Digitalisierung Fokusartikel

Digitale Kompetenzen sind ungleich verteilt

April 2022

Der digitale Wandel beeinflusst die unterschiedlichsten Lebensbereiche. Er verändert die Art wie wir Kontakte pflegen, Zugang zu Informationen erhalten, wo und wie wir einkaufen, arbeiten oder unsere Freizeit verbringen. Wer an diesen Veränderungen teilhaben will, benötigt ein gewisses Mass an digitalen Kompetenzen. Andernfalls droht die digitale Exklusion.

Wenn sich die Soziale Arbeit dem sozialen Problem der digitalen Exklusion annehmen will, werden Kenntnisse darüber benötigt, welche spezifischen Grundkompetenzen für die Menschen relevant sind, um diese Art der gesellschaftlichen Teilhabe zu ermöglichen.

Die breitgefächerten Digitalisierungsthemen machen eine systematische Auseinandersetzung mit dem Thema der Kompetenzen durchaus anspruchsvoll und zeitweise unübersichtlich. Trotzdem – oder gerade deshalb – ist eine schrittweise, inhaltliche Annäherung sinnvoll, damit ein zunehmend konkreteres Bild entstehen kann, was mit digitalen Kompetenzen eigentlich gemeint ist. Digitale Kompetenzen sollen Menschen zu einem «konstruktiven und selbstbestimmten Umgang mit den Herausforderungen der Digitalisierung»1 befähigen.

Definition

Digitale Kompetenz umfasst die sichere, kritische und verantwortungsvolle Nutzung von und Auseinandersetzung mit digitalen Technologien für die allgemeine und berufliche Bildung, die Arbeit und die Teilhabe an der Gesellschaft. Sie erstreckt sich auf Informations- und Datenkompetenz, Kommunikation und Zusammenarbeit, Medienkompetenz, die Erstellung digitaler Inhalte (…), Sicherheit (…), Urheberrechtsfragen, Problemlösung und kritisches Denken.

(EU-Referenzrahmen des Rats der europäischen Union 2018)

Digitale Kompetenzen

In einem ersten Schritt können verschiedene Hauptbereiche unterschieden werden, in welche sich die digitalen Kompetenzen systematisch einordnen lassen. Dazu liefert der «Orientierungsrahmen Grundkompetenzen in Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT)»2 des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) eine kompakte Grundlage. Die spezifischen Kompetenzen  lassen sich dabei fünf übergeordneten Kompetenzbereichen zuordnen:

Informationen in digitaler Form suchen, beschaffen, speichern und strukturieren

Kontakte herstellen, Informationen austauschen, mithilfe von digitalen Instrumenten zusammenarbeiten und sich an Netzwerken oder Online-Gemeinschaften beteiligen

Bedürfnisse erkennen und benötigte digitale Ressourcen ermitteln, geeignete digitale Instrumente auswählen und technische Probleme lösen

Schützen von Geräten sowie von persönlichen Daten und der Privatsphäre, sicheres und gesundes Agieren in digitalen Umgebungen, Bewusstsein über Auswirkungen auf die Umwelt

Digitale Inhalte wie Texte und Videos erstellen und bearbeiten sowie in einer Programmiersprache Codes schreiben

Im genannten «Orientierungsrahmen Grundkompetenzen in Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT)» führt das SBFI die Kompetenzbereiche inhaltlich weiter aus und setzt sie mit den sogenannten transversalen Kompetenzen (Lesen, Schreiben und Alltagsmathematik) in Beziehung.

Abhängig davon, wie ausdifferenziert die jeweiligen Kompetenzen vorhanden sind, kann zwischen geringen Kompetenzen, Grundkompetenzen oder erweiterten Kompetenzen unterschieden werden. Im Bereich der Informationsbeschaffung verfügt jemand eher über geringe Kompetenzen, wenn sie oder er im Internet Suchmaschinen für einfache Abfragen verwenden kann und sich bewusst ist, dass die verschiedenen Suchmaschinen zu unterschiedlichen Ergebnissen führen können. Die Grundkompetenzen beinhalten die zusätzliche Fähigkeit, aus den gefundenen Suchergebnissen die passende Information auszuwählen. Über erweiterte Kompetenzen verfügt jemand, wenn er/sie eine breite Palette von Suchstrategien anwenden und differenzierte Entscheidungen treffen kann, beispielsweise im Hinblick darauf, welchen Informationsquellen man auch zukünftig folgen soll.

Eine solche Differenzierung nach Niveaus zu den verschiedenen Kompetenzen entlang der Bereiche findet sich beispielsweise im europäischen Referenzrahmen DIGCOMP3.

Erhöhtes Risiko für geringe digitale Kompetenzen

Auch wenn die Schweiz im internationalen Vergleich in Bezug auf die technologische Infrastruktur (z.B. verfügbare Bandbreite bei Internetverbindungen) recht gut dasteht, kann man nicht davon ausgehen, dass digitale Kompetenzen bei der ganzen Bevölkerung ‘einfach so’ vorhanden sind. Gemäss der Omnibus-Erhebung IKT 20195 verfügen rund 20% der Bevölkerung (im Alter zwischen 15 – 88 Jahre) über keine oder nur geringe digitale Kompetenzen. Das kann für Betroffene etwa bedeuten, dass bereits das Versenden eines Emails mit einem Anhang eine Hürde darstellt.

Die ungleiche Verteilung von digitalen Kompetenzen wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst. Die massgeblichsten individuellen Merkmale sind:

  • der Bildungsstand
  • die sozioprofessionelle Kategorie
  • der Migrationsstatus
  • das Alter
  • die finanzielle Situation

Je nach Ausprägung eines dieser Faktoren kann sich das Risiko für geringe digitale Kompetenzen drastisch erhöhen. So haben im Hinblick auf die sozioprofessionelle Kategorie ungelernte Arbeitskräfte im Vergleich zu Angestellten in Kaderpositionen ein viermal so grosses Risiko, lediglich über geringe digitale Kompetenzen zu verfügen.

Illettrismus als zusätzlicher Risikofaktor

Nicht zu vernachlässigen ist die Abhängigkeit von anderen Grundkompetenzen wie Lesen, Schreiben und Alltagsmathematik. Diese sogenannten transversalen Kompetenzen bilden die Basis, auf welcher die digitalen Kompetenzen aufbauen. Eine substanzielle Entwicklung digitaler Kompetenzen ist bei geringen oder fehlenden  transversalen Kompetenzen nicht oder nur bedingt möglich. Wie relevant dieser Aspekt ist, zeigt ein Blick in die Statistiken zu Analphabetismus resp. Illettrismus in der Schweiz: Rund 14% der erwerbstätigen Bevölkerung ist davon betroffen.5

Folgen digitaler Exklusion

Zu den möglichen negativen Folgen für Betroffene gehört das Risiko sozialer Ausgrenzung und fehlender Teilhabe an dem, was für einen grossen Teil der Bevölkerung mittlerweile zum normalen Alltag gehört. Zudem führen Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt und erhöhte Anforderungen für die berufliche Integration – insbesondere für bildungsferne Personen – zu einer Verschlechterung der Arbeitsmarktchancen. Gleichzeitig können auch in ganz anderen Bereichen Probleme entstehen, wenn Personen nicht über ausreichende Kompetenzen im Umgang mit der Digitalisierung verfügen: Suchtprobleme, Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit, soziale Isolation, finanzielle oder andere Folgen im Zusammenhang mit Betrugsdelikten u.v.m.

Die Soziale Arbeit steht von der Herausforderung, ihre Rolle und ihren Auftrag im Zusammenhang mit sozialen Folgen der Digitalisierung zu klären und mit anderen Akteur*innen – beispielsweise aus dem Bildungssektor – zu koordinieren.

Quellen und Empfehlungen zum Thema


Zurück zur Übersicht