Guten Tag
Eine Frau aus Ungarn arbeitete als Lehrerin bis Juli 2017 im Heimatland. Im August 17 zog sie im Rahmen des Familiennachzugs zu ihrem in der CH wohnenden Ehemann. Sie war bisher in der CH noch nicht erwerbstätig, sucht aber eine Arbeitsstelle und gilt sonst als vermittelbar.
Gemäss Sozialversicherungsabkommen zwischen der CH und EU sollte grundsätzlich der Staat ALV-Leistungen ausrichten, in dem die arbeitslose Person zuletzt gearbeitet hat, also in diesem Fall Ungarn. Gibt es aber wegen dem Familiennachzug keine Ausnahme dazu, sodass die Frau bei der CH-Arbeitslosenkasse Leistungen beziehen kann?
Freundliche Grüsse
G. Heeb
Soziale Dienste Brügg
Frage beantwortet am
Peter Mösch Payot
Expert*in Sozialversicherungsrecht
Sehr geehrter Herr Heeb
Tatsächlich gilt, wie Sie richtig schreiben, dass wer in einem EU- oder EFTA-Land gearbeitet hat und dort arbeitslos geworden ist, seine Ansprüche auf Arbeitslosenentschädigung in diesem Land geltend machen muss. Werden die Voraussetzungen der entsprechenden Arbeitslosenversicherung erfüllt, wird dort ein Taggeld erhältlich sein. Dieses kann zeitlich beschränkt, für drei Monate, exportiert werden, während einer Stellensuche in einem anderen Freizügigkeitsstaat wie der Schweiz. Um danach weiterhin Taggelder zu erhalten müsste die Person vor Ablauf der dreimonatigen Frist zurückkehren.
Ein Wohnortwechsel infolge Familienzusammenführung zu einer sofortigen Verschiebung des Lebensmittelpunktes (siehe Kreisschreiben über die Auswirkungen der Verordnungen (EG) Nr. 883/2004 und 987/2009 auf die ALV (KS ALE 883), A 85.In Ihrem Fall hat aber die Person aufgrund des Familiennachzuges, so wie Sie den Fall schildern, klarerweise Wohnsitz in der Schweiz genommen.
Damit hat die Person in der Schweiz Wohnsitz genommen und es wird - bei weiter bestehender Arbeitslosigkeit - koordinationsrechtlich die Schweiz zuständig für die ALE. Es wird aber wichtig sein, gegenüber der Arbeitslosenversicherung zu belegen, dass die Migration aufgrund der Ehe erfolgte.
Allerdings ist zu beachten, dass die weiteren Voraussetzungen für den Bezug zur ALE bestehen müssen. So die Vermittlungsfähigkeit, zu deren Voraussetzungen auch gehört, dass die Person in der Schweiz ein Recht hat erwerbstätig zu sein. Ich gehe davon aus, dass die ausländerrechtlich Bewilligung im vorliegenden Fall dieses Recht einschliesst.
Im Weiteren muss die Voraussetzung der Beitragszeiten – oder ein Grund für die Befreiung von der Beitragszeit (Art. 14 AVIG) erfüllt sein.
Dabei gilt gemäss Art. 61 Abs. 2 GVO (Grundverordnung der Personenfreizügigkeit), dass auch ausländische Beitragszeiten angerechnet werden können, WENN unmittelbar vor Eintritt der Arbeitslosigkeit Versicherungszeiten in der Schweiz zurückgelegt wurden. Es gilt das sogenannte Eintagesprinzip, weil ein einziger Tag beitragspflichtiger Beschäftigung vor Eintritt der Arbeitslosigkeit genügt. Es braucht also eine versicherungspflichtige Beschäftigung, die in der Schweiz bestanden hat. Dabei ist einzig bei Grenzgänger/innen dieses Absolvieren von Versicherungszeiten in der Schweiz nicht notwendig, damit Beitragszeiten in anderen Personenfreizügigkeitsstaaten angerechnet werden können.
Vgl. zum Ganzen und einigen weiteren Aspekten das Kreisschreiben über die Auswirkungen der Verordnungen (EG) Nr. 883/2004 und 987/2009 auf die ALV (KS ALE 883); gültig ab 1.6.2016. Zu finden unter www.treffpunkt-arbeit.ch/dateien/Kreisschreiben/KSALE88316_2016.pdf.
Ich gehe vor dem Hintergrund dieser Ausführungen davon aus, dass für Ihre Klientin grundsätzlich ein Anspruch auf ALE in der Schweiz bestehen kann. Aber problematisch dürfte das Erfüllen der Anspruchsvoraussetzung der Beitragszeit sein: Für das Erfüllen der Beitragszeiten muss entweder ein Grund für die Befreiung von der Beitragszeit vorliegen, oder dann die Beitragszeit in der Schweiz erfüllt sein. Wobei gilt, dass schon bei einer kurzen Beschäftigung in der Schweiz Beschäftigungszeiten im früheren Beschäftigungsland angerechnet werden können. Es ist also notwendig, dass (wenn kein Befreiungsgrund von der Beitragszeit vorliegt) eine wenn auch kurzzeitige Beschäftigung in der Schweiz bestehen muss, damit die Anrechnung von Beschäftigungszeit im anderen Beschäftigungsland geprüft werden kann.
Ich hoffe, das dient Ihnen.
Peter Mösch Payot
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