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«Es braucht einen Diskurs zur Professionalisierung im Job Coaching»

04.01.2024 - 5 Min. Lesezeit

Portrait von Martin Heiniger

Martin Heiniger

Fachredaktion Sozialinfo

Männliche  Person sitzt im Vordergrund und hört Coachin zu, die im Hintergrund sitzt und spricht.

Job Coaches unterstützen stellensuchende Menschen bei der Arbeitsintegration. Durch die Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt – vor allem die niedrige Arbeitslosigkeit und den Fachkräftemangel – ist eine hohe Fachlichkeit im Coaching noch wichtiger geworden.

Coaching ist ein anspruchsvolles Beratungsformat, das Menschen darin unterstützt, ihr Potenzial zu entfalten. Es bietet einen klaren konzeptuellen Rahmen und stellt hohe Anforderungen an die persönlichen und fachlichen Kompetenzen der Berater*innen. In Feldern wie etwa der Arbeitsintegration findet es auch in sozialarbeiterischen Kontexten Anwendung.

Coaching in der Arbeitsintegration. Ein Praxisfeld mit grossem Potenzial

Im kürzlich von Arbeitsintegration Schweiz publizierten Grundlagenbeitrag von Robert Wegener geht es um die Frage, was Coaching in der Arbeitsintegration konkret bedeutet. Wäre in den vorhandenen Angeboten mehr Coaching drin – so die zentrale These dieses Beitrags –, würde die Wirksamkeit, Qualität und auch Professionalität des Beratungsfelds Arbeitsintegration deutlich erhöht.

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Allerdings ist «Coach*in» kein reglementierter Beruf; d.h. die Ausübung der beruflichen Tätigkeit ist nicht an den Besitz bestimmter Berufsqualifikationen gebunden. Bestehende Angebote würden deshalb dem Anspruch von Coaching nicht immer gerecht, glaubt Coaching-Experte Robert Wegener, weshalb er sich für eine Professionalisierung des Job Coachings einsetzt. 

In einem soeben bei «Arbeitsintegration Schweiz» publizierten Grundlagenartikel legt er dar, was Coaching bzw. Job Coaching im Rahmen der Arbeitsintegration bedeutet. Im Gespräch mit Sozialinfo gibt Robert Wegener Auskunft darüber, wie sich Coaching in der Sozialen Arbeit verorten lässt und wie sich der Fachkräftemangel auf die Anforderungen an Coaching in der Praxis auswirkt.

Sozialinfo / Martin Heiniger: In welcher Beziehung steht Job Coaching zu Sozialer Arbeit? 

Robert Wegener: Job Coaches nehmen die spezifischen, teils sehr schwierigen Ausgangslagen ihrer Klient*innen sehr ernst und beziehen deren Interessen, Stärken und Fähigkeiten mit ein. Damit haben sie gewissermassen einen sozialarbeiterischen Blick. Gleichzeitig transportiert Coaching mit dem Bezug zur Arbeitswelt immer auch den Leistungsgedanken. Als Coaches gehen wir davon aus, dass beides möglich und richtig ist: dass wir eine massgeschneiderte Begleitung anbieten, die dem individuellen Unterstützungsbedarf einer erwerbslosen und beispielsweise Sozialhilfe beziehenden Person gerecht wird, man aber gleichzeitig die Autonomie als Ziel setzt, also etwa die Ablösung von der Sozialhilfe. Job Coaches schlagen damit eine Brücke zwischen Wirtschaft und Sozialer Arbeit. Ideal ist deshalb jemand mit einer sehr sozialen und zugleich sehr wirtschaftlichen Ader, und einer guten Beratungsausbildung obendrauf. 

In Ihrem Beitrag schreiben Sie, dass manche Angebote in der Arbeitsintegration dem Anspruch von Coaching nicht gerecht werden. Was meinen Sie damit? 

Oft wird dieser Begriff gebraucht, weil er attraktiv klingt. Ich setze mich dafür ein, dass Personen, die in einem solchen Feld tätig sind, auch wirklich gut coachen können. Grundlegende Coachingkompetenzen sind wichtig, um die Klient*innen erfolgreich unterstützen und in ihrem Potenzial aktivieren zu können, wie wir als Coaches sagen. 

Was zeichnet gutes Coaching aus? 

In vielen Programmen der Arbeitsintegration werden Klient*innen relativ standardisiert unterstützt, etwa beim Erstellen von Bewerbungsunterlagen oder bei der Stellensuche. Coaching dagegen würde bedeuten, dass zuerst eine tragfähige Arbeitsbeziehung aufgebaut wird, in deren Rahmen jemand wirklich Raum erhält, um ihre/seine Situation und Anliegen sorgsam auszuloten. Viele Programmanbietende gehen davon aus, dass das standardisierbar ist, und das halte ich für falsch. Der Kunstgriff ist vielmehr, herauszufinden, was diese bestimmte Person ganz spezifisch benötigt, um erfolgreich zu sein. Das ist eine andere Denkweise. 

« Job Coaches schlagen eine Brücke zwischen Wirtschaft und Sozialer Arbeit »

Robert Wegener

Wie lässt sich dies in Settings verwirklichen, an denen die Klient*innen nicht freiwillig teilnehmen? 

Der gekonnte Umgang mit sogenannt «schwierigen Klient*innen» ist Teil jeder guten Coaching-Ausbildung. Das sind etwa Personen, die geschickt werden, aber selber kein Interesse haben, weil sie nicht glauben, dass sie ein Problem haben. Oder solche, die zwar einsehen, dass sie ein Problem haben, aber anderen die Schuld dafür geben. Vielfach sind die Gründe, weshalb sich Klient*innen nicht einlassen können, aus ihrer Sicht durchaus sehr rational. Widerstände sind oft mit Unsicherheiten oder der Angst verbunden, wieder Enttäuschungen oder Überforderungen zu erleben. Als professionelle Coaches im Feld der Arbeitsintegration nehmen wir das, was die Klient*innen mitbringen, als Angebote an und sagen: «Ich könnte mir vorstellen, dass es für Sie gerade nicht einfach ist, hier zu sein. Es freut mich, dass Sie dennoch hier sind...». Gelingt ein authentischer und empathischer Kontakt, so kann man durchaus auch Personen für eine Zusammenarbeit gewinnen, die diesbezüglich zunächst sehr verschlossen oder zurückhaltend sind. Was es dazu braucht, sind spezifische Kompetenzen für einen gelingenden Beziehungsaufbau. Zum anderen braucht es ein geeignetes Beratungssetting. Das kann heissen, dass man auch mal ein, zwei Monate Zeit hat, mit der Person prioritär eine Arbeitsbeziehung aufzubauen, bevor man dann hauptsächlich über Arbeitsintegration sprechen und Resultate liefern muss. Das hilft den Klient*innen, sich auf das Angebot einzulassen und Vertrauen in sich und den Prozess zu fassen. Darin liegt viel Potenzial; ich habe noch niemanden kennengelernt, der sagte: «Das ist jetzt aber ein Seich, dass ich wieder jemand Wertvolles in einer Firma geworden bin». 

Wie reagieren zuweisende Stellen, wenn Sie Zeit für Beziehungsaufbau einfordern? 

Das hängt stark von der allgemeinen Qualität der Zusammenarbeit mit den zuweisenden Stellen ab, kommt aber in der Regel gut an. Wenn Zuweisende darauf vertrauen, dass ein*e Coach*in die Expertise hat, um jemanden für eine Zusammenarbeit zu gewinnen, wird auch die nötige Vorbereitungszeit gewährt. Denn im besten Fall resultiert daraus eine Integration der Klient*innen in die Wirtschaft und damit eine nachhaltige Reduktion der Sozialhilfekosten. Natürlich gibt es progressivere und konservativere Sozialdienste, aber ich bin oft sehr angetan davon, wie offen Sozialämter sind. Und wie gesagt, das hat schlussendlich sehr viel mit gegenseitigem Vertrauen und vorhandenen Erfahrungswerten zu tun. 

In Ihrem Beitrag beschreiben Sie dies unter dem Begriff «Kontrakt».  

Ja, meines Erachtens wäre es ideal, wenn es standardmässig ein Dreiecksgespräch mit der zuweisenden Stelle, der stellensuchenden Person und der coachenden Person gäbe, damit alle an einem Strick ziehen. Bis jetzt ist das jedoch eher die Ausnahme. 

Braucht es zusätzliche Kooperationspartner*innen, etwa bei Menschen mit psychischen Problemen? 

Absolut, der Kontakt mit Psychotherapeut*innen der Klient*innen ist ganz wichtig. Coaches sind keine Therapeut*innen und arbeiten nicht an der psychischen Heilung. Dennoch wird es immer wichtiger werden, dass Job Coaches Kenntnisse psychischer Störungsbilder haben, damit sie betroffene Menschen richtig einschätzen und passend begleiten können. Sonst ist man im Umgang mit Menschen überfordert, die etwa eine Schizophrenie, eine Boderline-Störung oder eine Autismus-Spektrum-Störung haben, weil man die psychologischen Dynamiken nicht einordnen kann. Und der gute Kontakt mit behandelnden Therapeut*innen ist wichtig, weil so eine gute Abstimmung möglich ist, die den Prozess der beruflichen Integration nur unterstützten kann. Fehlt dies, kann auch genau das Gegenteil eintreten. Und das ist sehr schade.  

« Wir haben nicht ein Problem von zu wenig, sondern eher von zu wenig hoch qualifizierten Job Coaches. »

Robert Wegener

Wie verändern sich die Anforderungen an die Kompetenzen von Job Coaches aufgrund der eher tiefen Erwerbslosigkeit und des gleichzeitigen Fachkräftemangels auf dem Arbeitsmarkt? 

Aufgrund des Fachkräftemangels finden viele Stellensuchende, die früher schwierig zu vermitteln waren, heute wieder Arbeit. Die Arbeitswelt benötigt im Moment jede Arbeitskraft und man spricht davon, dass in den nächsten 10-20 Jahren ein Arbeitnehmer*innen-Arbeitsmarkt entstehen wird. Das bedeutet, dass diejenigen Stellensuchenden, die jetzt noch an Arbeitsintegrationsprogrammen teilnehmen, oft wirklich schwierige Ausgangslagen haben und trotz Konjunkturaufschwung nichts finden. Die Konsequenz ist, dass wir zum einen eher zu viele Job Coaches haben, weil es insgesamt weniger braucht. Zum anderen müssen diejenigen, die es noch braucht, auch mit Stellensuchenden in richtig schwierigen Ausgangslagen umgehen können. Zurzeit haben wir deshalb nicht ein Problem von zu wenigen, sondern wenn, dann eher von zu wenig hoch qualifizierten Job Coaches. 

Im Moment haben aufgrund des Fachkräftemangels sehr viele Organisationen im Sozialbereich Mühe, gut ausgebildete Job Coaches zu finden. Wie kann dem begegnet werden? 

Nebst guten Job Coaches wird es auch innovativere Programme brauchen, die das notwendige Beratungssetting ermöglichen. Das würde wiederum die betreffenden Arbeitsstellen attraktiver machen und vielleicht mehr Fachkräfte motivieren, zusätzlich eine Coaching-Ausbildung zu machen.  

Wo wären die Schaltstellen, um das zu verbessern? 

Es braucht einen Diskurs zum Thema Professionalisierung im Job Coaching. Die wichtigen Player – Zuweisende, das SECO, die Sozialämter, das BSV – müssen sich dem Thema Professionalität im Job Coaching annehmen und mithelfen, Standards auszuformulieren, etwa dass, wer öffentliche Mittel erhält, professionelle Job Coaches anstellen muss. In gewissen Kantonen ist das teils schon umgesetzt, da wird ein CAS in Coaching oder Job Coaching vorausgesetzt, wenn jemand in dieser Funktion arbeiten will. Obwohl sehr viel Geld im Spiel ist, gibt es bislang keinen öffentlichen Diskurs. Es gibt jedoch etwas Bewegung in diesem Thema: An der Hochschule Luzern wird es eine Tagung geben, an der ich beteiligt bin.

Kann KI dereinst Coaches ersetzen? 

Je komplexer Anliegen im Coaching sind, desto wichtiger ist und bleibt die menschliche Komponente. Wir haben zunehmend Menschen in schwierigen Ausgangslagen zu begleiten, die primär «korrigierende» menschliche Begleitungen und Erfahrungen benötigen, die sie in ihrem bisherigen Leben oft nicht erfahren haben. Das gelingt nur, wenn sie mit sehr fähigen und auch menschlich «reifen» Job Coaches zusammenarbeiten dürfen. Ich bezweifle, dass es reicht, wenn man diesen Menschen einfach einen Computer oder Chatbot hinstellt. KI kann uns aber dabei unterstützen, die Unterstützungsprozesse zu optimieren. Und das wird künftig sicherlich ein zunehmend wichtiges Thema, auch für Job Coaches.  

Robert Wegener

Luzerner Tagung zur Arbeitsintegration: Job Coaching – ein Dschungel ohne Kompass

Mi 27. März 2024 08:30 - 16:45 Uhr

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Portrait von Martin Heiniger

Martin Heiniger

Nicht überall, wo Coaching draufstehe, sei genügend Coaching drin. Robert Wegener, Coaching-Fachmann, ortet in diesem Thema Entwicklungsbedarf.  

In der Sozialen Arbeit findet Coaching etwa in der Arbeitsintegration Anwendung. Gerade im Job Coaching brauche es ein klareres Bekenntnis zu hoher Beratungsqualität, nicht zuletzt, da in diesem Bereich viele Mittel investiert werden. Wirksamkeit und Qualität sind dabei von den fachlichen Kompetenzen der Coaches abhängig. 

Wir haben einen soeben publizierten Grundlagenbeitrag von Robert Wegener zum Anlass genommen, mit ihm über die aktuellen Herausforderungen im Job Coaching zu sprechen.