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Akteneinsicht für Angehörige, resp. deren Rechtsvertreter?

Veröffentlicht:
18.06.2020
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Kindes- und Erwachsenenschutz

Für B besteht eine Beistandschaft nach Art. 394 i.V.mi Art. 395 ZGB. Der Auftrag der KESB umfasst unter anderen: 

  • für das gesundheitliche Wohl und medizinische Betreuung von B zu sorgen,
  • stets für eine geeignete Wohnsituation besorgt zu sein

B ist türkischer Staatsangehöriger, 20jährig. Er ist von frühkindlichem Autismus betroffen und lebt seit Juli 2019 in einem spezialisierten Wohnheim in St. Urban. Genehmigung der KESB zum Wohnvertrag wurde per 31.07.2019 erteilt.

B kam über Familiennachzug im Alter von etwa 1 Jahr in die Schweiz. Er lebte in der Herkunftsfamilie und absolvierte die Schulzeit ambulant in der Stiftung R. Nach Schulabschluss wechselte er in die Tagesstätte der gleichen Institution. Das Verhalten von B wurde für das Umfeld zunehmend schwieriger bis untragbar, Versuche mit Medikamentenanpassung folgten - leider erfolglos. Die Institution konnte den Tagesplatz nicht aufrecht erhalten und kündete. Auch die Eltern mit den Geschwistern war überfordert mit der Betreuung. Es kam zu zwei FUs im Frühjahr 2019. Die Eltern unterstützten damals eine Platzierung in das WH S zu.

Nun möchten die Eltern ihren Sohn B. wieder zu sich nach Hause nehmen. Sie argumentieren damit, dass sie und die Geschwister B. sehr vermissen, die kleinere Schwester könne sich nicht mehr auf die Schule konzentrieren. In Anerkennung der familiären Beziehung und dem Vermissen des Sohnes, sehe ich in der Argumentation jedoch lediglich die Bedürfnisse der Familie, nicht aber von B. Es ist auch anzunehmen, dass finanzielle Interessen bestehen, da B sich früher an den Lebenshaltungs- und Wohnkosten beteiligte und die Hilflosenentschädigung an die Eltern bezahlt wurde.

Als Beiständin sehe ich für B. keinen Nutzen, rückplatziert zu werden. B. hat im Verhalten und seiner persönlichen Entwicklung Fortschritte gemacht. Im WH wird auf seine Bedürfnisse eingegangen, nach einer anstrengenden Eingewöhnungszeit wäre ein erneuter Wechsel eine grosse Herausforderung. 

Die Ansichten und Gründe für oder gegen eine Rückplatzierung wurden im direkten Gespräch zwischen der Beiständin und den Eltern ausgetauscht.

Nun haben die Eltern einen Rechtsvertreter beauftragt. Der Rechtsvertreter verlangt nun Einsicht in die Mandatsakte von B.

Kann der Rechtsvertreter, resp. die Eltern Akteneinsicht verlangen?

Ich danke Ihnen für Ihre Einschätzung.

Frage beantwortet am

Karin Anderer

Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz

Sehr geehrte Frau Salzmann

Ich gehe davon aus, dass keine fürsorgerische Unterbringung besteht.

Volljährige Personen entscheiden grundsätzlich selbst, wo sie leben möchten und es steht dem Herrn frei, bei seinen Eltern zu wohnen. Wenn der Herr in Bezug auf den Wohnheimaufenthalt als urteilsunfähig einzustufen ist, wird er, gemäss dem von der KESB erteilten Auftrag, durch Sie als Beiständin vertreten. Das Vertretungsrecht findet dort seine Grenzen, wo sich der urteilsunfähige Herr gegen den Aufenthalt wehrt, sei es durch unmissverständlich geäusserte Ablehnung, sei es durch physischen Widerstand (vgl. KOKES-Praxisanleitung Erwachseneschutz, N. 11.8).

Das Akteneinsichtsrecht in die Mandatsakten untersteht dem kantonalen Datenschutzgesetz (Gesetz über den Datenschutz (Datenschutzgesetz) des Kantons Obwalden vom 25.01.2008, GDB 137.1). Betroffene haben demnach ein Recht auf Einsicht in die eigenen Daten (René Huber in: FHB Kindes- und Erwachsenenschutzrecht, N. 22.115 ff.).

Beistandspersonen erstellen die Beistandschaftsakten in eigener Verantwortung. Die Aktenführung gehört zu einer notwendigen Nebenaufgabe des Mandats und sie hat ordnungsgemäss zu erfolgen. Als Informationsherrin entscheidet die Beistandperson über die Einsicht in die Beistandsakten. Gegen den Entscheid der Beistandsperson kann gemäss Art. 419 ZGB die KESB angerufen werden (vgl. Entscheid des Regierungsrates des Kantons Zürich RRB Nr. 884/2014 vom 27.4.2014, E. 6.c.; vgl. dazu auch Kurt Affolter-Fringeli, Akteneinsicht in Beistandschaftsakten, Aus der Beratungspraxis der SVBB, im Anhang).

Somit hat eine verbeiständete Person selbst grundsätzlich jederzeit das volle Akteneinsichtsrecht in die Beistandschaftsakten. Sie kann auch einen Anwalt oder eine Anwältin mandatieren, dazu muss sie aber urteilsfähig sein (vgl. generell zur Anwaltsvollmacht Kurt Affolter-Fringeli, Anwaltsvollmacht durch umfassend Verbeiständeten, Aus der Beratungspraxis der SVBB, in ZKE ZKE 3/2016, S. 245 ff. auch abrufbar auf< http://www.affolter-lexproject.ch/Downloads/Affolter_Anwaltsvollmacht_ZKE_3_2016.pdf>).

Die Eltern des volljährigen Herrn haben somit kein Akteneinsichtsrecht in die Beistandschaftsakten, weshalb ihnen ihr Anwalt dazu auch nicht verhelfen kann.

Allerdings haben sie nach dem Datenschutzgesetz ein Auskunftsrecht, d.h. Sie müssen in die Daten, welche die Eltern betreffen, Einsicht gewähren (Art. 2 Datenschutzgesetzt OW i.V.m. Art. 8 des Bundesgesetzes über den Datenschutz (DSG) vom 19. Juni 1992, SR 235.1). Das betrifft nur die Daten, die Sie über die Eltern gesammelt haben, z.B. haben Sie bei einer Drittstelle Auskünfte über die Eltern eingeholt. Nicht betroffen davon sind Ihre Notizen, wo Sie z.B. das Verhältnis Ihres Klienten zu den Eltern beschreiben. Die Datenherausgabe erfordert eine gute Sichtung der Akten. Die Auskunft kann verweigert, eingeschränkt oder aufgeschoben werden, wenn der Bekanntgabe eine rechtliche Bestimmung oder ein überwiegendes öffentliches oder privates Interesse entgegensteht (Art. 2 Datenschutzgesetzt OW i.V.m. Art. 9 DSG; vgl. zur Interessenabwägung René Huber in: FHB Kindes- und Erwachsenenschutzrecht, N. 22.116 f.).

Die Eltern können sich nach Art. 419 ZGB bei der KESB über die Mandatsführung beschweren. Über dieses Verfahren können sie überprüfen lassen, ob Sie die Interessen des Herrn im Bereich Wohnen, Betreuung und Gesundheit korrekt wahrnehmen.

Ich empfehle Ihnen, bei Akteneinsichtsbegehren von Drittpersonen in Zweifelsfällen eine Instruktion bei der KESB einzuholen, insbesondere auch betreffend Entbindung vom Amtsgeheimnis.

Fazit: Die Eltern und ihr Anwalt haben kein Akteneinsichtsrecht in die Beistandschaftsakten des volljährigen Herrn. Sie haben aber ein Auskunftsrecht in die Daten, die sie selbst betreffen. Über die Mandatsführung können sich die Eltern und ihr Anwalt nach Art. 419 ZG beschweren.

Ich hoffe, die Angaben sind nützlich und ich grüsse Sie freundlich.

Luzern, 22.6.2020

Karin Anderer

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