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Abzüge von KTG zur Darlehensrückzahlungen durch AG

Veröffentlicht:
19.01.2021
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Arbeitsrecht

Sehr geehrter Herr Pärli

Mein Klient hat vor 2 Jahren ein grösseres verzinsliches Darlehen von seinem Arbeitgeber erhalten. Gemäss dem Darlehensvertrag wurde dem Klienten zur Rückzahlung monatlich Fr. 500.-- abgezogen obwohl ihn dies aufgrund neuer Umstände (schwere Erkrankung und Arbeitsunfähigkeit seiner Frau) unter das Existenzminimum brachte. Mittlerweile wurde dem Klienten per Ende Januar gekündigt. Gleichzeitig ist er nun krank geschrieben, wodurch sich das Arbeitsverhältnis noch etwas verlängert, er gleichzeitig aber nun für einige Monate (wegen OP) auf KTG angewiesen sein wird. Meine Frage: Darf der Arbeitgeber dem Klienten auch von seinem KTG die Rate von Fr. 500.-- zur Rückzahlung des Darlehens (es sind noch einige tausend Franken offen) abziehen?

Besten Dank für Ihre Information und freundliche Grüsse

Maria Egli, Sozialarbeiterin FH

Frage beantwortet am

Kurt Pärli

Expert*in Arbeitsrecht

Sehr geehrte Frau Egli

Gerne beantworte ich Ihre Frage wie folgt:

Zwischen Ihrem Klienten und dem Betrieb bestehen zwei vertragliche Beziehungen, zum einen ein Arbeitsvertrag und zum anderen ein Darlehensvertrag. Soweit ich Ihren Angaben entnehmen kann, sind die beiden Verträge nicht miteinander verkoppelt, d.h., es bestehen keine Abmachungen, dass bsw. bei Beendigung des Arbeitsvertrages gleich die Rückzahlung des ganzen Darlehens fällig würde (nur nebenbei; eine solche Klausel wäre unzulässig, weil sie im Ergebnis gegen die Kündigungsvorschriften verstossen würde).

Die Forderungen, die der Arbeitgeber aufgrund des Darlehensvertrages gegen seinen Arbeitnehmer hat, werden bis zum heutigen Zeitpunkt jeweils mit dem Lohn verrechnet (500 Franken pro Monat). Diese Verrechnung ist grundsätzlich zulässig, solange und soweit damit nicht in das Existenzminimum des Arbeitnehmers eingegriffen wird (Art. 323b Abs. 2 OR).

Die Kündigung des Arbeitsvertrages ändert am Inhalt des Darlehensvertrages grundsätzlich nichts, d.h., wenn monatliche Rückzahlungsraten von 500 Franken vereinbart sind, dann gilt dies auch nach der Kündigung.

Eine andere Frage ist, ob die Arbeitgeberin unter den Umständen (Erkrankung, Krankentaggeld) weiterhin ihre monatliche Forderung von 500 Franken verrechnen darf.

Für die Beantwortung dieser Frage ist entscheidend zu wissen, ob die Arbeitgeberin ihrem Klienten weiterhin Lohn ausrichtet und dafür das Krankentaggeld für sich beantsprucht. Verhält es sich so, ist die Verrechnung der Darlehensforderung weiterhin zulässig, soweit die 500 Franken Abzug nicht im Ergebnis dazu führen, dass das Existenzminimum des Arbeitsnehmers nicht mehr garantiert ist (siehe Art. 323b Abs. 2 OR).

Wenn jedoch die Arbeitgeber nicht mehr lohn ausrichtet, sondern lediglich das Krankentaggeld weiterleitet, dann verhält es sich anders. Das Krankentaggeld ist diesfalls nicht Lohn und steht direkt dem versicherten Arbeitnehmer zu. Der Arbeitgber hat kein Recht auf Verrechnung. Der Arbeitnehmer kann auch bei der Krankentaggeldversicherung verlangen, dass das Krankentaggeld direkt ihm ausgerichtet wird (sogenanntes direktes Forderungsrecht).

Wie stellen  Sie fest, ob weiterhin Lohn oder nur noch Taggeld ausgerichtet wird? Das ist ganz einfach, auf dem Lohn sind weiterhin durch die Arbeiterin die Sozialversicherungsbeiträge (AHV/IV/BVG usw.) abzuführen. Wird lediglich das Taggeld weitergeleitet, so fehlen diese Abzüge (und der ARbeitnehmer ist selber verantwortlich für  die AHV-Beiträge und zwar als Nichterwerbstätiger.

Aber noch einmal; auch wenn der Arbeitgeber die 500 Franken nicht mehr oder nur noch zum Teil verrechnen darf, ändert dies an der Gültigkeit des Darlehensvertrages und der vereinbarten Rückzahlungsmodalitäten nicht, ihr Klient würde so hinsichtlich der Ratenzahlungen in Verzug geraten.

Im Interesse einer "verträglichen" Abzahlungsmodalität ist wohl am Sinnvollsten, mit dem Arbeitgeber das Gespräch zu suchen und eine reduzierte Rückzahlungsrate und ev. ein Teilerlass des Darlehens zu verhandeln.

Genügen Ihnen diese Angaben?

Mit Dank für die Kenntnisnahme und freundlichen Grüssen

Kurt Pärli

Sehr geehrter Herr Pärli

Ich bedanke mich für Ihre wertvollen Rückmeldungen und habe nun aber eine Rückfrage. Tatsächlich hat der Arbeitgeber im Darlehensvertrag festgehalten, dass bei einem Ausscheidern des Darlehensnehmers aus den Diensten der Firma infolge Austritt oder Tod die gesamte alsdann noch verbleibende Darlehensschuld zur sofortigen Rückzahlung fällig würde.

Sie schreiben, dass eine solche Klausel im Ergebnis gegen die Kündigungsvorschriften verstossen würde. Was heisst das nun konkret? Ist dadurch der direkte Zusammenhang zwischen Arbeitsvertrag und den Forderungen des Arbeitgebers trotzdem (nicht) gegeben bzw. was bedeutet dies nun für die Einschränkung gemäss Art. 323b, Abs. 2 OR, die besagt dass die Darlehensforderung nur soweit zulässig ist als das Existenzminimum des Arbeitnehmers nicht tangiert wird?

Ich danke Ihnen wenn Sie mir diesen Sachverhalt noch präzisieren können.

Ps. Der Arbeitgeber erwartet nun einen konkreten Vorschlag betr. Abzahlung der Restschuld. Wenn nichts dagegen spricht würde ich mit meinem Klienten einen Vorschlag auf der Basis des betreibungsrechtlichen Existenzminimums ausarbeiten.

Freundliche Grüsse

Maria Egli

Frage beantwortet am

Kurt Pärli

Expert*in Arbeitsrecht

Sehr geehrte Frau Egli

Es verhält sich so: Das Darlehensrecht - soweit es sich nicht um einen Konsumkredit handelt, der unter die Regeln des Konsumkreditgesetzes fällt (ich gemäss Ihrem Sachverhalt nicht davon aus) - ist relativ liberal ausgestaltet, auch was die Vereinbarung der Rückzahlungsmodalitäten betrifft. Nun gibt es einen Entscheid des Züricher Arbeitsgerichts (Arbeitsgericht Zürich, Entscheid vom 5. Dezember 2002)  indem ein Arbeitsvertrag mit dem Darlehensvertrag auf die Weise miteinander verkoppelt waren, dass das Arbeitsverhältis mindest solange dauert bis die Darlehensschuld getilgt war. Diese Klausel wurde als unzulässig betracht, weil sie gegen die Kündigungsvorschriften des OR verstiess.  Nun liegt ihr Fall etwas anders, der Darlehensvertrag sieht vor, dass die Rückzahlung des Darlehens sofort fällig wird, wenn das Arbeitsverhältnis endet. Auch hier könnte man argumentieren, dass auf diese Weise die Kündigungsfreiheit des Arbeitnehmers eingeschränkt wird und diese Klausel im Darlehensvertrag deshalb ungültig ist. Selbst wenn man aber davon ausgeht, ändert dies nichts an der Pflicht ihres Klienten, das Darlehens zurückzuzahlen. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses gilt die von Ihnen angesprochene Regelung in Art. 323b OR nicht mehr. Das bedeutet, der ehemalige Arbeitgeber kann die gesamte Summe auf einmal einfordern. Das nützt ihm aber nichts, denn wenn ihr Klient nicht bezahlen kann, muss die Betreibung angehoben werden und dem Klienten bleibt ohnehin das betreibungsrechtliche Existenzminimum. Es liegt deshalb im Interesse sowohl ihres Klienten als auch der Arbeitgeberin bzw. Darlehensgeberin, eine Rückzahlungsquote im RAhmen des Existenzminimums zu vereinbaren. Auf diese Weise können sich die Partien den Aufwand und die Kosten für das Betreibungsverfahren sparen.

Genügen Ihnen diese Angaben? Mit Dank für die Kenntnisnahme und freundlichen Grüssen

 

Kurt Pärli

Guten Morgen Herr Pärli

Vielen Dank für diese prompten Präzisierungen. Noch nicht genau verstanden habe ich die Frage, ob der Arbeitger im vorliegenden Fall in der Vergangenheit nun berechtigt war, Rückzahlungsraten zu vereinbaren die das betreibungsrechtl. Existenzminimum der Familie beschnitten haben. Auf meinen entsprechenden Hinweis hat der Arbeitgeber argumentiert,  Art. 323 b, Abs. 2 gelte nicht, weil ein direkter Zusammenhang zwischen seinen Forderungen und dem Abeitsverhältnis bestehe. Oder ist das nun im Sinne des von Ihnen als liberal bezeichneten Darlehensrecht nicht ganz klar? Die Frage ist im vorliegenden Fall nicht mehr von Bedeutung, die Antwort würde mich aber für die Zukunft interessieren.

Besten Dank für Ihre nochmalige Bemühung und freundliche Grüsse

Maria Egli

Frage beantwortet am

Kurt Pärli

Expert*in Arbeitsrecht

Sehr geehrte Frau Egli

Meines Erachtens ist der Fall klar, der Arbeitgeber darf mit der Verrechnung nicht in das Existenzminimum eingreifen.

Zu Art. 323b  Abs. 2 OR:

Der Arbeitgeber darf Gegenforderungen mit der Lohnforderung nur soweit verrechnen, als diese pfändbar ist, jedoch dürfen Ersatzforderungen für absichtlich zugefügten Schaden unbeschränkt verrechnet werden.

Was sind nun diese "Gegenforderungen der Arbeitgeberin"?

Dazu ein paar Lehrmeinungen:

Die Gegenforderungen umfassen alle Forderungen des Arbeitgebers, gleichgültig ob aus dem Arbeitsverhältnis stammend oder nicht (BSK-Portmann/RudolphOR 323b N 6, in Fritsch Daniela, in: Kren Kostkiewicz Jolanta/Wolf Stephan/Amstutz Marc/Fankhauser Roland (Hrsg.), OR Kommentar, Schweizerisches Obligationenrecht, 3. Aufl., Zürich 2016, Art. 323b N 3)

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(...) 3. Darlehensvertrag
Liegt ein Darlehen vor, so gelten für die Rückforderung der Darlehenssumme die Bestimmungen über den Darlehensvertrag nach Art. 312 ff. OR. Insbesondere gelten z.B. für die Kündigung die gesetzliche Frist von sechs Wochen (Art. 318 OR), sofern nichts anderes vereinbart ist, und die Verrechnungsbeschränkung gemäss Art. 323b Abs. 2 OR. Vertraglich kann beim Darlehen vereinbart werden, dass bei aussergewöhnlichen Gründen der Vertrag vorzeitig beendet wird, bspw. infolge Kündigung des Arbeitsvertrages. Wurde keine vorzeitige Kündigung bei aussergewöhnlichen Gründen vertraglich vereinbart, so wird im Einzelfall geprüft, ob dennoch nach richterlichem Ermessen ein wichtiger Grund dafür vorliegt.

Werden Zinsen und Rückzahlungen mit dem Lohn verrechnet, muss dennoch mindestens der Anteil des Lohnes für den Notbedarf ausbezahlt werden, denn gemäss Art. 323b Abs. 2 OR ist eine Verrechnung nur soweit zulässig, als sie das Existenzminimum nicht tangiert. Nur soweit der Lohn nach Art. 93 SchKG pfändbar ist, darf er mit Gegenforderungen verrechnet werden. Forderungen, die nicht durch Verrechnung getilgt werden können, müssen anderweitig geltend gemacht werden.

(Babić Aleksandra, Mitarbeitende mit finanziellen Problemen, Rechtliche Hinweise für Vorgesetzte, Zürich - Basel - Genf 2017, S. 49)

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(...) Ebenfalls zulässig ist es, wenn – gestützt auf eine entsprechende Vereinbarung – dem Arbeitnehmer zur Rückzahlung eines ihm von Arbeitgeber gewährten Darlehens die entsprechenden Raten direkt vom Lohn abgezogen werden. Die Verrechnungsbeschränkung gemäss Art. 323b Abs. 2 OR ist indessen einzuhalten.

(Morf Roger Peter, Lohn und besondere Vergütungsformen im privatrechtlichen Arbeitsverhältnis, Bern 2011 (= SSA 73), S. 198)

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Genügen Ihnen diese Informationen? Mit Dank für die Kenntnisnahme und freundlichen Grüssen

Kurt Pärli