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Management-Skills und «Riggisberger Spirit»

02.03.2023 - 13 Min. Lesezeit

Sozialhilfe
Portrait von Martin Heiniger

Martin Heiniger

Fachredaktion Sozialinfo

Fotosujet Riggisberg

Der Sozialdienst Riggisberg steht heute auf einem viel stabileren Fundament als noch vor einem Jahr. Dazu hat - nebst der fachlichen Unterstützung durch andere Sozialdienste - wesentlich beigetragen, dass der Dienst von Grund auf reorganisiert wurde. Und nicht zu vergessen: mit dem «Riggisberger Spirit» hat die Belegschaft eine Betriebskultur etabliert, die entscheidend zum Gelingen des Neustarts beitrug.

Die Geschichte um den Sozialdienst Riggisberg wirft ein Schlaglicht auf den Arbeitsmarkt des Sozialbereichs. Der gegenwärtige Fachkräftemangel trug einiges zur schwierigen Situation bei, in die der Sozialdienst Riggisberg geraten ist.

Im Interview mit der Bereichsleiterin Kathrin Stalder und dem Sozialdienstleiter ad interim Daniel Röthlisberger zeigt sich aber auch, wie wichtig Management-Fragen im Sozialbereich geworden sind. Führungskompetenzen muss grundsätzlich ein höherer Stellenwert eingeräumt werden. Dazu gehören auch Themen wie Wissensmanagement oder Employer Branding, die im Sozialbereich bislang noch nicht systematisch verortet worden sind.

Die Schwierigkeit, qualifizierte Führungskräfte für den Sozialbereich zu finden, könnte ein Indiz dafür sein, dass der Sozialbereich hier vor einer Entwicklungsaufgabe steht.

Die Rettung eines Sozialdienstes

Vor einem guten Jahr stand der Regionale Sozialdienst Riggisberg vor einer ungewissen Zukunft. Im Beitrag vom 16.Februar 2023 berichteten wir, wie er es schaffte, sich aus einer Krisensituation heraus ein stabiles Fundament aufzubauen, sodass er heute seine operativen Funktionen und Aufgaben wieder erfüllen kann. Kooperationen mit anderen Sozialdiensten haben sich dabei als sehr gewinnbringend erwiesen.

Sozialinfo / Martin Heiniger: Daniel, welche Situation hast du angetroffen, als du das Mandat in Riggisberg übernommen hast?

Daniel Röthlisberger: Mir war schnell klar, dass es Lücken im strategischen Bereich gab. Es war während mehrerer Jahre niemand da, der die Prozesse gesteuert hat. Bei einem Regionalsozialdienst wie diesem wäre das die Aufgabe der Sozialkommission gewesen. Es gab zwar gute Reorganisationsansätze, aber letztlich wurde die Entwicklung von Ereignissen getrieben, wie etwa dass Leute gegangen sind oder Leitungspersonen gewechselt haben. Ich unterstütze jetzt die Kommission dabei, in die strategische Steuerung zu kommen.

Dein Auftrag ist also auf mehreren Ebenen angesiedelt. Nebst der Leitungsfunktion des Sozialdienstes ad interim coachst du auch das System?

Daniel Röthlisberger: Genau, es sind zwei Rollen. Zum einen den Tagesbetrieb des Dienstes sicherstellen, zum anderen Ansätze zur Reorganisation einbringen und umsetzen. Da gehen wir sachte vor, weil das Tagesgeschäft rollt und es immer noch einiges aufzuarbeiten gibt. Gleichzeitig sind wir aber schon auf der strategischen Ebene unterwegs, wo wir überlegen, wie wir unsere Vision umsetzen. In diesem Jahr müssen wir als erstes Prozesssicherheit bekommen.

Gibt es noch andere Aspekte der Reorganisation?

Daniel Röthlisberger: Wenn es zu wenig Leute auf dem Markt gibt, muss die Arbeit effizienter werden. Dazu müssen Prozesse definiert und, wo sinnvoll, digitalisiert werden. Viele Dienste sind hier im Rückstand. Manche haben zwar Prozesse beschrieben, aber sie werden nicht gelebt. Das passiert vor allem, wenn durch hohe Fluktuation das Wissen verloren geht. Man muss sich dann immer wieder neu erfinden. Deshalb ist das Wissensmanagement ein elementarer Baustein eines erfolgreichen Sozialdienstes. Nur so bleibt das Wissen verfügbar und allen zugänglich. Damit besteht auch keine Gefahr eines Machtgefälles.

Wie sichert Ihr Euer betriebliches Wissen?

Daniel Röthlisberger: Wir haben ein Wiki auf One-Notes aufgesetzt, das laufend von den Mitarbeitenden befüllt wird. Das ist relativ simpel, hilft aber, Wissen aufzubereiten und aktuell zu halten. So schafft man einen ganz grossen Vorteil, da Brain-Drain bei Abgängen verhindert wird.

« Wissensmanagement ist ein elementarer Baustein eines erfolgreichen Sozialdienstes. »

Daniel Röthlisberger

Für Sozialdienste ist es zurzeit nicht einfach, qualifiziertes Personal zu finden. Was steckt dahinter?

Daniel Röthlisberger: Für die Gemeindeverwaltung zu arbeiten, hat heute nicht mehr ein so grosses Ansehen wie früher. Das gilt auch für den Sozialdienst. Zudem gehen, etwa durch Pensionierungen, eher mehr Personen aus dem Markt heraus, als hereinkommen. Im Sozialwesen haben wir heute ganz klar einen Arbeitnehmermarkt. Und jetzt kommt die Generation Z, die hohe Flexibilität und Gestaltungsmöglichkeiten will, aber gleichzeitig nicht unbedingt Verantwortung übernehmen möchte. Das braucht andere Führungsansätze. Arbeit nach Schema X mit Blockzeiten und physischer Präsenz ist nicht mehr das, was junge Sozialarbeitende wollen. Wenn jemand vielleicht erst ab 10 Uhr gut arbeiten kann, warum soll er das nicht können? Mit den heutigen technischen Möglichkeiten gibt es eine Vielfalt neuer Arbeitsformen zu entdecken.

Gibt es weitere Aspekte?

Daniel Röthlisberger: Ein wichtiger Erfolgsfaktor ist etwa die Betriebskultur. In Riggisberg ist das klar spürbar. Bereits zu Beginn dieses Prozesses haben wir festgehalten, dass wir der beste Sozialdienst des Kantons Bern werden wollen. Diese Aussage ist ja erst mal sehr hoch gegriffen, aber eine solche Vision macht eben etwas mit einem Betrieb. Das Selbstverständnis ist dann ganz anders, als wenn du weisst, wir sind der Krisendienst. Dieser «Riggisberger Spirit» hilft uns sehr, unsere Vision zu verwirklichen.

Wie habt Ihr es geschafft, diesen Spirit zu erzeugen?

Kathrin Stalder: Ich weiss gar nicht, wieviel wir bewusst zu dieser Teamkultur beigetragen haben. Manchmal ist es auch ein Stückweit Glück, dass die Menschen in einem Team zusammenpassen. Wichtig ist uns, den Humor zu pflegen und auch zusammen zu feiern. Und dann ist es halt auch wichtig, dass es Austausch gibt und dass Unsicherheiten zugelassen werden können.

Daniel Röthlisberger: Bei Sozialinfo habt ihr ja gerade eine Studie mit der FHNW zu Kündigungsgründen veröffentlicht, die zeigt, wie wichtig etwa Wertschätzung ist. Dazu gehört auch, durch Delegation Vertrauen zu signalisieren. Uns ist es wichtig, unsere jungen Mitarbeitenden einzubeziehen und zu fördern. All das hilft, die Kultur zu fördern. Employer-Branding bedeutet auch, diesen Spirit zu erzeugen. Mit einem «coolen Team» übersteht man viele Krisen, ohne dass die Leute abspringen. Und wenn man das auch noch nach aussen transportieren kann, umso besser.

« Uns ist klar, dass man heute auch als Sozialdienst Employer-Branding betreiben muss »

Daniel Röthlisberger

Der Sozialdienst Riggisberg litt vorher unter einem schlechten Ruf. Wie geht ihr damit um?

Daniel Röthlisberger: Uns ist klar, dass man heute auch als Sozialdienst Employer-Branding betreiben muss. Das bedeutet, dass man sein Image nicht dem Zufall überlassen darf. Das ist umso wichtiger, als der Arbeitsmarkt dünn ist. Wir sprechen die Leute in den Inseraten per Du an, und wir schreiben, wir sind noch nicht der beste Sozialdienst, aber wir wollen es werden. Dieser Auftritt gegen aussen ist zentral, weil man sich in einem Markt abheben muss, auf dem letztlich alle dieselben Leute suchen. Es gibt schon nur im Aaretal einige Dienste, die Personal im Kaderbereich suchen. Hier braucht es ein positives Image.

Wie kann ein Sozialdienst ein positives Image schaffen?

Kathrin Stalder: Wenn wir zeigen können, dass wir in Riggisberg einen coolen Spirit und ein grossartiges Team haben, dann wirkt das attraktiv. Dabei hilft uns, dass wir als Dienst sichtbar werden, zum Beispiel, indem wir an den Austauschtreffen teilnehmen. Wir haben schon jetzt viele Ideen und Erfahrungen, die wir einbringen und teilen können, wie etwa das Wissensmanagement.

Hinweis: Dies ist die Fortsetzung des Fokusartikels "Die Rettung eines Sozialdienstes", der am 16. Februar 2023 publiziert wurde. Im ersten Teil des Beitrags erfahren Sie, wie es dazu kam, dass der Regionale Sozialdienst Riggisberg in Schieflage geraten ist und welche wesentlichen Schritte und Massnahmen dazu beitrugen, ihn wieder auf Kurs zu bringen.

Die Rettung eines Sozialdienstes

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