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In welchen Fällen sollte die KESB anstelle eines Berufsbeistandes einen Fachbeistand einsetzen?

Veröffentlicht:
04.08.2023
Kanton:
Aargau
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Kindes- und Erwachsenenschutz

Guten Tag

Derzeit arbeite ich als Berufsbeistand in einem KESD (Kinder- und Erwachsenenschutzdienst) im Aargau, der für alle angeschlossenen Gemeinden im Bezirk Kindes- und Erwachsenenschutzmassnahmen durchführt. In der Praxis beobachte ich oft, dass das zuständige Familiengericht uns Berufsbeistände direkt mit sehr komplexen Erbangelegenheiten (Erbteilungen) und schwierigen Vermögensverwaltungen beauftragt, einschliesslich Geschäftsliquidationen. Meiner Meinung nach erfordern diese Mandate oft spezielles Fachwissen, das mir als Berufsbeistand fehlt. Sollte in solchen Fällen nicht möglicherweise Fachbeistände, wie Treuhänder oder Anwälte, aufgrund ihres spezifischen Sachverstandes direkt von der KESB eingesetzt werden? Gibt es in Bezug auf diese Frage gesetzliche Grundlagen, Empfehlungen, Vorgaben oder  Entscheide ?

Vielen Dank für die Beantwortung der Fragestellung.

Frage beantwortet am

Karin Anderer

Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz

Grüezi

Die KESB hat nach Art. 400 ZGB u.a. die Eignung des Beistands zu prüfen. Greift sie auf Berufsbeistandspersonen zurück, kann sie grundsätzlich von deren Professionalität ausgehen. Berufsbeistandspersonen sind aber regelmässig keine Jurist:innen oder Treuhandspezialist:innen, weshalb die KESB immer «ein fachliches Anforderungsprofil zu erstellen» hat (BSK ZGB I-Reusser, Art. 400 N 26).

Wichtig ist, dass die KESB und der KESD im Austausch stehen und die KESB das Profil, die Schwerpunkte und besondere Fähigkeiten der jeweiligen Beistandsperson kennt. Ebenfalls muss die Organisation eines KESD bekannt sein, gibt es doch kleine Dienste, die (noch immer) ohne Fachsupport auskommen müssen und solche, die auf einen internen oder externen Rechtsdienst und vielleicht sogar auf weitere Fachpersonen zurückgreifen können. Bei ersteren kann ein Fachbeistand bereits angezeigt sein, letztere können, dank des Supports, das Mandat selbst führen. Idealerweise haben die KESB und der KESD ein Vorgehen bestimmt, wie die geeignete Beistandsperson ausgewählt wird. Empfehlenswert ist auch der regelmässige Austausch über Mandate, auch über solche die aus Sicht der KESB und/oder des KESD «nicht gut gelaufen» sind; nur so lässt sich die Qualität der Arbeit kontinuierlich verbessern.

Nach Art. 400 Abs. 1 ZGB nimmt die Beistandsperson die Aufgaben selbst wahr. Das spricht aber nicht gegen eine Delegation von Aufgaben (BSK ZGB I-Reusser, Art. 400 N 30 f.). Zunächst ist die Frage zu klären, welche Aufgaben die Beistandsperson zwingend selbst zu erledigen hat. Fehlt es hier an der notwendigen Kompetenz, ist sie ungeeignet. Lässt sich die Aufgabe aber delegieren, so schadet eine ungenügende Kompetenz nicht (Daniel Rosch, Leitfaden für Berufsbeiständinnen und Berufsbeistände, 3. Auflage, Bern 2022, WB 17, S. 106). Mit der Zustimmung der Klientschaft oder der Erteilung einer Substitutionsbefugnis können z.B. im Aufgabenbereich des Rechtsverkehrs Aufgaben delegiert werden, z.B. die Einsetzung einer Erbrechtsspezialist:in. Bei einer komplexen Vermögensverwaltung kann eine Vermögensspezialist:in eingesetzt werden. Auch für Klient:innen ohne finanzielle Ressourcen ist das möglich, in Verfahren vor Verwaltungsbehörden und Gerichten greif die unentgeltliche Rechtspflege.

Die KOKES hat im Juni 2021 Empfehlungen zur Organisation von Berufsbeistandschaften herausgegeben und sie erachtet, neben einer Mindestgrösse der Dienste, interne oder externe Rechtsdienste für unabdingbar; «die Berufsbeistandschaft muss so organisiert sein, dass das rechtliche Spezialwissen in genügendem Mass und zeitgerecht den Mitarbeitenden zur Verfügung steht» (Empfehlungen Ziffer 2.6.).

Besonders komplexe juristische Angelegenheiten haben oft auch eine Dringlichkeit, und es ist der Sache nicht dienlich, wenn eine Beistandsperson, anstatt rasch mit der Arbeit zu beginnen, sich zuerst durch den komplexen Sachverhalt durcharbeiten und sich das notwendige Wissen aneignen muss. Die KESB hat bei ihren Abklärungen den Inhalt und die Dringlichkeit zu beachten und liegt eine komplexe juristische Angelegenheit vor, die sofortigen Handlungsbedarf hat, spricht das in der Regel für die direkte Einsetzung einer Fachbeistandsperson; nach Art. 400 Abs. 1 ZGB können bei besonderen Umständen mehrere Personen ernannt werden. Die Errichtung eines Mandats mit einer Substitutionsbefugnis führt oft nur zur unnötigen Verzögerung. Gerade Geschäftsliquidationen oder komplexe Erbangelegenheiten übersteigen die Fachkompetenzen einer Berufsbeistandsperson bei weitem, weshalb sich die Einsetzung eines Fachbeistandes aufdrängt (CHK ZGB-Fountoulakis, Art. 400 N 3 mit Hinweis auf BGer 5A_755/2019 E.3.2.2).

Ich hoffe, die Angaben sind nützlich und ich grüsse Sie freundlich.

Luzern, 28.8.2023

Karin Anderer