschieden, dass eine Kündigung wegen Krankheit nach Ablauf der Sperrfristen nicht missbräuchlich ist, wenn ein Zusammenhang zur Arbeit besteht. Dies ist der Fall, wenn die Person aufgrund der Krankheit objektiv ungeeignet ist, die verlangte Leistung nicht erbringen kann oder wiederkehrende Abwesenheiten zu Verzögerungen in den Arbeitsabläufen führen.78
6.2.2 Fristlose Kündigung
Art. 337 OR sieht vor, dass die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung der Kündigungsfristen beenden kann, wenn wichtige Gründe vorliegen. Wichtige Gründe, die eine fristlose Kündigung rechtfertigen, sind gegeben, wenn der einen Partei nach Treu und Glauben nicht mehr zugemutet werden kann, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen.79 Der Grund muss objektiv betrachtet zur Unzumutbarkeit führen, aber auch subjektiv bei der Arbeitgeberin Unzumutbarkeit auslösen. Der Grund muss derart schwerwiegend sein, dass es mildere Mittel gibt. Hierfür sind sämtliche Umstände des konkreten Einzelfalls zu betrachten.80 Wurde die Arbeitgeberin aufgrund falscher oder bewusst unvollständiger Angaben getäuscht, ist die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses in der Praxis üblicherweise nicht mehr zumutbar. Deshalb ist eine fristlose Kündigung denkbar, wobei die genannte Abwägung vorzunehmen ist.81
recht 2/2015 | S. 98–108 106Die Gerichte sind in der Annahme der Unzumutbarkeit der Weiterführung des Arbeitsverhältnisses sehr streng. Der Arbeitnehmer kann Schadenersatz und eine Entschädigung geltend machen, wenn die fristlose Kündigung nicht gerechtfertigt ist (Art. 337c Abs. 1 und Art. 337c Abs. 3 2. Halbsatz OR).82 Kann in der Praxis nicht mit Sicherheit festgestellt werden, ob die Fortsetzung absolut unzumutbar ist, ist zu empfehlen, auf die fristlose Kündigung zu verzichten. In diesem Fall kommt die ordentliche Kündigung mit allfälliger Freistellung infrage.
6.2.3 Schadenersatz
Art. 337b Abs. 1 OR sieht vor, dass die kündigende Partei von der gekündigten Partei Schadenersatz verlangen kann. Dies ist möglich, wenn die gekündigte Partei die fristlose Kündigung veranlasst hat.83 Teilt der Bewerber eine Information nicht mit, für die ihn eine Offenbarungspflicht trifft, oder gibt er auf zulässige Fragen zum Gesundheitszustand bewusst falsche Antworten, rechtfertigt dies nicht nur die fristlose Kündigung, sondern die Pflicht zur Erstattung des Schadens in Form des Erfüllungsinteresses bis zum nächsten hypothetischen ordentlichen Kündigungstermin.84
6.2.4 Unverbindlichkeit wegen Willensmängeln
6.2.4.1 Grundlagenirrtum
Das Arbeitsverhältnis wird üblicherweise mittels Kündigung beendet. Alternativ dazu stehen jedoch auch die Aufhebungsgründe aus dem allgemeinen Vertragsrecht zur Verfügung. Infrage kommen die Irrtumstatbestände nach Art. 24 OR, insbesondere der Grundlagenirrtum nach Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR. Beim Grundlagenirrtum handelt es sich um einen qualifizierten Motivirrtum. Er ist gegeben, wenn die Arbeitgeberin den Umstand beim Abschluss des Vertrages für wesentlich hält und ohne dessen Vorhandensein den Vertrag nicht abschliessen würde. Darüber hinaus muss objektive Wesentlichkeit vorliegen. Der Umstand muss nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr ebenfalls wesentlich erscheinen. Die Wesentlichkeit muss für die Gegenpartei erkennbar sein.85
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