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„Man hat gesehen, dass Coaching funktioniert“

Februar 2022

Coaching erlebt einen regelrechten Boom. Manager*innen, Angestellte, Lehrer*innen, Sportler*innen oder aber auch Eltern suchen in herausfordernden Situationen die Unterstützung einer/s Coach*in. Auch in vielen Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit gibt es diverse Angebote unter dem Begriff Coaching. Doch was ist Coaching genau? Antworten darauf gibt Coaching-Pionier Werner Herren.

Als Werner Herren vor 40 Jahren das Kurszentrum Aarau gründete, war er ein Pionier im Bereich Coaching. Zum Jubiläum hat er nun einen Animationsfilm über die Entstehung und die Hintergrundideen des Coachings produziert. Coaching wird darin als Antwort auf die Bedürfnisse nach menschlicheren Arbeitsbedingungen gezeigt, die die Arbeitswelt seit den 70er-Jahren prägten und veränderten. Im Gespräch gibt Werner Herren Einblick in seine Sicht des Coachings, zu dessen Verbreitung in der Schweiz er einen wichtigen Beitrag geleistet hat.


Sozialinfo.ch/Lisa Stalder: Herr Herren, Coaching ist in aller Munde. Doch was ist Coaching genau?

Werner Herren: Es ist ein weiter Begriff. Spreche ich von Coaching, dann meine ich damit eine lösungsorientierte Kurzzeitberatung, bei dem ein Thema/ein Problem im Zentrum steht. In der lösungsorientierten Beratung fokussiert man sich auf mögliche Lösungen für das aktuelle Problem. Während man in den meisten Beratungen und Therapien viel Zeit für die Ursachenforschung verwendet – warum man dieses Problem hat – fokussiert die lösungsorientierte Beratung darauf, was zu einer raschen und nachhaltigen Lösung führen wird. Der Lösung ist es egal, wie das Problem entstanden ist. Meistens sind die Ursachen so vielschichtig, dass die Erforschung keinen praktischen Nutzen hat.

WERNER HERREN

Gründer des Kurszentrums Aarau
Coaching-Pionier

Heisst das, dass man in einem Coaching sich überhaupt nicht um die Vergangenheit kümmert?

Doch, im Aarauer Modell, das wir am Kurszentrum vermitteln, zeigen wir, dass es für die erfolgreiche Veränderung bei starken Symptomen, Emotionen und körperlichen Problemen wie z.B. Schmerzen sinnvoll ist, die Lösung möglichst nahe am Ursprungsort zu suchen, dort, wo das Muster für diese starken Gefühle, Verhaltensweisen usw. entstanden ist. Oft geht es um traumatische Erfahrungen. Unsere Beobachtung ist, dass die Verknüpfung mit der Vergangenheit zu stabileren Veränderungen führt, als wenn man diese nur in der Gegenwart suchen würde.

Die Geschichte des Kurszentrums Aarau

Das Kurszentrum Aarau wurde 1981 von Werner Herren in Aarau als eine der ersten schweizerischen Ausbildungsstätten im Bereich Systemisch-Lösungsorientierter Kurzzeitberatung und Systemisch-Lösungsorientierten Coaching gegründet. Die Bildungsangebote richten sich an Menschen in beratenden Berufen, an Mitarbeitende aus der Wirtschaft, der Verwaltung und aus dem Bildungswesen, sowie an Personen, die sich selbst und ihre Kompetenzen in der Kommunikation und Beratung weiterentwickeln wollen.

In den letzten 40 Jahren haben rund 7000 Fachleute die Lehrgänge am Kurszentrum Aarau besucht. Im vergangenen Herbst feierte das Kurszentrum sein 40-jähriges Bestehen. Anlässlich dieses Jubiläums hat Gründer Werner Herren gemeinsam mit Filmemacher Nicolas D’Aujourd’hui und der Drehbuchautorin Tina Hofmann einen Animationsfilm zur Entstehungsgeschichte des Coachings produziert.

Warum spricht man in der Arbeitswelt lieber von Coaching statt von Kurzzeitberatung?

Das lösungs- und zielorientierte Vorgehen – Coaching - bietet sich beispielsweise in der Arbeitswelt an, wenn es im Arbeitsalltag Probleme zu bewältigen gilt. Ein Coaching hat eine begrenzte Dauer. Man geht von etwa höchstens zehn Sitzungen aus. Der Durchschnitt liegt bei 4 bis 7 Sitzungen. Dieser Beratungsansatz ist so erfolgreich, weil er auch für das Unternehmen eine kostengünstige und massgeschneiderte Lösung ist. Es ist für Vorgesetzte auch einfacher, seine Mitarbeitenden für ein Coaching zu motivieren, als ihnen eine Psychotherapie schmackhaft zu machen. Der Begriff «Coaching» führt dazu, dass die Hemmschwelle etwas heruntergesetzt wird. Es ist keine Therapie, die Jahre dauern kann. Es kommt aber immer wieder vor, dass jemand nach Abschluss des Coachings in einer Therapie weiter an seiner Persönlichkeitsentwicklung arbeiten will.

Sie haben vor 40 Jahren das Kurszentrum Aarau gegründet und gehören hierzulande somit zu den Pionieren im Bereich Coaching und Kurzzeittherapie. Was hat Sie einst zu diesem Schritt bewogen?

Bereits Mitte der 1970er-Jahre gab es in Firmen Beratungsangebote. Diese waren aber nicht Teil des Arbeitsalltags. Vielmehr wurden die Chefs und Angestellten in Seminare geschickt, wo sie während einer Woche, manchmal sogar mehr, irgendwelche Themen diskutierten und Aufgaben lösten. Die Veränderungen im Arbeitsalltag waren äusserst gering. Für mich war schon damals klar, dass ein solches Angebot in den Arbeitsalltag integriert werden muss. Nur so können massgeschneiderte Lösungen für spezifische Probleme erarbeitet werden. Bei Konflikten oder Rivalitäten am Arbeitsplatz ist es möglich, alle Betroffenen miteinzubeziehen.

Was muss jemand mitbringen, um als Coaching-Expert*in arbeiten zu können?

Wichtig ist ein aufrichtiges Interesse an anderen Menschen. Man muss sich für eine Person engagieren, ihre Leiden und Probleme verstehen können. Ein gutes Stück Lebens- und Berufserfahrung ist hilfreich. Ich persönlich finde es sinnvoll, zuerst ein paar Jahre Berufserfahrung zu sammeln, bevor man die Ausbildung als Coach absolviert. Aber das ist natürlich eine ganz persönliche Entscheidung.

Heute hat sich Coaching in vielen Unternehmen etabliert. Früher war der Stellenwert noch nicht so hoch. Was hat sich geändert?

Viele Vorgesetzte erlebten in einem eigenen Coaching, wie es funktioniert und, dass es funktioniert. In den ersten Jahren war Coaching in vielen Unternehmen nur „under cover“ möglich. Inzwischen haben viele Unternehmen verstanden, dass ein Coaching auch für Führungskräfte und Angestellte von Nutzen sein kann. Da hat sicher auch der Sport eine wichtige Rolle gespielt. Ich muss hier anfügen: Das Coaching hat nicht das Klima in der Arbeitswelt verändert. Es sind immer noch Menschen mit ihren Stärken und Schwächen, die den Alltag, das Arbeitsklima, die Zusammenarbeit prägen. Aber wenn ein Unternehmen über mehrere Jahre mit einem Coach zusammenarbeitet, dann wirkt sich das positiv auf die Firmenkultur aus. Die sozialen Kompetenzen auf allen Ebenen nehmen zu – eine humanere Arbeitswelt ist die Folge.

Verschiedene Ausbildungswege führen zum Ziel

Wer Coach werden will, kann unter vielen Schulungsangeboten auswählen. Der Weg ans Ziel kann beispielsweise über eine Fachhochschule führen, so bieten etwa die Hochschule Luzern, die Fachhochschule Nordwestschweiz oder die Berner Fachhochschule Lehrgängen an. Aber auch anerkannte private Institute und Zentren wie das Kurszentrum Aarau, die Feusi Bildungszentrum AG Bern oder das Coachingzenter Olten bieten Aus- und Weiterbildungen im Bereich Beratung und Coaching an. Ein Grossteil der Angebote richtet sich an Personen, die bereits eine Ausbildung absolviert haben und über mehrere Jahre Berufserfahrung verfügen.

Welche Erwartungen darf man an ein Coaching haben?

Ganz grundsätzlich darf man sagen, dass Coaching erfolgreich ist. Sonst gäbe es diese Form von Problemlösung schon längst nicht mehr. Damit es das aber sein kann, braucht es das volle Engagement von beiden Seiten. Der Kunde, die Kundin muss also ein Interesse daran haben, etwas zu verändern. Ist jemand nicht bereit, sich auf ein Coaching einzulassen, dann wird es schwierig. Auch die Haltung ‚Ich zahle für diesen Dienst, also soll der Coach liefern‘ funktioniert nicht. Das ist der Unterschied zwischen einer Experten-Beratung (z.B. Finanz-, Werbe- oder Organisationsberatung) und einer Prozessberatung. Da geht es um Lernprozesse. Im Sport kann ein Coach die Sportlerin, den Sportler in der Vorbereitung unterstützen, den Wettkampf kann er aber nicht bestreiten. So ist es auch in anderen Bereichen: Kund*innen müssen die Lösungen im Alltag selber anwenden.

Macht Coaching immer Sinn oder gibt es Situationen, die sich nicht eignen dafür?

Das gibt es durchaus. Dann zum Beispiel, wenn das Problem mit der Biografie einer Person zu tun hat und weniger mit dem Arbeitsumfeld. Da bietet sich dann eher eine Therapie an. Schwierig ist es auch, wenn eine Person keinen Grund sieht, sich auf ein Coaching einzulassen. Also beispielsweise der narzisstisch veranlagte Chef, der das Problem nie bei sich, sondern nur immer bei den anderen sieht. Er ist gekränkt, dass man ihn zu einem Coach schickt. Das ist dann keine Basis für eine partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen dem Kunden und dem Coach. In der Regel klärt man schon beim ersten telefonischen Kontakt, ob die Voraussetzungen für ein Coaching erfüllt sind.

Auch in der Sozialen Arbeit hat sich das Coaching etabliert, zum Beispiel im Bereich der Arbeitsintegration. Sieht ein Coaching bei der Beruflichen Integration anders aus als in einem Grosskonzern?

Jedes Coaching ist immer wieder anders. Ein Arzt hat mal gesagt: «Wenn ich zwei Patienten gleich behandelt habe, dann habe ich einen von ihnen falsch behandelt». Die Situation der Kund*innen und wird zuerst im Vorgespräch geklärt. Ist ein Coaching überhaupt angemessen? Ist die Person für eine Veränderung motiviert? Bin ich die richtige Person dafür? Im Zusammenhang mit der Beruflichen Integration kommt es sicher öfter vor, dass Job Coaches mit Menschen zu tun haben, die sich womöglich nicht freiwillig für ein Coaching entscheiden würden. Es besteht also ein Zwangskontext. Was aber nicht heisst, dass die Ausgangslage deshalb weniger aussichtsreich wäre. Zu Beginn gilt es andere Fragen zu klären. Zum Beispiel: Hat diese Person bisher alles gemacht, was bei der beruflichen Integration formal wichtig ist? Konkret: Sind die Unterlagen zeitgemäss, sucht die Person Stellen im richtigen Bereich und welche Faktoren spielen eine Rolle, dass die Person bisher keine Stelle bekommen hat. Aber in jedem Fall gilt: Als Coach muss ich ein echtes Interesse an dieser Person haben. Ich muss bereit sein, mich mit all meinen Fähigkeiten einzusetzen. Und es ist wichtig, dass sich die Person am Prozess beteiligen kann und dies auch tut.


Zwei Beispiele aus dem Coaching-Alltag

Den einen belasteten die Spätfolgen einer Krankheit den Alltag, dem anderen erschwerte ein unpassendes Lachen die Stellensuche – Werner Herren, Gründer des Ausbildungszentrums Aarau, gewährt Einblick in deinen Alltag als Coach. 

Ein junger Mann (18), nennen wir ihn Philipp, litt unter den Spätfolgen des Pfeifferschen Drüsenfiebers. Schon nach fünf Minuten leichter körperlicher Arbeit war er total erschöpft und musste sich hinlegen. Die Ärzte fanden kein Mittel gegen die Erschöpfungssymptome. Deshalb erwägten sie, Philipp für eine IV-Rente anzumelden. Da empfahl ihm seine Grossmutter, sich bei Werner Herren in Behandlung zu geben. In der Kurzzeitberatung zeigte sich, dass bei Philipp das Pfeiffersche-Drüsenfieber frühere gravierende Körpertraumen reaktivierte. Unter anderem die Erfahrung einer schweren Geburt und eines Schädelbruchs im 3. Lebensjahr (mit Lähmungen und Verlust der Sprache). Ernsthafte Erkrankungen, wie das Pfeiffersche-Drüsenfieber oder aktuell Covid 19, erinnern den Körper oft an frühere lebensbedrohliche Erfahrungen. Wie bei einer Allergie schaltet der Körper auf Alarm. Aus dem Missverständnis heraus, dass es – wie bei der Ursprungserfahrung – darum gehe, das Überleben zu sichern. Solche Automatismen gelte es aufzulösen, sagt Werner Herren. Nach der zweiten Sitzung zeigte Philipp wieder Ausdauer und Lebenslust. Seine körperliche Leistungsfähigkeit war zurück. Nach fünf Sitzungen, seine Eltern und seine Freundin waren miteinbezogen, wurde die Beratung abgeschlossen. In einer langjährigen Nachkontrolle (vier Jahre) gab es keine Rückfälle. Er arbeitet heute als engagierter Pfleger in einem Spital.

Werner Herren hat einen rund 50-jährigen Mann begleitet, der etwas mehr als zwei Jahre zuvor die Stelle verloren hatte. Dies aufgrund eines Burnouts. Der Versuch, sich selbständig zu machen, scheiterte. Seither war er erwerbslos. Er wurde zwar oft an Bewerbungsgespräche eingeladen, kam auch regelmässig unter die letzten drei Bewerber*innen, die Stelle erhielt er aber nie. Er war entsprechend frustriert. Während der Mann zu erklären versuchte, wie es zu diesen Situationen komme, fiel Werner Herren ein inkongruentes Lachen auf, das sich immer dann zeigte, wenn er genauer nach dem Ablauf des Vorstellungsgespräches fragte. Es stellte sich heraus, dass der Mann eine grosse Scham empfand, wenn er nach der Lücke im beruflichen Werdegang gefragt wurde. Er wusste nicht, was er darauf antworten sollte und überspielte die Frage mit einem inkongruenten Lachen ohne darauf zu antworten. Sobald der Mann, durch die Rückmeldung des Coachs, gelernt hatte, ganz transparent und selbstverständlich zu erzählen, wie es zum Verlust der Stelle gekommen ist und weshalb die Idee einer selbständigen Tätigkeit nicht realisiert werden konnte, war das störende Lachen verschwunden. Kurz darauf fand er eine neue Stelle.


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