Aktuelle Studien zeigen, dass sich Personen mit Migrationshintergrund, aber auch Schweizer*innen mit einem ausländischen Namen öfter bewerben müssen, um eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch zu erhalten. Auch im Sozialwesen kommt es zu Benachteiligungen.
Vor kurzem sind zwei Studien erschienen, die belegen, dass ethnische Diskriminierung bei der Auswahl von Bewerbenden auf dem schweizerischen Arbeitsmarkt eine Realität ist.
Auch zweite Generation betroffen
So hat ein Forschungsteam an der Universität Neuenburg in einem Feldexperiment fiktive Bewerbungsunterlagen auf Stelleninserate verschickt. Einem Teil der Kandidat*innen gaben sie typisch schweizerische Namen, dem anderen ausländische Namen. Die Kandidat*innen mit ausländisch klingendem Namen stellten sie in den Bewerbungsunterlagen als perfekt integrierte Arbeitssuchende der zweiten Generation dar. Sie verfügten über einen Schweizer Pass und wiesen einen linearen Lebenslauf auf, das heisst: ohne Schulprobleme, Umorientierungsphasen oder Arbeitslosenzeiten. Weiter wiesen sie schweizerische Sprachkenntnisse, sowie Ausbildungsabschlüsse und Berufserfahrungen in der Schweiz aus. Als Resultat zeigte sich: Die Bewerbenden mit ausländischem Namen mussten im Feldexperiment im Durchschnitt 1,3-mal mehr Bewerbungen schreiben als ihre gleich qualifizierten Mitbewerbenden mit typisch schweizerischem Namen, um zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden. Am stärksten war die Diskriminierung gegenüber kosovarischen Bewerbenden (1,4), gefolgt von solchen mit kamerunischen Wurzeln (1,3). Auch die Bewerbenden aus Frankreich und Deutschland erhielten weniger häufig eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch (1,2).
ETH-Studie zu Benachteiligung von Ausländer*innen
An der ETH Zürich untersuchte eine Forschungsgruppe während 10 Monaten auf der JobRoom-Plattform des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO), wie Personalvermittler nach Kandidat*innen suchten. Dabei zeichneten sie alle Klicks auf der Plattform auf. Anhand von 3,4 Millionen Ansichten von Lebensläufen erhoben sie, wie viel Zeit die Personalvermittler mit jedem Lebenslauf verbrachten und wen sie kontaktierten. Als Resultat kam heraus, dass Arbeitgebende zwar genauso viel Zeit für das Anschauen von Lebensläufen von ausländischen wie schweizerischen Bewerbenden verwendeten. Sie kontaktierten die ausländischen Bewerbenden jedoch 6,5 mal weniger häufig.
Diskriminierung bei der Besetzung von Kaderstellen im Sozialbereich
Bereits in einer früheren Studie von 2018 haben Forschende der Universität Neuenburg untersucht, ob hochqualifizierte Bewerbende mit Migrationshintergrund beim Zugang zu Kaderpositionen in sozialen Institutionen diskriminiert werden. Tatsächlich konnten sie zeigen, dass Arbeitgebende hochqualifizierte Kandidat*innen mit Migrationshintergrund bei Stellenbesetzungen für Kaderpositionen weniger berücksichtigen als schweizerische Kandidat*innen. Besonders gross sind die Vorbehalte der Arbeitgebenden, wenn die Kandidat*innen ihre Ausbildung in einem Drittstaat absolviert haben – auch dann, wenn sie inzwischen Berufserfahrungen in der Schweiz gesammelt haben und eingebürgert sind. Die Chance erhöht sich leicht für jene, die über eine schweizerische Ausbildung verfügen. Grösser sind die Chancen hingegen, wenn es um Leitungsstellen der mittleren Hierarchiestufe geht oder das Zielpublikum der Institution einen hohen Anteil an Migrant*innen aufweist.
Positive Auswahlkriterien übersehen
In der Befragung bestätigten Arbeitgebende, dass sie die im Ausland erworbene Ausbildung der Kandidat*innen als negatives Kriterium bewerteten. Kritisch ist dabei laut den Forscher*innen, dass sie diese derart negativ bewerteten, dass sie andere, positive Kriterien weitgehend ignorierten, wie zum Beispiel die langjährige Berufserfahrung in der Schweiz. Weiter gaben Arbeitgebende mangelhafte Sprachkenntnisse als Ausschlussgrund an. Bei Kandidierenden mit deutscher Standardsprache als Muttersprache wiederum hatten sie Vorbehalte wegen deren vermuteter Eloquenz und der damit verbundenen Annahme, dass sich Mitarbeitende und Klient*innen „bedroht“ fühlen könnten. Das Problem hier: Die Arbeitgebenden haben Bewerbungen aufgrund von nicht überprüften Vermutungen ausgeschlossen.
Fehlende Vernetzung vermutet
Als weiteren wichtigen Ausschlussgrund haben Arbeitgebende eine vermutete fehlende Vernetzung in lokalen Netzwerken angegeben. Bei sozialen Institutionen, die auf externe Finanzierung durch die öffentliche Hand oder durch Spenden angewiesen sind, erachteten die Arbeitgebenden die Vernetzung in der lokalen oder regionalen Politik als besonders wichtig für die Sicherung und das Fortbestehen der Institution. Diese Begründung mag zwar gut nachvollziehbar sein, aber auch hier ist problematisch, dass die Arbeitgebenden Bewerbende allein aufgrund einer Vermutung ausgeschlossen haben.
Infosperber: Ethnische Diskriminierung auf dem Schweizer Arbeitsmarkt
Higgs: Wie der Schweizer Arbeitsmarkt Ausländer diskriminiert
EKR: Diskriminierung von hochqualifizierten Personen mit Migrationshintergrund im Sozialbereich
SKMR: Zugang zur Justiz in Diskriminierungsfällen. Grundlagen zum Diskriminierungsschutz in der Schweiz
Pärli Kurt, Naguib Tarek, Copur Eylem, Studer Melanie: Diskriminierungsrecht. Handbuch für Jurist_innen, Berater_innen und Diversity-Expert_innen
Humanrights.ch: Diskriminierung in der Arbeitswelt: Rechtslage in der Schweiz
EKR: TANGRAM 38. Rassendiskriminierung und Zugang zur Justiz
Autor*in
Regine Strub
Wenn Menschen aufgrund ihres Migrationshintergrundes oder eines ausländisch klingenden Namens erst gar nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden, ist das frustrierend und unverständlich für die Betroffenen. Es ist aber auch bedauerlich, weil damit wertvolles menschliches und fachliches Potential verloren geht. Das können wir uns als Gesellschaft nicht leisten.
Diskriminierung im Anstellungsverfahren muss nicht absichtlich geschehen, sondern „passiert“ oft aus Unachtsamkeit, aufgrund von unbewussten Stereotypen oder aus einer Unsicherheit heraus. Das macht das Phänomen schwer fassbar.
Bislang ist die Situation in der Schweiz wenig untersucht. Im aktuellen Dossier stellen wir aktuelle Studien zur ethnischen Diskriminierung im Auswahlverfahren von Bewerbenden vor. Auch der Sozialbereich ist nicht vor Diskriminierung gefeit, wie eine weitere Untersuchung aus dem Jahr 2018 zeigt.
Die Resultate geben zu denken und regen hoffentlich zum Handeln an.