Guten Tag
folgende Situation:
Eine männliche Person wurde am 15.05. 65 Jahre und erreichte somit das AHV-Alter. Er war allerdings bis Ende Mai angestellt und sollte dann ab Juni desselben Jahres in die Rente entlassen werden. Am 20.05. erleidete die Person allerdings einen schweren Schlaganfall und wurde dann für die restliche Anstellungszeit krankgeschrieben. Hilfsmittel wurden bisher nicht beantragt.
Zur Frage:
Hat die Person nun Anspruch auf Leistungen der IV, im Besonderen auf Hilfsmittel der IV und sind die Fristen zur Beantragungen zu beachten?
Besten Dank und viele Grüsse
Frage beantwortet am
Peter Mösch Payot
Expert*in Sozialversicherungsrecht
Sehr geehrte Damen und Herren
1) Im vorliegenden Fall stellt sich die Frage, ob noch ein Anspruch gegenüber der IV entstand, oder erst gegenüber der AHV. Der Leistungsumfang für Hilfsmittel (gleiches gilt für allfällige Hilflosenentschädigungen, die hier auch in Frage kommen) ist geringer als jener nach dem IVG (Art. 21 IVG und Art. 21bis IVG). Besteht ein Anspruch nach dem IVG so besteht ein Besitzstand für den entsprechenden Anspruch auch für den Zeitraum des AHV-Bezuges (vgl. Art. 4 HVA)
Gemäss Rz. 1001 dem Kreisschreiben über die Abgabe von Hilfsmitteln durch die Alters- versicherung (KSHA; Stand 1.1.2020) besteht ein Anspruch auf Leistungen für Hilfsmittel zu Lasten der AHV für in der Schweiz wohnhafte Personen, welche das ordentliche AHV-Rentenalter erreicht haben, eine AHV-Rente vorbeziehen oder Ergänzungsleistungen beziehen.
Gemäss Art. 43quater AHVG und Art. 66ter AHVV sowie Art. 3 HVA besteht der Anspruch auf Hilfsmittel in der AHV frühestens am ersten Tag des Monats, für welchen eine Altersrente bezogen wird (vgl. Art 3 HVA). Und dieser Anspruch auf die Altersrente beginnt am ersten Tag des Monats, welcher der Erreichung des ordentlichen Rentenalters folgt (Art. 21 Abs. 2 AHVG).
2) Die Grenzfälle zwischen IV-Hilfsmittelbedarf und AHV-Hilfsmittelbedarf hat die Rechtsprechung zunächst so beantwortet, dass die Besitzstandgarantie für als IV-Rentner bezogene Hilfsmittel grundsätzlich geltend gemacht werden kann, wenn das Hilfsmittelbegehren bis Ende des Monats erfolgt, in welchem das für den Anspruch auf die Altersrente massgebende Altersjahr vollendet wird. Entscheidend scheint also das Datum der Anmeldung (BGE 107 V 76 E. 2c).
Im Weiteren gilt, dass auch ein Anspruch bei einer Anmeldung nach Erreichen des AHV-Alters zu einem Anspruch nach IVG führen kann, wenn die Voraussetzungen nach Art. 78 Abs. 1 zweiter Satz IVV erfüllt sind Das ergibt sich aus dem Urteil des EVG vom 1. April 1985 i.Sa. M.K (vgl ZAK 1985 322), das festhält, dass im Fall, dass der gesundheitsbedingte Hilfsmittelbedarf schon VOR dem Beginn des Altersrentenanspruchs bestand (Art. 10 Abs. 2 IVG) auch bei einer Anmeldung nach Erreichen des Rentenalters ein Anspruch auf Hilfsmittel gegenüber der IV bestehen kann. Nämlich dann, wenn der Hilfsmittelbedarf vor dem Erreichen des Rentenalters liegt, und wenn die Frist von 12 Monaten für die rückwirkende Finanzierung von Hilfsmitteln eingehalten ist (vgl. Art. 48 IVG; weitergehend nur gemäss Art. 48 Abs. 2 IVG). (so wohl auch Meyer/Reichmuth (2014). RSB – Bundesgesetz über die Invalidenversicherung, 3. Auflage. Art. 10 N. 4).
Auch das relevante Kreisschreiben basiert auf dieser Interpretation (vgl. Kreisschreiben über die Abgabe von Hilfsmitteln der Invalidenversicherung (KHMI), Stand 1.1.2020, Rz 1002 und 1003:
Bei Hilfsmitteln gilt die Invalidität als eingetreten, wenn der Gesundheitsschaden objektiv erstmals die Versorgung notwendig macht. Eine vorübergehende Behinderung schliesst die Abgabe von Behelfen unter dem Titel eines Hilfsmittels aus. Es muss eine voraussehbare Verwendungsdauer von mindestens einem Jahr angenommen werden können. (…)
Der Anspruch auf Hilfsmittel besteht bis zum Bezug bzw. Vorbezug des Monats, in welchem die versicherte Person das Rentenalter erreicht. D.h. die Anspruchsvoraussetzungen müssen erfüllt sein, bevor die versicherte Person die Altersgrenze (Monat des AHV-Rentenbezugs) erreicht.
3) Vor dem Hintergrund dieser Grundlagen sollte möglichst unmittelbar noch Hilfsmittel gegenüber der IV geltend gemacht werden. Im Gesuch ist darauf zu verweisen, und soweit möglich bereits durch medizinische Akten zu belegen, dass der Gesundheitsschaden vor Ende des Monats, welcher zur Altersrente berechtigt, eingetreten ist. Und dass die Anmeldung sofort erfolgte sobald es dem Betroffenen möglich war (z.B. wegen des Spitalaufenthaltes). Gleichzeitig sollte eine Hilflosenentschädigung und eine Rente beantragt werden. Da auch dort der Besitzstand spielen könnte.
Wird das Gesuch abgelehnt oder werden nur Leistungen nach Massgabe des AHVG gewährt so rate ich zur Inanspruchnahme von Unterstützung einer spezialisierten Rechtsberatung (Procap, Inclusion Handicap) zur Erhebung eines Rechtsmittels.
Ich hoffe, das dient Ihnen.
Prof. Peter Mösch Payot
Frage beantwortet am
Peter Mösch Payot
Expert*in Sozialversicherungsrecht
Sehr geehrte Damen und Herren
1) Im vorliegenden Fall stellt sich die Frage, ob noch ein Anspruch gegenüber der IV entstand, oder erst gegenüber der AHV. Der Leistungsumfang für Hilfsmittel (gleiches gilt für allfällige Hilflosenentschädigungen, die hier auch in Frage kommen) ist geringer als jener nach dem IVG (Art. 21 IVG und Art. 21bis IVG). Besteht ein Anspruch nach dem IVG so besteht ein Besitzstand für den entsprechenden Anspruch auch für den Zeitraum des AHV-Bezuges (vgl. Art. 4 HVA)
Gemäss Rz. 1001 dem Kreisschreiben über die Abgabe von Hilfsmitteln durch die Alters- versicherung (KSHA; Stand 1.1.2020) besteht ein Anspruch auf Leistungen für Hilfsmittel zu Lasten der AHV für in der Schweiz wohnhafte Personen, welche das ordentliche AHV-Rentenalter erreicht haben, eine AHV-Rente vorbeziehen oder Ergänzungsleistungen beziehen.
Gemäss Art. 43quater AHVG und Art. 66ter AHVV sowie Art. 3 HVA besteht der Anspruch auf Hilfsmittel in der AHV frühestens am ersten Tag des Monats, für welchen eine Altersrente bezogen wird (vgl. Art 3 HVA). Und dieser Anspruch auf die Altersrente beginnt am ersten Tag des Monats, welcher der Erreichung des ordentlichen Rentenalters folgt (Art. 21 Abs. 2 AHVG).
2) Die Grenzfälle zwischen IV-Hilfsmittelbedarf und AHV-Hilfsmittelbedarf hat die Rechtsprechung zunächst so beantwortet, dass die Besitzstandgarantie für als IV-Rentner bezogene Hilfsmittel grundsätzlich geltend gemacht werden kann, wenn das Hilfsmittelbegehren bis Ende des Monats erfolgt, in welchem das für den Anspruch auf die Altersrente massgebende Altersjahr vollendet wird. Entscheidend scheint also das Datum der Anmeldung (BGE 107 V 76 E. 2c).
Im Weiteren gilt, dass auch ein Anspruch bei einer Anmeldung nach Erreichen des AHV-Alters zu einem Anspruch nach IVG führen kann, wenn die Voraussetzungen nach Art. 78 Abs. 1 zweiter Satz IVV erfüllt sind Das ergibt sich aus dem Urteil des EVG vom 1. April 1985 i.Sa. M.K (vgl ZAK 1985 322), das festhält, dass im Fall, dass der gesundheitsbedingte Hilfsmittelbedarf schon VOR dem Beginn des Altersrentenanspruchs bestand (Art. 10 Abs. 2 IVG) auch bei einer Anmeldung nach Erreichen des Rentenalters ein Anspruch auf Hilfsmittel gegenüber der IV bestehen kann. Nämlich dann, wenn der Hilfsmittelbedarf vor dem Erreichen des Rentenalters liegt, und wenn die Frist von 12 Monaten für die rückwirkende Finanzierung von Hilfsmitteln eingehalten ist (vgl. Art. 48 IVG; weitergehend nur gemäss Art. 48 Abs. 2 IVG). (so wohl auch Meyer/Reichmuth (2014). RSB – Bundesgesetz über die Invalidenversicherung, 3. Auflage. Art. 10 N. 4).
Auch das relevante Kreisschreiben basiert auf dieser Interpretation (vgl. Kreisschreiben über die Abgabe von Hilfsmitteln der Invalidenversicherung (KHMI), Stand 1.1.2020, Rz 1002 und 1003:
Bei Hilfsmitteln gilt die Invalidität als eingetreten, wenn der Gesundheitsschaden objektiv erstmals die Versorgung notwendig macht. Eine vorübergehende Behinderung schliesst die Abgabe von Behelfen unter dem Titel eines Hilfsmittels aus. Es muss eine voraussehbare Verwendungsdauer von mindestens einem Jahr angenommen werden können. (…)
Der Anspruch auf Hilfsmittel besteht bis zum Bezug bzw. Vorbezug des Monats, in welchem die versicherte Person das Rentenalter erreicht. D.h. die Anspruchsvoraussetzungen müssen erfüllt sein, bevor die versicherte Person die Altersgrenze (Monat des AHV-Rentenbezugs) erreicht.
3) Vor dem Hintergrund dieser Grundlagen sollte möglichst unmittelbar noch Hilfsmittel gegenüber der IV geltend gemacht werden. Im Gesuch ist darauf zu verweisen, und soweit möglich bereits durch medizinische Akten zu belegen, dass der Gesundheitsschaden vor Ende des Monats, welcher zur Altersrente berechtigt, eingetreten ist. Und dass die Anmeldung sofort erfolgte sobald es dem Betroffenen möglich war (z.B. wegen des Spitalaufenthaltes). Gleichzeitig sollte eine Hilflosenentschädigung und eine Rente beantragt werden. Da auch dort der Besitzstand spielen könnte.
Wird das Gesuch abgelehnt oder werden nur Leistungen nach Massgabe des AHVG gewährt so rate ich zur Inanspruchnahme von Unterstützung einer spezialisierten Rechtsberatung (Procap, Inclusion Handicap) zur Erhebung eines Rechtsmittels.
Ich hoffe, das dient Ihnen.
Prof. Peter Mösch Payot