Wohnungsnot und psychische Belastungen prägen die Soziale Arbeit
Das Projekt «Zürich Sozial» hat seinen ersten Trend-Monitor durchgeführt. Dabei hat sich gezeigt, dass steigende Wohnungsnot und die Zunahme von psychischen Erkrankungen die heutige Soziale Arbeit stark beeinflussen. Sind diese Trends auch ausserhalb von Zürich von Bedeutung?
Das Kooperationsprojekt «Zürich Sozial» des Kantonalen Sozialamtes Zürich und der ZHAW Soziale Arbeit will Trends im Sozialbereich fassbar machen. Mittels systematischer Erhebungen schaffen die Verantwortlichen Grundlagenwissen über aktuelle und zukünftige Entwicklungen im Kanton Zürich und stellen sie Interessierten zur Verfügung. Damit wollen sie den Fachdiskurs innerhalb der Sozialen Arbeit anregen, und gleichzeitig relevanten Akteur*innen eine Wissensgrundlage für strategische Entscheide bieten.
Im Frühling dieses Jahres wurde ein erster Trend-Monitor durchgeführt. Dabei zeigte sich, dass zwei Themen die Sozialarbeitenden im Kanton Zürich besonders beschäftigen: steigende Wohnungsnot sowie eine Zunahme psychischer Erkrankungen.
Resultate des ersten Trend-Monitors
Im ersten Trend-Monitor haben sich zwei Entwicklungen herauskristallisiert, die die heutige Soziale Arbeit im Kanton Zürich stark prägen. Die ZHAW stellt dazu auf ihrer Website weiterführende Informationen zur Verfügung:
Sind diese Trends auch ausserhalb von Zürich von Bedeutung? In Absprache mit den Verantwortlichen des Trend-Monitors haben wir mit Fachpersonen aus anderen Kantonen der Deutschschweiz das Gespräch gesucht, um Antworten auf diese Frage zu finden. Die dabei gewonnenen Einblicke sind zwar nicht repräsentativ, geben aber doch spannende Hinweise darauf, wie sich diese Trends auswirken und welche Antworten die Soziale Arbeit darauf geben kann.
Trend steigende Wohnungsnot
Der Bezirk Küssnacht liegt, eingebettet zwischen dem Vierwaldstätter- und dem Zugersee, in der Nähe von Zürich, Luzern und Zug. Die attraktive Wohngegend verzeichnet eine gewisse Sogwirkung für gutverdienende Personen und Familien. Bezahlbarer Wohnraum ist auch hier ein Thema geworden, und die Aufwertung von Wohnquartieren führt teilweise dazu, dass Mieterschaften mit niedrigeren Einkommen verdrängt werden.
Jeannette Stalder Muff ist Abteilungsleiterin Soziales und Gesellschaft im Bezirk Küssnacht. «Für Angehörige der Mittel- oder Unterschicht ist es zunehmend schwierig, Wohnraum zu finden», sagt sie im Gespräch. «Für 700 Franken findet man heute keine Einzimmerwohnung mehr.»
JEANNETTE STALDER MUFF
Sozialarbeiterin HFS / FH
Abteilungsleiterin Soziales und Gesellschaft Bezirk Küssnacht
Vorstandsmitglied bei Sozialinfo
Jeannette Stalder Muff ist jedoch überzeugt, dass sie gute Lösungsansätze haben, um der Wohnungsnot zu begegnen. «Damit betroffene Personen eine Chance auf eine Wohnung haben, passen wir die Mietzinslimiten regelmässig an. Zudem unterstützen wir unsere Klientel bei der Wohnungssuche. Die Bezirksverwaltung tritt auch selbst als Mieterin auf und gibt die Wohnungen in Untermiete an Klient*innen der Sozialhilfe weiter.»
Auch in Basel-Stadt seien die Wohnkosten spürbar gestiegen, unter anderem durch die Energiekrise, sagt Thomas Frommherz, Bereichsleiter Wohnbegleitung und Housing First der Heilsarmee Basel: «Heute wird im Preissegment von 600 bis 900 Franken teilweise Wohnraum zwischen 11 und 19 Quadratmeter angeboten, das ist schockierend.» Mietzinsmaxima der Sozialdienste würden von Immobilienverwaltungen oder privaten Vermieter*innen oft ausgereizt: «Da steht schon ein Gewinnmaximierungsgedanke dahinter.»
THOMAS FROMMHERZ
Bereichsleitung Wohnbegleitung und Housing First, Heilsarmee Wohnen und Begleiten Basel
Für die Klient*innen der Heilsarmee in Basel gebe es oft bereits bei der Wohnungssuche Hürden. Oft fehlten die Mittel, um einen Betreibungsregisterauszug zu besorgen. Zudem würden auch vorhandene Registereinträge Chancen auf eine Wohnung schmälern. Manchen Klient*innen erschwere die Digitalisierung die Kontaktaufnahme mit den Verwaltungen.
Um Abhilfe zu schaffen, nutzt die Heilsarmee zum einen Wohnungen einer eigenen Liegenschaft für Menschen aus der Wohnbegleitung und aus dem «Housing-First»-Programm. Zum anderen akquiriert und mietet auch die Heilsarmee selbst Wohnungen, um sie dann unterzuvermieten. Das sei hilfreich, da dann bereits Vertrauensverhältnisse aufgebaut werden könnten. Hier nimmt Thomas Frommherz auch oft grosses Wohlwollen wahr: «Es gibt Liegenschaftsverwaltungen, Wohngenossenschaften und Eigentümer*innen, die offen sind und Menschen aus unserem Programm Wohnungen zur Verfügung stellen. Gerade, wenn jemand eine IV-Rente hat oder Sozialhilfe bezieht, wissen sie natürlich auch, dass das Geld kommt.»
Dies stellt auch Jeannette Stalder Muff fest: «Es ist wichtig, dass das Sozialamt als verlässlicher Partner wahrgenommen wird. Deshalb achten wir auch darauf, wer in welche Wohnung kommt.» Bei fehlenden Wohnkompetenzen würden Betroffene erst in niederschwelligeren Zentren untergebracht, wo sie ankommen könnten. «Wenn sie dann von dem Zentrum weiter in eine Wohnung gehen, haben sie gewisse Wohnkompetenzen erreicht.»
Diese enge Begleitung sei unter anderem möglich, da der Sozialdienst Küssnacht sich nach einer eher tiefen Fallast von 50 Dossiers auf 100 Stellenprozente richtet. «Wir nutzen den vom Büro BASS und der ZHAW entwickelten "Caseload Converter". Es zeigt sich, dass die langfristigen Kosten sinken, je mehr man in die Beratung investiert.»
Es ist wichtig, die Wohnknappheit auf politischer Ebene anzuschauen und dort nachhaltige Rahmenbedingungen zu schaffen.
Noch wichtiger schätzt Jeannette Stalder Muff jedoch die Kooperation mit öffentlichen und privaten Schaltstellen ein. Gute Verbindungen zu politischen Entscheidungsträger*innen ermöglichten ihr etwa, bei geplanten Überbauungsprojekten wirkungsvoll soziale Anliegen einzubringen: «Aktuell hat der Bezirk eine größere Parzelle einer Wohnbaugenossenschaft im Baurecht für 99 Jahre abgegeben. Auf dieser Parzelle werden rund 140 Wohnungen entstehen. Teil der Rahmenbedingungen ist, dass 30 Prozent des Wohnraums Personen mit begrenztem Budget zur Verfügung gestellt werden müssen, also etwa EL- oder Sozialhilfebezüger*innen.» In die strategische Planung des Wohnbauprojekts, in das sie selbst involviert war, sei auch eine Soziologin und Stadtplanerin beigezogen worden, etwa um eine gute Durchmischung zu gewährleisten.
Im Bezirk Küssnacht werde in den kommenden Jahren mehr günstiger Wohnraum auf den Markt kommen. Da sei es eine legitime Frage, was dies möglicherweise für Personengruppen anziehen könnte. Es sei aber keineswegs so, dass man bestimmte Menschen ausschliessen wolle. Im Gegenteil, von der Politik her sei ein grosses Wohlwollen da. Dies begrüsst Jeannette Stalder Muff: «Es ist wichtig, die Wohnknappheit auf politischer Ebene anzuschauen und dort nachhaltige Rahmenbedingungen zu schaffen, die auch in die Zukunft greifen.»
Wenn man mehr an die gesamtgesellschaftliche Verantwortung appellieren könnte, wäre schon viel gewonnen.
Die Knappheit an bezahlbarem Wohnraum führt in der Stadt Basel zu einem Verdrängungswettbewerb, der laut Thomas Frommherz «zu Lasten von Ärmeren und Asylsuchenden geht, oder auch von Personen, die über wenig Mittel verfügen, aber keine Begleitung haben, wie etwa Working Poor. Die Verdrängung findet auch zwischen diesen Gruppen statt. So wurden z.B. aufgrund der Ukrainekrise über 60 Wohnungen zur Verfügung gestellt, die vorher nicht ausgeschrieben waren. Da fragten sich manche unserer Klient*innen, weshalb sie diese Wohnungen nicht kriegen.»
Thomas Frommherz wünscht sich in der Gesellschaft ein höheres Bewusstsein dafür, dass Wohnen ein Menschenrecht ist. «Das hat mit Menschenwürde zu tun, das ist nicht diskutierbar. Wenn das in den Köpfen drin wäre, dann würde man vielleicht gar nicht vor der Situation stehen, dass Liegenschaftsverwalter Wohnungen anhand dessen vergeben, ob jemand zahlen kann, oder nicht, Betreibungen hat oder nicht. Sondern sie würden eher verstehen, dass Menschen, die auf der Strasse leben, dies nicht freiwillig tun. Wenn man mehr an die gesamtgesellschaftliche Verantwortung appellieren könnte, wäre schon viel gewonnen. Das schließt natürlich Lobbyarbeit und Öffentlichkeitsarbeit mit ein.»
Trend Zunahme psychischer Erkrankungen
Die Organisation «Positiv Verändere GmbH» unterstützt seit 2021 Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene und Familien bei psychischen Problemen. Aufgrund steigender Nachfrage wurde aus der ursprünglichen Einzelfirma in kurzer Zeit eine Organisation mit Standorten in Bern und St. Gallen. «Die häufigsten Diagnosen, die uns in der Praxis begegnen, sind Formen von Depressionen, Angststörungen, aber auch Störungen im Sozialverhalten», berichtet Kathrin Reinmann, Sozialarbeiterin bei Positiv Verändere GmbH.
Die sozialen und emotionalen Kompetenzen sind bei Jugendlichen sehr unterschiedlich ausgereift. Faktoren wie mangelhaft ausgeprägte Emotionsregulation sind Treiber für Krisen.
Die Ursachen dafür sieht sie zum einen im hohen Sozial- und Leistungsdruck im schulischen Kontext. Dazu zählt sie auch Mobbing, von dem viele Schüler*innen betroffen seien. Die Gestaltung von Beziehungen mit Peers, aber auch mit Eltern, sei ein zentrales Thema. «Die dazu benötigten sozialen und emotionalen Kompetenzen sind bei den Jugendlichen sehr unterschiedlich ausgereift. Faktoren wie mangelhaft ausgeprägte Emotionsregulation sind Treiber für Krisen.» Systemische Aspekte würden hier eine grosse Rolle spielen: «Die Art, wie Eltern mit Belastungen umgehen und ihre Gefühle regulieren, geben sie auch den Kindern weiter.»
KATHRIN REINMANN
Sozialpädagogin FH; Pflegefachfrau HF
Sozialpädagogische Coachin bei Positiv Verändere GmbH
Kathrin Reinmann glaubt, dass die Rolle der Eltern komplexer geworden sei, was sich in den Problemlagen zeige. «Eltern sind oft selber bereits psychisch belastet, da gibt es auch Übertragungen im System drin, besonders wenn die Resilienzfaktoren der Betroffenen nicht stark ausgeprägt sind.»
Manuela Müller, Vorstandsmitglied vom Verein Schulsozialarbeit Aargau (VeSSAG), arbeitet als Schulsozialarbeiterin an der Kreisschule Aarau-Buchs. Auch sie erlebt in ihrem Arbeitsfeld eine deutliche Zunahme an psychischen Belastungen: «Den Jugendlichen geht es nicht gut, das sehen wir ganz klar.» Ob es jedoch mehr psychische Erkrankungen im engeren Sinn gebe, sei nicht so sicher. Die diagnostizierten Erkrankungen hätten in den letzten Jahren nicht unbedingt zugenommen. Allerdings hätten die Jugendlichen heute viel mehr Begriffe für ihr Wohlbefinden. «Dazu verwenden sie oft diagnostische Begriffe, sie informieren sich auf Tik Tok oder anderen Social Media und ordnen dann ihre Befindlichkeit ein. Mit Begriffen wie “anxious”,“overthinking” oder "toxische Beziehungen" haben sie ein Repertoire, das sie aber nicht wirklich reflektiert benutzen.» Es wirke beinahe so, als sei man als Jugendliche*r nicht ganz normal, wenn man nicht auch ein bisschen anxious sei oder nicht auch schlecht schlafen könne. «Was wir aber schon sehen, ist eine Zunahme von Panikattacken, Angst- und Essstörungen.» Manche der wiederkehrenden Themen Jugendlicher könnten aber auch auf eine psychische Erkrankung hindeuten oder eine solche begünstigen. Beispiele dafür seien «Absentismus, sehr hoher Medienkonsum oder Handysucht, Motivationsprobleme, Stress, Überforderung, Gewalt- und Risikobereitschaft, fehlender Selbstwert, Selbstverletzung; die Liste ist sehr, sehr lang. Damit sind wir tagtäglich konfrontiert.»
MANUELA MÜLLER
Sozialarbeiterin FH; Vorstandsmitglied vom Verein Schulsozialarbeit Aargau (VeSSAG)
Schulsozialarbeiterin an der Kreisschule Aarau-Buchs
Die Frage nach den Ursachen findet Manuela Müller anspruchsvoll: «Es wäre sehr einfach zu sagen: ganz klar Social Media und der hohe gesellschaftliche Druck.» Natürlich seien die Anforderungen hoch, die Jugend sei eine schwierige Lebensphase. Aber das sei auch vor ein paar Jahren schon so gewesen. Neu sei, dass neben den Anforderungen der «realen» Welt noch die Onlinewelt hinzukomme, wo alles nochmal ganz anders laufe. «Da gibt es auf Social Media etwa die Idee des Manifestierens, dass man alles erreichen könne, wenn man es nur genügend wolle. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass man selbst schuld ist, wenn man seine Ziele nicht erreicht.» Das sei eine verzerrte Sicht auf die Realität. «Wir beobachten zudem ungesunde Entwicklungen in Freundschaften und Beziehungen. Paare kontrollieren sich und ihre Accounts gegenseitig und setzen sich so unter Druck. Jugendliche, die das eigentlich nicht gut finden, haben aber das Gefühl, sie müssten das auch tun, weil es zum Führen einer Beziehung dazugehöre.»
Auch Kathrin Reinmann glaubt, dass die hohe Verfügbarkeit von Social Media eine grosse Rolle spielt; Kinder und Jugendliche hätten dadurch weniger Zeit für sich selber und für Rückzug. «Zudem werden die virtuellen Beziehungen ganz anders geführt als diejenigen in der Realität, weshalb es dazu jeweils ganz unterschiedliche Kompetenzen braucht.»
Bei jungen Erwachsenen sehen wir ganz klar den Trend, dass sie sich besser mitteilen können.
Was die Zukunft betrifft, hat Manuela Müller zwiespältige Gefühle: «Mittelfristig werden sich aktuelle Trends wohl nicht ändern, sondern vielleicht sogar noch verstärken. In Bezug auf den Umgang mit Medien gibt es eine grosse Hilflosigkeit, sowohl bei den Schulen als auch bei den Eltern. Es gibt aber auch positive Aspekte darin, etwa dass psychische Belastungen enttabuisiert werden.»
Auch für Kathrin Reinmann gibt es Grund für Optimismus: «Bei jungen Erwachsenen sehen wir ganz klar den Trend, dass sie sich besser mitteilen können und mental ein grosser Reifeprozess stattfindet. Jugendliche von heute haben ein grösseres Vokabular, um ihre Emotionen auszudrücken und es ist für sie salonfähig geworden, darüber zu sprechen, wie es ihnen geht. Dort haben die Social Media natürlich positive Effekte, da mehr in die Öffentlichkeit getragen wird, auch von Vorbildern, an denen sich junge Erwachsene orientieren.»
Um die psychische Gesundheit junger Menschen zu fördern, braucht es für Kathrin Reinmann zum einen Präventionsarbeit: «Junge Menschen sollten möglichst früh mit den Thematiken in Berührung kommen. So kann ein höheres Bewusstsein für psychische Gesundheit und mehr Akzeptanz für psychologisch Hilfe entstehen. Zum anderen ist die Verfügbarkeit von Angeboten matchentscheidend.»
Für «Positiv Verändere GmbH» sei es eine bewusste Entscheidung gewesen, mit Sozialer Arbeit und Psychiatriepflege zwei Professionen unter ein Dach zu bringen. «Die Finanzierung ist aber sehr schwierig, und ich wünschte mir, dass wir uns frei, ausserhalb von bestimmten Finanzierungsmodellen bewegen könnten. So könnten Angebote ambulanter Sozialer Arbeit einfach und zeitnah für alle verfügbar gemacht werden, ohne die finanziellen Hürden, die es heute gibt.»
Psychologische Angebote müssten für alle einfach und kostenlos zugänglich sein.
Davon ist auch Manuela Müller überzeugt. «Gerade psychologische Angebote müssten für alle einfach und kostenlos zugänglich sein. Heute ist das nur möglich, wenn die Eltern einverstanden sind, weil sie die Kosten über die Krankenkasse tragen. Jugendliche tragen häufig Sachen zu lange alleine mit sich rum und trauen sich erst Hilfe zu holen, wenn es wirklich ernst ist. Und dann kommen noch Hürden wie Finanzierung oder fehlende Therapieplätze hinzu. Bei den Therapieplätzen hat es allerdings eine Entspannung gegeben.»
Auch Kathrin Reinmann stellt auf Seiten der Angebote Fortschritte fest: «In der Stadt sind sehr vielfältige Angebote verfügbar, das sieht man auch an den Kapazitäten von Therapeutinnen und Therapeuten. Auf dem Land sind die Angebote begrenzter und nicht immer ganz passend. Aber auch dort sehen wir Entwicklungen.»
Dass die Angebote heutzutage stark von der jeweiligen Finanzierung geprägt sind, hat noch andere Konsequenzen: «Wir müssen immer erst die Wirksamkeit nachweisen, etwa wenn wir Finanzierungsanfragen an Sozialdienste machen. Die Wirkung unserer Arbeit zu objektivieren, ist natürlich auch in unserem Interesse. Aber im Arbeitsalltag ist das auch immer eine erste Hürde, wo wir etwas beweisen müssten, was wir noch gar nicht können. Da treffen wir auf Widerstand von unseren eigenen Berufskolleg*innen auf den Sozialdiensten.» Kathrin Reinmann wünscht sich hier mehr Unterstützung von Hochschulen, da man es sich als kleines Unternehmen nicht leisten könne, die Wirksamkeit der eigenen Arbeit schwarz auf weiß darzulegen.
Für die Fachpersonen der Sozialen Arbeit ist die heutige Situation anspruchsvoll: «Wir haben Schwierigkeiten, Kooperationen mit Therapeut*innen oder mit Psychiater*innen zu gewinnen. Die wenigen, die überhaupt Kinder und Jugendliche aufnehmen, sind völlig überlastet. Da gibt es Wartezeiten bis zu einem halben Jahr. Deshalb machen wir oft lange Krisenbegleitungen, obwohl jemand längst eine stationäre Betreuung bräuchte. Das dazu benötigte breite Fachwissen kann man aber nicht einfach voraussetzen. Wenn man in solchen Beratungen tätig ist, zwingt es einen eigentlich dazu, sich weiterzubilden, um eine gute Fachlichkeit aufzubauen.»
Schulsozialarbeit ist keine Therapie. Hier müssen wir aufpassen, dass wir nicht unsere Kompetenzen überschreiten.
Auch in der Schulsozialarbeit müssten die Sozialarbeitenden ihr Wissen erweitern, da Themen im Zusammenhang mit psychischen Belastungen immer mehr Raum einnehmen würden. Manuela Müller sieht darin auch Gefahren: «Schulsozialarbeitende sind oft die ersten, die mit Themen psychischer Belastungen in Kontakt kommen. Das finde ich heikel, denn uns fehlt die nötige Ausbildung. Die Schulsozialarbeit ist keine Therapie. Hier müssen wir aufpassen, dass wir nicht unsere Kompetenzen überschreiten. Wir Schulsozialarbeiter*innen werden erstaunlicherweise manchmal zu einer sehr wichtigen Bezugsperson von Jugendlichen, obwohl das gar nicht unserer Rolle entspricht. Da muss man davon ausgehen, dass diese Jugendlichen in ihrem Umfeld keine Bezugspersonen haben.»
Deshalb sei zum einen die Zusammenarbeit mit spezialisierten Fachstellen sehr wichtig. Zum anderen brauche es vielleicht Anpassungen im Curriculum, glaubt Manuela Müller. «Irgendwann werden die Jugendlichen erwachsen, deshalb können wir in jedem Bereich der Sozialen Arbeit von einer Zunahme ausgehen. Da muss man sich überlegen, was denn die Sozialarbeitenden brauchen, um arbeiten zu können.» Die Fachhochschulen könnten jedoch noch Weiteres beitragen: «Ich fände es spannend zu erforschen, was denn die Jugendlichen brauchen, damit es ihnen besser geht. Was brauchen sie, damit sie den Einfluss von Social Media kritischer anschauen können, dass sie auch außerhalb von diesem Rahmen etwas finden können, das sie antreibt, das sie motiviert, an den sie sich orientieren können? Antworten auf diese Fragen würden uns weiterhelfen.»
Fazit: Der Trend-Monitor hat grosses Potenzial
Der aktuelle Trend-Monitor von «Zürich Sozial» hat zwei Entwicklungen aufgezeigt, die im Kanton Zürich von Bedeutung sind. Unsere Gespräche zeigen, dass die beiden Themen – Wohnungsnot und Zunahme psychischer Erkrankungen – auch andernorts wahrgenommen werden und die Fachpersonen und Organisationen der Sozialen Arbeit herausfordern.
Indem die Plattform solche gesellschaftlichen Entwicklungen erhebt und klarer fassbar macht, kann sie Akteur*innen des Sozialbereichs ein wichtiges Argumentarium liefern, um sowohl die Profession Soziale Arbeit als auch die Angebotslandschaft gezielt weiterzuentwickeln.
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