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Reflexion der professionellen Haltung mit dem Intervisionsmodell Schlüsselsituationen IMS

Mai 2020 / Beate Knepper, FHNW

Ein neu entwickeltes Intervisionsmodell ermöglicht es Fachpersonen, die Qualität ihres eigenen professionellen Handelns weiter zu entwickeln.

Das Intervisionsmodell nach dem Ansatz Schlüsselsituationen der Sozialen Arbeit (IMS) ermöglicht den Fachpersonen, die Qualität des eigenen professionellen Handelns weiter zu entwickeln. Es zielt nicht auf Problemlösung und Fallbearbeitung oder Handlungsalternativen, sondern nimmt die Reflexion der professionellen Haltung und Erklärungswissen in den Fokus. 

In Abgrenzung zu anderen Intervisionsmodellen wird im IMS ein besonderes Augenmerk auf eine vertiefte Reflexion gelegt, um die unsere Handlungen leitenden Werte und Haltungen zu erforschen sowie dazu Wissen zu generieren. Das IMS fokussiert den Diskurs auf Qualitätsaspekte des professionellen Handelns. Es kann ein gemeinsames Verständnis von Qualität entwickelt und damit in den Teams und Organisationen Wissensmanagement gefördert werden. Gemäss dem Leitsatz im Berufskodex: «Die Professionellen der Sozialen Arbeit setzen sich innerhalb ihrer Organisation für […] die stete Weiterentwicklung und Verbesserung der Qualität ihrer Organisation ein» (Avenir Social Berufskodex, 2010, Ziff. 13.3) (vgl. Zingg, Tatjana. 2019.)

Methodische Umsetzung

Die Teilnahme setzt die Bereitschaft voraus, sich vertrauensvoll in einen gemeinschaftlichen resp. kollaborativen Lernprozess zu begeben. Die Anwendung des Intervisionsmodells ist mit sechs Prozessschritten, die im Übersichtsblatt IMS Prozessschritte erkenntlich sind, in der Praxis gut umsetzbar. Es lässt sich auf viele Fragen in Intervision und auch in der Supervision anwenden. Gleichwohl bedarf es einer Vorbereitung, um das kollaborative Lernen und das dialogische Prinzip nachvollziehen zu können. Dazu wird folgend die Umsetzung skizziert. 

In der Abfolge von sechs Prozessschritten, die den reflexiven Denkprozess im hermeneutischen Zirkel (s. Anhang) fördern, unterstützen weitere methodische Grundlagen das gemeinsame Lernen. Sie befördern eine offene Lernkultur, um die Erfahrung, das Erkennen und Wissen situativ auszuhandeln und miteinander zu teilen. Die verschiedenen Sichtweisen aus der Perspektivenübernahme der beteiligten Personen und Aufträge im Triplemandat ermöglichen ein differenziertes Nacherleben, um die emotionalen Beweggründe und/oder Widrigkeiten und Haltungen zu erfassen. Im dialogischen Prozess entstehen daraus gemeinsame Erkenntnisse: Der Dialog ist dem Wesen nach erkundend, mit Hilfe der Anderen können wir unsere Annahmen, unsere Glaubenssysteme, all das, von dem wir annehmen, dass es doch ohne Zweifel so "sei", neu anschauen und erforschen. Die Kernfähigkeiten des Dialogs sind: radikaler Respekt; generatives Zuhören; Suspendieren von Annahmen; von Herzen sprechen. (vgl. Knepper 2019) Das gemeinschaftliche Lernen steht im Vordergrund und ermöglicht den Beteiligten, innere Haltungen zu hinterfragen, was im professionellen Handeln sichtbar werden kann. Ausgedrückt in unserem Motto: «eine Haltung ist die beste Intervention» (s. Leitfaden IMS)

Supervisor*innen, Studierende und Praktiker*innen berichten über Ihre Erfahrungen

«Das Triplemandat erweitert den Blick auf die Organisation.«

«Die Methode des Dialoges war für die Teilnehmenden äusserst spannend kennen zu lernen, da sie oft mit Bewertungen, Interpretationen konfrontiert waren und bei der Auswertung klar wurde, wie entlastend es ist, nicht interpretiert zu werden, sondern auf Forschungsreise für Erklärungen zusammen gehen zu können.»

«Gütekriterien als Qualitätsaspekte ermöglichen Zugang zu Standards der Sozialen Arbeit, der Berufskodex war für mich ein Schlüsselerlebnis: avenirsocial.ch/publikationen/verbandsbroschueren/

«Die dokumentierten Erklärungen waren beeindruckend, viel Inhalt, hat viel gebracht»

Der Reflexionsbogen gestaltet sich folgendermassen: Als Ausgangslage der Intervision dient eine konkrete herausfordernde Situation, die erzählt wird. Von den anderen Teilnehmenden wird das Erlebte nachvollzogen und dafür die unterschiedlichen Perspektiven eingenommen. Für das Aushandeln des Wissens steht das Handeln, also das erlebte kommunikative Verhalten der Professionellen, im Fokus. Im Dialog zwischen den Teilnehmenden werden die subjektiven Annahmen und fachliches Erklärungswissen als Begründung für professionelles Handeln in herausfordernden Situationen herausgearbeitet. Diese Qualitätsaspekte werden visualisiert und dokumentiert. Auf der Basis kann Erkenntnis und Wissen generiert werden, um erklären zu können, was wiederum in die je eigene zukünftige Praxis übertragbar ist.

Somit wird einerseits deutlich, dass wir hier keine Fallbearbeitung und keine Lösung für eine bestimmte Handlung als Ziel haben. Sondern es zeigt sich, dass ein gemeinschaftliches Erkennen von Haltung stattfindet. Also besteht der Effekt darin, dass jede/r Teilnehmende sich nicht nur in die Perspektiven hineinversetzt, sondern im Prozess gemeinsam neue Erkenntnisse gewinnt und die innere Haltung modifiziert, die im eigenen professionellen Handeln leitend wirkt.

Ausblick

Die Zusammenarbeit in der Umsetzung des Modells mit Fachkolleg*innen hat die Autorin persönlich und professionell bereichert. Das IMS findet aktuell in der Ausbildungssupervision an der FHNW Hochschule für Soziale Arbeit mit den Studierenden Anwendung. In der Praxis der Sozialen Arbeit bietet es sich an für geleitete Intervisionsgruppen, im Team und auch Supervision. Es wird neu auch mit digitalen Medien als schriftliches Setting angeboten werden.

Ergänzende Informationen

Der kommunikative Prozess der sechs Schritte im IMS folgt dem Denkprozess der hermeneutischen Spirale:

  1. Prozessschritt: Situation fokussieren Wahrnehmen //
  2. Prozessschritt: Erleben nachvollziehen und
  3. Prozessschritt: Erfassen der Ressourcen Erfassen //
  4. Prozessschritt: Erkennen der Haltung in der Situation Verstehen //
  5. Prozessschritt: Qualitätsmerkmale und Güterkriterien aushandeln und
  6. Prozessschritt: Rückbildung der Erkenntnisse an die individuelle Praxis Erklären //

Spezifische methodische Unterstützung: Im Schritt 2 und 3 bietet eine Triade der Beratung oder das Triple Mandat Unterstützung, die Perspektiven auf verschiedene Personen zu verteilen, in denen das Nacherleben stattfindet.

Für die Schritte 4, 5 des Erkennens und Aushandelns wird die Dialogmethode genutzt.

Dokumente im Netzwerk Schlüsselsituationen: https://schluesselsituationen.net/

Knepper, Beate.2019. Einführung in das Intervisionsmodell Schlüsselsituationen der Sozialen
Arbeit in der Ausbildungssupervision. Hochschule für Soziale Arbeit, FHNW. Portal
Praxisausbildung https://www.praxisausbildung.hsa.fhnw.ch/wordpress/home/

Tov, Eva/Kunz, Regula/Stämpfli, Adi (2013). Schlüsselsituationen der Sozialen Arbeit.
Professionalität durch Wissen, Reflexion und Diskurs in Communities of Practice. Bern: hep
Verlag

Zingg, Tatjana. 2019. IMS – Intervisionsmodell Schlüsselsituationen der Sozialen Arbeit. Eine
Verortung und fachliche Herleitung des Intervisionsmodelles «Schlüsselsituationen der Sozialen
Arbeit» mit dem Fokus auf Professionelles Handeln und professionelle Haltung in herausfordernden
Situationen der Sozialen Arbeit. Abschlussarbeit Supervision. schluesselsituationen.net

BEATE KNEPPER

Hochschule für Soziale Arbeit, FHNW, Muttenz
Dozentin, Modulleitung Praxisausbildung, Ausbildungssupervision und Projektwerkstatt
Supervisorin BSO; MA Supervision, Dipl. Päd. univ.
beate.knepper@fhnw.ch; www.fhnw.ch/sozialearbeit 


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