Führungskräfte spielen in der Gestaltung der digitalen Transformation von sozialen Organisationen eine zentrale Rolle. Sie werden vor vielfältige und komplexe Herausforderungen gestellt.
Führungskräfte übernehmen Verantwortung für den laufenden Betrieb und die zukünftige Entwicklung ihrer Organisation und ihrer Leistungserbringung. Dies gilt auch für das Thema der digitalen Transformation. Nach wie vor gibt es viele Organisationen, in welchen die Verantwortlichkeiten dafür nicht klar geregelt oder – aus unterschiedlichen Gründen – nicht ausreichend wahrgenommen werden. Ein möglicher Grund dafür kann sein, dass es der Führungsperson noch nicht gelungen ist, sich das notwendige Wissen und die Kompetenzen anzueignen, um dieses komplexe Thema in die Organisation und in den Führungsalltag zu integrieren.
Die Komplexität ist nämlich nicht rein technischer Natur. Und Digitalisierung ist nicht mit der Installation eines Tools oder mit der Auswahl eines Software-Lieferanten getan. Es sind vielfältige Aspekte, welche für eine gute und fachlich adäquate Umsetzung der digitalen Transformation notwendig sind. Diese Aspekte angemessen zu berücksichtigen, sich das notwendige Wissen anzueignen und das Zusammenspiel der verschiedenen technischen und zwischenmenschlichen zu integrieren, ist verständlicherweise für Führungskräfte eine Herkulesaufgabe.
Welches sind diese zentralen Herausforderungen, denen sich Führungskräfte von sozialen Organisationen stellen müssen?
Von der technologischen zur ganzheitlichen Perspektive
Die Verankerung der digitalen Transformation in die Strategie der Organisation und das Festlegen, wer sich innerhalb der Leitung für das Thema verantwortlich zeichnet, ist ein zentraler Faktor. Damit wird Transparenz innerhalb der gesamten Organisation geschaffen, wo die digitale Reise hingeht und wer – beispielsweise auch für Ideen von Mitarbeitenden – die Verantwortung übernimmt.
Leitungspersonen – oder allenfalls auch Personen in Stabsstellen – welche die Verantwortung für die digitale Transformation übernehmen und entsprechende Veränderungen in Angriff nehmen wollen, sollten sich vor Augen führen, dass die herrschende Organisationkultur einen massgeblichen Einfluss auf die Digitalisierungsvorhaben hat. Der bisherige Umgang mit Veränderungen, die Feedback- und Fehlerkultur, das gelebte Führungsverständnis, die Art der Zusammenarbeit innerhalb der Organisation: All dies bildet den Nährboden, auf welchem digitale Projekte besser oder eben weniger gut gedeihen. Mitarbeitende werden schliesslich nicht über Nacht zu innovativen oder agil handelnden Personen, nur weil das für ein IT-Projekt gerade nützlich ist.
Neben der Berücksichtigung der organisationalen Voraussetzungen für Entwicklungen gibt es für Leitungspersonen aber auch ganz konkrete Aufgaben. Dazu gehört die Verantwortung für den Betrieb und de Weiterentwicklung der Infrastruktur (Hard- und Software), die Zusammenarbeit mit externen IT-Lieferanten oder internen IT-Abteilungen. Es gilt aber auch sicherzustellen, dass die Mitarbeitenden der Organisation über die erforderlichen digitalen Kompetenzen verfügen. Wobei sie auch ihre eigene Kompetenzentwicklung nicht vergessen dürfen, da ihnen auch in der Digitalisierung eine wichtige Vorbildfunktion zukommt.
Ein weiteres Thema, dem eine zentrale Bedeutung zukommt, ist das Prozessmanagement. Im Hinblick auf die Digitalisierung ist damit gemeint, dass die Abläufe und Prozesse der Organisation möglichst gut auf die eingesetzte IT-Lösungen angepasst sein sollen. Dies gilt vor allem für standardisierbare und administrative Prozesse. Denn hier besteht ein grosses Potenzial, um die Effizienz und Effektivität des Ressourceneinsatzes zu optimieren. Ist die Passung gut, wird weniger Zeit darfür investiert, standardisierbare Arbeitsschritte manuell durchzuführen oder es passieren weniger Fehler. Damit steht für die eigentliche Leistungserbringung mehr Arbeitszeit zur Verfügung: Die Arbeit für und mit den Adressat*innen.
Das Prozessmanagement beinhaltet jedoch nicht nur eine administrative Seite, deren Anforderungen durch IT-Lösungen meist relativ gut abgedeckt werden können. Es bedeutet auch die Auseinandersetzung mit den Anforderungen, welche das professionelle, fachlich adäquate Arbeiten der Fachpersonen an die technischen Lösungen stellt. Hier gilt es genau hinzuschauen, welche Tätigkeiten aus fachlicher Sicht standardisierbar sind und sich damit für eine IT-unterstützte Lösung eignen und welche eben nicht. Findet diese Auseinandersetzung nicht statt, nimmt eine Organisation in Kauf, dass eine technische Lösung den professionellen Handlungs- und Gestaltungsspielraum derart einschränkt, dass die Wirkung der professionellen Sozialen Arbeit reduziert wird. Hier ist es für Leitungspersonen und Mitarbeitende wichtig, einen gemeinsamen Dialog zu führen.
Für die Entwicklung von Angeboten und Leistungen sind Kenntnisse über die digitale Lebenswelt der Adressat*innen zentral. Unabhängig davon, ob neue Angebote lanciert oder bestehende Leistungen angepasst werden: Die Lösungen müssen auch an die jeweilige Zielgruppe und an deren Situation angepasst werden. Hier stellt sich die Frage, ob eine soziale Organisation genügend darüber weiss, wie gut die Klientel mit IT-Infrastruktur ausgerüstet ist und wie deren digitalen Kompetenzen aussehen. Diese Informationen bilden eine wichtige Grundlage, um die Entwicklung nicht an den Betroffenen vorbei zu organisieren.
Im Hinblick auf die meist knappen finanziellen und personellen Ressourcen von sozialen Organisationen kommt den Leitungspersonen auch die Aufgabe zu, bei den entsprechenden Entscheidungsträger*innen ein Verständnis dafür zu schaffen, dass für die digitale Transformation entsprechende Mittel verfügbar sein müssen. Das Ausarbeiten von Zielgruppen spezifischen Argumentarien und das Schaffen der notwendigen Aufmerksamkeit spielt dabei eine zentrale Rolle.
Ressourcenerschliessung erweitert denken
Gerade im Hinblick auf die begrenzten finanziellen und personellen Ressourcen in sozialen Organisationen kommt dem Aspekt der Ressourcenerschliessung eine wichtige Bedeutung zu. Und es dürfte im Sozialbereich hilfreich sein, diesen Aspekt nicht (nur) aus der betriebswirtschaftlichen Perspektive zu betrachten, sondern die Vorgehens- und Denkweise aus dem fachlichen Handeln der Sozialen Arbeit zu adaptieren. In der Klientenarbeit bedeutet dies, dass die Fachpersonen Zugänge und Verfügbarkeiten von internen und externen Ressourcen für die Klient*innen kennen und nutzbar machen. Überträgt man dieses Prinzip auf die Arbeit von Führungskräften, stellen sich die folgenden Fragen: Was oder wer stellt für die digitale Transformation eine Ressource dar? Wie erhalte ich Zugang zu den entsprechenden Personen, Organisationen?
Bei der Frage nach Was oder Wer bietet sich an zu schauen, welche anderen Akteur*innen sich möglicherweise mit ähnlichen Themen beschäftigen. Das können Personen in anderen sozialen Organisationen oder Fachverbänden sein, die in vergleichbaren Arbeitsfeldern tätig sind oder mit gleichen Zielgruppen arbeiten. Warum nicht mit einer unbürokratischen Einladung zum offenen Austausch beginnen? Dies erweitert das eigene Netzwerk, es macht die eigenen Anliegen und Interessen nach aussen sichtbar und ermöglicht im besten Fall zukünftige Kooperationen. Ein solches Vorgehen setzt jedoch die Grundhaltung voraus, dass Kooperation – insbesondere in der Digitalisierung – effizienter ist als Konkurrenz.
Doch nicht nur ausserhalb der eigenen Organisation sind Ressourcen vorhanden. Auch eigene Mitarbeitende, welche im Hinblick auf die Digitalisierung eine Affinität und möglicherweise auch erweiterte Kompetenzen mitbringen, stellen für die digitale Transformation eine Ressource dar. Sind diese Mitarbeitenden den Führungskräften bekannt, kann ein Dialog auf Augenhöhe begonnen werden. Insbesondere in stark hierarchisch geprägten Organisationen ist es empfehlenswert, erst notwendige Art und Weise dieses Austausches zu etablieren. Anderenfalls besteht das Risiko, dass die betroffenen Mitarbeitenden dies als Scheinpartizipation oder Alibiübung wahrnehmen und somit das Potenzial dieser Ressource verloren geht.
Mut zur Priorisierung
Wie anhand der obigen Ausführungen dargelegt: Die digitale Transformation stellt die Führungskräfte vor weit grössere Herausforderungen als ‘nur’ die Integration von technologischen Lösungen. Angesichts der Vielfältigkeit und Komplexität des Themas kann sich bei Führungskräften - verständlicherweise - ein Gefühl der Überforderung einstellen. Und trotzdem gibt es gute Gründe, sich der digitalen Transformation aktiv anzunehmen und sich Schritt für Schritt vorwärts zu bewegen. Leitungspersonen, welche in ihrer Organisation neu oder erst seit kürzerem die Verantwortung für Digitalisierungsthemen übernehmen, tun gut daran, sich als erstes einen Überblick zu verschaffen. Sie sollten den Mut zu haben Prioritäten zu setzen, die für die Organisation und die Mitarbeitenden verträglich sind.
Autor*in
Christine Mühlebach
Führungskräfte spielen bei der digitalen Transformation in sozialen Organisationen eine zentrale Rolle. Und die Aufgabe ist für sie mit spezifischen Herausforderungen verbunden. Diese gehen weit über die Bereitstellung technischer Lösungen oder die Beschaffung finanzieller Mittel hinaus. Im aktuellen Beitrag zeigen wir eine Übersicht über diese zentralen Herausforderungen für Leitungspersonen.
Übrigens: Im Verlauf des August 2021 werden Sie auf unserer Webseite die Informationen zu einem Analysemodell finden, welches spezifisch für das Sozialwesen entwickelt wurde und Leitungspersonen darin unterstützt, den Handlungsbedarf in ihrer Organisation zu identifizieren und Prioritäten zu setzen.