Frau X., 48 Jahre, hat keine Erstausbildung abgeschlossen. Sie war nach der Schule jedoch immer erwerbstätig und hat zuletzt ein Einkommen von ca Fr. 62'400.00 erziehlt. Aufgrund einer psychsichen Erkrankung (Depression) hat sie die Stelle verloren und absolviert momentan ein Belastbarkeitstraining der IV. Frau X. möchte im Rahmen des Wiedereinstiges auf den 1. Arbeitsmarkt eine Ausbildung machen. Die IV lehnt bisher mündlich den Anspruch auf eine Umschlung klar ab. Da Frau X. keine Ausbildung abgeschlossen habe, sei der Anspruch auf eine Umschlung ausgeschlossen.
Stimmt diese Begründung? Gibt es dazu eine gesetzliche Bestimmung?
Vielen Dank und beste Grüsse
Kathrin Kayser
Frage beantwortet am
Peter Mösch Payot
Expert*in Sozialversicherungsrecht
Sehr geehrte Frau Kayser
Abgesehen von den üblichen Voraussetzungen für Eingliederungsmassnahmen im Sinne von Art. 8 IVG, insb. also die Frage der Notwendigkeit der Massnahme zur Vermeidung, Stabilisierung oder Nichtverstärkung der Erwerbsunfähigkeit bzw. Invalidität, gilt Folgendes.
Nach Lehre und Praxis ist eine Umschulung (als Naturalanspruch) in Abgrenzung zur erstmaligen beruflichen Ausbildung (als Mehrkostenvergütungsanspruch) nur denkbar, wenn eine Erstausbildung abgeschlossen wurde und danach je ein ökonomisch bedeutsames Erwebseinkommen erzielt wurde (vgl. Meyer/Reichmuth (2014). Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Sozialversicherungsrecht, IVG, 3. Auflage, Art. 17 Ziff. 9); vgl. zum Ganzen auch Urteil des BGer 8C_716/2016 vom 1. Februar 2017. Und auch das Kreisschreiben der IV über die Eingliederungsmassnahmen beruflicher Art (KSBE) Rz. 3005 ff. (Stand 1.1.2019).
Eine Umschulung wird auch gewährt gemäss Art. 6 Abs. 2 IVV, wenn einst eine erstmalige berufliche Ausbildung wegen Invaldität abgebrochen werden musste, und wenn das während der abgebrochenen Ausbildung zuletzt erzielte Erwerbseinkommen höher war als 30% des Taggeldes nach Art. 23 Abs. 1 IVG (CHF 122).
Im vorliegenden Fall besteht also nach meiner Ansicht kein Umschulungsanspruch. Aber unter Umständen bestehen durchaus Chancen für die Übernahme der Mehrkosten im Sinne von Art. 16 IVG, verbunden mit einem Taggeld im Sinne von Art. 22 Abs. 1bis IVG, also dem kleinen Taggeld von CHF 40.70. Wer in erstmaliger beruflicher Ausbildung steht und diese Ausbildung ohne gesundheitliche Beeinträchtigung bereits abgeschlossen hätte und im Erwerbsleben stünde, erhält ein Taggeld in der Höhe von 30% des Höchstbetrages des grossen Taggeldes und somit von CHF 122.10 pro Tag (Art. 23 Abs. 2 IVG).
Dafür müsste in casu wohl belegt werden, dass die Gesundheitsbeeinträchtigung auch für die bislang fehlende Berufausbildung verantwortlich ist. Das dürfte in diesem Fall schwierig sein.
Ich hoffe, das dient Ihnen.
Prof. Peter Mösch Payot